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Wagner ist Fantasy


 
 

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Langeweile ist verboten

Ende März fand am Genfer Theater eine Uraufführung der besonderen Art statt. Als Auftragswerk des Richard-Wagner-Verbandes Trier-Luxemburg arrangierte der Trierer Musikdramaturg Peter Larsen eine Siegfried-Version für Kinder. Regisseur Julien Ostini und Bühnen- und Kostümbildner Bruno de Lavenère betrieben einen erheblichen Aufwand, um ein echtes Fantasy-Musical auf die Beine zu stellen. Wagners Siegfried als Fantasy-Musical? Das geht, erklärt Peter Larsen.

Ein Wanderer mit Schlapphut und schwarzem, von langen Reisen gezeichneten Mantel betritt die Bühne, er ruft seinen Raben, der über die Köpfe der Zuschauer hinweg aus der Dunkelheit auf die Bühne fliegt. Der Rabe nimmt Platz auf dem Arm des Wanderers, und die Musik setzt ein. Die Geschichte beginnt.

Was nach dem Beginn einer Fantasy-Story klingt, bezeichnet den Auftakt einer Geschichte, die den Ursprung dieses Genres markiert, ohne selbst wirklich dazu gezählt zu werden. Denn längst ist die Geschichte um Siegfried und seinen Ring, nämlich den des Nibelungen, in die Kreise der Weltliteratur eingegangen. Dabei ist seine Geschichte vorwiegend eines: nämlich fantastisch.

Das sieht auch Peter Larsen so, Musikdramaturg am Theater Trier. Er wollte schon immer eine Wagner-Adaption machen. Bereits 2007 sollte im Rahmen eines Wagner-Projekts im Theater Trier auch ein Kinderstück zustande kommen. Das scheiterte aus besetzungstechnischen Gründen. Den Text hatte Larsen allerdings schon geschrieben. Heute ist er froh, dass die Produktion, die damals nur mit Klavier im Foyer realisiert werden sollte, in dieser schmaleren Form nicht zustande kam. Deshalb machte sich Larsen an die Arbeit, arrangierte zwischen 2011 und 2013 Wagner für Kammerorchester, straffte das Vier-Stunden-Musikdrama Siegfried auf ein Viertel, komponierte Übergänge und neu-erdachte Szenen dazu und auf einmal war eine kleine, „neue“ Wagner-Oper entstanden: Siegfried oder Wer wird Herr des Ringes. Lange Zeit bedauerte der Dramaturg, dass vor allem jüngere Menschen sich bestens in Fantasy-Universen à la Tolkien auskennen, ohne dabei auch nur zu ahnen, was der Ursprung des Ganzen ist.

„Tolkien schöpfte nämlich aus den gleichen Quellen wie Wagner – nur eben später!“ erzählt Larsen. „Er kannte Wagner außerdem genau, zudem war er ein großer Linguist, was man auch an der von ihm entworfenen Elbensprache sieht. Als solcher war Tolkien bestimmt auch fasziniert von den wagnerischen Sprachschöpfungen.“ Für Larsen, den Opernmenschen, war das der Anhalts- und Motivationspunkt zu zeigen, wer diese Mythen schon viel früher entdeckt und künstlerisch neu geformt hat. Und dass die Geschichten, wie die der Nibelungensage nichts „Verschwurbeltes und Intellektuelles“ sind, sondern einfach fantastische Geschichten. „Wer sich mit Tolkien auskennt, mit Isengard, den Fabelwesen und den ganzen Völkern in ‚Mittelerde‘ und das versteht, der wird auch der Handlung von Wagners Ring folgen können. Der ist nämlich eigentlich übersichtlicher. Es geht mir darum, an dieser Stelle Schwellenangst zu nehmen und Faszination für Wagners Dramensaga zu wecken.“ Die Frage, ob diese Idee mit seinem Stück aufgegangen ist, kann Larsen nur bejahen. „Ich habe die Kinder während der Premiere beobachtet, die saßen teilweise vor Spannung auf der Stuhlkante und haben das Geschehen auf der Bühne beobachtet. Spätestens, als der Drache auf die Bühne kam, waren alle still, selbst die 15-jährigen Mädchen, die vorher noch getuschelt hatten. Erst als Siegfried im Wald auf Brünnhilde traf, ging die Tuschelei wieder los, aber das ist ja auch genau das Thema in diesem Alter“, lacht Larsen. Aber die jugendliche Suche nach dem eigenen Weg ist ja auch Teil dieser Version der Siegfried-Saga und somit nicht nur etwas für Kinder. „Die Jüngsten im Publikum hätte ich so auf acht Jahre geschätzt, dabei waren dann auch noch jüngere dabei und ältere. Es war aber auch ein tolles Spektakel; das Grand Théâtre in Genf hat viel Geld und Mühen investiert und die Produktion wirklich ernst genommen. Man hat internationale Solisten verpflichtet und technisch alles aufgewandt, was es gab.“ Mit Pyro-Effekten, einer feingliedrigen Kettenwand, auf die das Feuer geleuchtet wurde, und einem dressierten Raben. „Special Effects, dabei aber in einem ganz theatralen Rahmen. Es war ein sinnliches, theatralisches ‚spectacle‘. Gewisse Effekte gehören da einfach dazu, es ist eben ein Fantasy-Stoff, in dem auch eine gewisse Magie erzeugt werden muss. Aber mit theatralen Mitteln und live vor Ort, von Menschen gemacht.“

