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Warnstreik
gegen Dornröschen


 
 

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Und Dornröschen tanzt doch

Im sonst eher beschaulichen Hannover rumort es hinter den Bühnen. Ein dubioser Warnstreik droht, eine ausverkaufte Vorstellung zu torpedieren. Die Arbeitgeberseite gibt sich überrascht und entsetzt. Von einer plötzlichen Eskalation kann allerdings nicht die Rede sein. Seit zwei Jahren streiten die Parteien um Erschwerniszulagen.

Laut Lexikon erhalten Arbeitnehmer einen Erschwerniszuschlag, wenn die „Arbeit selbst, die Arbeitsbedingungen oder die äußeren Umstände durch eine besondere Herausforderung geprägt sind“. Als außergewöhnliche Erschwernisse gelten „Arbeiten mit besonderer Gefährdung, extremer, nicht klimabedingter Hitzeeinwirkung, besonders starker Schmutz- oder Staubbelastung, besonders starker Strahlenexposition oder sonstigen vergleichbaren erschwerten Umständen“. Da kann man sich schnell vorstellen, wer da gemeint ist: Der Arbeiter am Hochofen, der Feuerwehrmann oder der Techniker im Atomkraftwerk, natürlich auch deren Kolleginnen. Etwas mehr Fantasie braucht es da schon, Erschwerniszulagen in einem Theater zu vermuten. Das Staatstheater in Hannover steht jetzt vor genau diesem Problem. Zwar gibt es einen 33 Jahre alten Erschwerniskatalog, nach dem die Theater solche Zulagen zahlen. Oper und Schauspiel sind durchaus daran interessiert, einen solchen Katalog zu erneuern. „Schließlich haben die Staatstheater in den letzten acht Jahren erhebliche Investitionen in die Verbesserung von Arbeitsschutz und Arbeitssicherheit und zur Vermeidung von Erschwernissen getätigt“, sagt Verwaltungsdirektor Jürgen Braasch. Außerdem müssen die alten Tarifverträge in einen neuen Tarifvertrag Öffentlicher Dienst überführt werden. Für Verwaltungsmenschen gibt es von Berufs wegen kaum etwas Schlimmeres als ungeklärte Vertragssituationen. Schließlich fehlen ihnen damit die Handlungsgrundlagen.

Ein Gräuel für die Verwalter: Seit zwei Jahren stehen die Verhandlungen zwischen Gewerkschaft und Arbeitgebern nun schon im Raum. Wer jetzt etwa glaubt, da säßen zwei Parteien Tag und Nacht am Verhandlungstisch, um endlich eine Lösung herbeizuführen, irrt. In diesem Zeitraum hat es nach Angaben des Staatstheaters bislang gerade mal vier Verhandlungstermine gegeben, die auf die Initiative der Arbeitgeberseite zurückgingen. Jetzt hat die Gewerkschaft Ver.di zu einem ganztägigen Warnstreik am Donnerstag, 6. März, aufgerufen. Begründet wird diese Maßnahme damit, dass „sich die Beschäftigten des Staatstheater Hannover seit gut einem Jahr mit dem Arbeitgeber in einem Tarifkonflikt“ befinden und die „Kolleginnen und Kollegen daher beschlossen haben, jetzt öffentlich Druck auf die Arbeitgeberseite auszuüben“. Eine solche Formulierung ist irreführend. Betroffen ist ausschließlich der nicht-künstlerische Bereich der Bühnen. Nun steht auch diesen Mitarbeitern selbstverständlich das Arbeitskampfmittel eines Warnstreiks zu, um Lohnforderungen zu bekräftigen. Auch in einem Arbeitsbereich, der permanent durch Kürzungen von politischer Seite bedroht ist, muss es möglich sein, für angemessene Lohnbedingungen zu kämpfen. Allerdings gilt auch hier der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. „Die von der Gewerkschaft geforderte Dynamisierung, also die Übernahme der Tariferhöhungen seit 2005, bringt vielleicht 1.000 Euro für maximal 30 Arbeiter“, sagt Stefan Votel, Personalchef am Staatstheater Hannover. Demgegenüber steht der Ausfall einer ausverkauften Dornröschen-Aufführung.

Gewerkschaften gegen die Kultur

Seit vielen Jahren haben die Gewerkschaften mit einem kräftigen Mitgliederschwund zu kämpfen. Tarifabschlüsse, die Gewerkschaften „durchsetzen“, liegen allzu häufig unter der Inflationsrate. Und gesellschaftspolitisch spielen Gewerkschaften schon lange keine Rolle mehr. Dass die Funktionäre immer häufiger dazu neigen, jede Spur von Verhältnismäßigkeit außer Acht zu lassen, zeigen auch die letzten Warnstreiks auf Flughäfen. Tausende von Passagieren hatten das Nachsehen. Jetzt sind es Hunderte von Zuschauern, die in ihrer Freizeitgestaltung beeinträchtigt werden sollen.

Das Staatstheater hat sich aus der Schockstarre gelöst und zeigt sich kampfbereit. „Dornröschen findet statt, auch wenn wir vielleicht mit einer Lichteinstellung auskommen müssen“, erklärt Pressesprecher Malte Erhardt. Ob die Gewerkschaft Ver.di ihren Mitgliedern damit gefällt, eine Provinzposse zu initiieren und kulturelle Veranstaltungen zu unterlaufen, wird sie überdenken können, während der künstlerische Bereich des Balletts sich mit einer solchen Maßnahme nicht solidarisch erklärt.

Michael S. Zerban, 5.3.2014

 


Das Ballett Dornröschen findet trotz
eines Warnstreiks der Gewerkschaft
Ver.di statt.


Das Staatstheater Hannover steht der
überraschenden Situation gegenüber,
statt Verhandlungen mit einem
Warnstreik umgehen zu müssen.


Verwaltungsdirektor Jürgen Braasch
weiß, dass Erschwerniszulagen nicht
mehr zeitgemäß sind.


Malte Erhardt, Pressesprecher des
Staatstheaters, verkündet die Devise:
„Wir spielen trotzdem.“