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Kultur aus Aserbeidschan


 

Nach dem Konzert


Fuad Ibrahimov ist als Dirigent schon mit jungen Jahren in seiner Heimat ein Star. Der sympathische Musiker setzt sich nicht nur für Völkerverständigung, sondern auch für den musikalischen Nachwuchs ein (5'41).

 

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Sympathieoffensive

Aserbeidschan spielt im Bewusstsein der Deutschen, wie vermutlich auch der Welt, kaum eine Rolle, obwohl Erdöl- und Gas-Vorkommen zu beträchtlichem Wohlstand im Land geführt haben. In diesem Jahr hat die Regierung eine Sympathieoffensive in Deutschland gestartet. So ganz nebenbei stellt sich heraus: Der Staat verfügt über einen unsäglichen Schatz an Musik. Und das Musiktheater beginnt gerade erst, wieder zu leben.

In Deutschland kennt man das so kaum noch: Gala-Abende, an denen nicht gekleckert, sondern geklotzt wird. Misstrauische deutsche Gäste, die an jeder Ecke erwarten, dass die Kostenfalle zuschlägt, werden enttäuscht. Bei der Garderobe erhält man einen Bon, auf dem „0 Euro“ steht. Essen und Trinken vom Feinsten: frei. Dicke und dünne Bücher in edler Ausstattung, CD-Alben – einfach so zum Mitnehmen. Die Foto- und Bilderausstellung wird kostenfrei präsentiert. Und für das Konzert des Aserbaidschanischen Staatlichen Kammerorchesters unter der musikalischen Leitung von Fuad Ibrahimov wird kein Cent fällig. Aserbaidschan lädt in den Gürzenich, den Kölner Festsaal, ein. So wie der kaukasische Staat es zuvor in München und Stuttgart getan hat und im Dezember noch mal in Hamburg ausrichten wird. Das hat in der Zeit der Sparzwänge einen Hauch von Dekadenz.

Andererseits will das „Land des Feuers“ im europäischen Markt mitmischen, ist siebtgrößter Öl-Lieferant Deutschlands und hat finanziell eigentlich keine Sorgen. Stattdessen gibt es Image-Probleme. Die 1991 ausgerufene Demokratie hat ein Geschmäckle, die territorialen Verhältnisse sind auch noch nicht so ganz klar und kulturell geht es ganz auf Anfang. Mit der Pressefreiheit haben die Aserbeidschaner wenig zu tun. Platz 152 machen die Reporter ohne Grenzen aus. Zum Vergleich: Deutschland schafft es immerhin auf Platz 17. Aserbeidschan muss sich also eine Menge einfallen lassen, um im europäischen Konzert die richtigen Klänge zu finden.

Kultur ist anders

Da ist ein musikalischer Abend schon mal ein guter Anfang, um „Brücken zu bauen“ zwischen dem 4.000 Kilometer entfernten Aserbeidschan und Deutschland. So möchte der Botschafter des Landes, Parviz Shahbazov, den Abend verstanden wissen. Mit rund 850 Gästen ist der große Saal des Gürzenich gut gefüllt. Allzu gut, wie sich kurz nach Beginn des Konzerts herausstellt. Es fängt harmlos an. Drei Kamera-Teams sind mehr damit beschäftigt, ihre Gerätschaften sorgsam zu positionieren, als Rücksicht auf die Musiker zu nehmen. Zwischendurch flammen im abgedunkelten Saal Scheinwerfer auf und blenden das Publikum, damit die Kameras ausreichend Licht haben. Anschließend nehmen die Kameramänner neue Positionen ein. Währenddessen wird in der Küche neben dem Saal aufgeräumt. Muss ja auch sein. Und lustig geht es dabei zu. Und laut. Da schätzt sich glücklich, wer nicht im hinteren Drittel des Saales Platz nehmen muss. Dass Frauen, die einen Lockenstab verletzungsfrei benutzen, deshalb auch gleich die Sensibilität besitzen, während eines Konzerts Gänge mit Pfennigabsätzen auf Holzboden zu vermeiden, stimmt nicht. Aber auch die Herren, die zwischendurch mal den Saal verlassen, um neue Getränke und Nahrungsmittel zu holen, scheinen nicht zu bemerken, dass so etwas stört. Und schließlich will auch niemand allen anwesenden Kindern verübeln, dass sie mindestens einmal in der Zeit zur Toilette müssen. Es versteht sich von selbst, dass all diese Menschen, die von überall her auf die hinteren Ausgänge zuströmen, auch wieder zurück wollen. Abgesehen von den Menschen, die nicht wiederkommen, eine ebenfalls nicht unbeträchtliche Zahl. Währenddessen zeigt sich die Organisation des Hauses auf dem Quivive. Der anfangs vollkommen überhitzte Saal wird während der musikalischen Darbietung mit Kaltluft geflutet. Infolgedessen frösteln die Damen und werden, auf Nachfrage, von ihren Begleitern mit deren Sakkos umhüllt. Dieser Vorgang lässt sich übrigens mehrfach wiederholen. Immerhin postiert sich gegen Ende des Konzerts ein Mitarbeiter des Gürzenich an den Türen, um das laute Schließen zu verhindern. Insgesamt gewinnt so der Satz von Botschafter Shahbazov, Aserbeidschan verfüge über eine lange Tradition an Kultur, der aber die Wurzeln entzogen worden seien, eine ganz neue Bedeutung. Auch seine Ankündigung, das Staatliche Kammerorchester spiele auf original aserbeidschanischen Instrumenten, zeigt eine gewisse Doppelbödigkeit.

Westliche Klänge aus dem Kaukasus

Die Streicher klingen, vor allem zu Beginn, dumpf und dissonant. Das klingt beim Tanz der Freude, mit dem der Liederreigen eröffnet wird, ein wenig seltsam. Ansonsten ist an der Akustik nichts zu bemängeln. Eine Mikrofonanlage sorgt für ausreichende Beschallung des Raums. Und das ist in all dem Trubel im Saal auch gut so. Fuad Ibrahimov führt das Orchester mit Eleganz und Effet durch ein abwechslungsreiches, kurzweiliges Programm, das auch die Arie Non ti scordar di me aus der Oper Leyli und Mejnun der Brüder Hajibeyov beinhaltet. Das Werk wurde als erste Oper in der muslimischen Welt 1908 in Baku, der Hauptstadt Aserbeidschans, uraufgeführt. Weitere Höhepunkte der 18 gespielten Stücke in dem Liederreigen sind das Lied über Baku, ein Duett von Raul Hadjiyev, und der Walzer von Qara Qarayev. Stücke wie Rhapsodie in Chahargah von Hasan Rzayev, das Sahib Pashazade auf der Tar – einer viersaitigen Langhalslaute – präsentiert, und Ich sehne mich nach dir des Alekper Tagijev, bei dem Mehman Nuriyev mit dem Spiel des Balaban begeistert, zeigen die persischen Einflüsse auf die ansonsten erstaunlich westlich klingende Musik. Zwar gibt es nach jedem Stück einen kurzen, heftigen Applaus, am Ende hält es die Menschen aber nicht auf den Stühlen. Sie stürmen geradezu aus dem Saal.

Gerade in der westlichen Orientierung der Musik liegt für den neun Millionen Einwohner umfassenden Staat im Kaukasus eine große Chance. Erste Jazz-Festivals weisen den Weg. Im Bereich der klassischen Musik und des Musiktheaters fällt Aserbeidschan nicht auf. Aber Dirigent Ibrahimov als Wanderer zwischen den Welten ist davon überzeugt, dass sich auch hier in den kommenden Jahren viel entwickeln wird. Was, bleibt abzuwarten. Aserbeidschan möchte sich gern als weltoffener, toleranter und demokratischer Staat präsentieren. Geld ist dabei sicher hilfreich. Nur richtig investiert muss es sein. Und dann schlägt die Kostenfalle doch noch zu. Aserbaidschanisch-stämmige Mitbürger scheitern an der Parkhaus-Ausfahrt. Da müssen sie noch mal aussteigen, um ordentlich was zu zahlen. Im Gürzenich-Parkhaus gibt es keinen Abendtarif. Da wird richtig abkassiert. Willkommen in Köln.

Michael S. Zerban, 21.11.2013

 


Um die 850 Gäste sind im Kölner
Gürzenich erschienen, um die
kulturelle Vielfalt Aserbeidschans
kennenzulernen.


Parvis Shahbazov, Botschafter der
Demokratischen Republik
Aserbeidschan, sieht sein Land auf
dem Weg in die Europäische
Gemeinschaft.


Das Staatliche Kammerorchester
Aserbeidschans begeistert mit
klassischer Musik, die sehr westlich
klingt.


Aygün Zeynalova und Samir Jafarov
singen ein wunderschönes Lied über
Baku
.


Musik gewinnt: Dirigent Fuad
Ibrahimov und das Staatliche
Kammerorchester bringen den
Menschen ihr Heimatland näher.

Fotos: Christopher Adolph