Kindliche Faszination für Wagner

Ein Aufwand, von dem er hofft, dass er auch für das Theater als solches wirbt. Zeigt, was Theater alles kann, live und direkt vor Ort. Von den Kindern wurde das honoriert. „Die Kinder sollen das auch weitertragen in ihr Leben. Und später mal danach fragen, was hinter Siegfried und Wagner steht. Klar, Wagners Ring ist ein Riesending, aber wenn man die Geschichte schon mal in Grundzügen kennt, traut man sich an alles andere vielleicht eher ran“, hofft der Dramaturg.

Dabei handelt es sich bei Larsens Kinderoper keinesfalls um eine kindgerechte Aufbereitung in eigentlichem Sinne. „Es gibt zwar eine Möglichkeit mitzusingen und dabei gleich ein Motiv von Siegfried zu erfassen, so gesehen als Zauberspruch, um mitmachen zu können, aber die Handlung selbst und die Charaktere sind nicht verkindlicht.“ Siegfried nicht heruntergebrochen, sondern eher „entschlackt“. Kein monströser Wagnerklang, etwas leichter verdaulich, ohne dass dabei an der Substanz gekratzt wird. Doch wo setzt man in Wagners Musik Schnittpunkte?

„Das war richtig schwierig. Immerhin ist es eine Riesenpartitur mit bis zu 31 Stimmen; da musste man immer sehen, wo man überhaupt Übergänge schaffen kann. Wo es inhaltlich Sinn macht, und wo es tonal und instrumental geht.“ Beim Schneiden hat er sich bemüht, Wagner auf Wagner zu schneiden. Wo er in der Geschichte kürzen musste, war es nötig, eigene Übergänge zu schaffen. So kamen auch Szenen vor, die es im eigentlichen Siegfried nicht gibt. Wie eine fiktive Nachtwanderung im Wald. Wo Wald- und Tiergeräusche Siegfried und seinen Ziehvater Mime erschrecken, die Kinder aber begeistern. „Für Kinder hat das einen kleinen Lerneffekt, weil sie sehen, dass man mit Instrumenten zum Beispiel auch Tierstimmen nachmachen kann.“

Ohne erhobenen Zeigefinger

Dabei spielt der Lernfaktor eigentlich eine untergeordnete Rolle; Larsen geht es mehr darum, dass die klassischen Stücke bei den jungen Zuschauern „in Resonanz geraten“. „Vieles auf dem Markt ist eben sehr kindgerecht oder mit dem erhobenen Zeigefinger versehen, dabei kann man Kinder viel ernster nehmen. Es gibt viele gute Sachen, aber bei den meisten habe ich den Eindruck, dass man immer noch einen Bildungsauftrag konsumieren soll.“ Als Theatermensch muss man sich bewusst und immer wieder neu die Frage stellen, was die eigene Berechtigung ist und wie die Kommunikation zum Publikum funktionieren soll. Und Kinder sind, was das angeht, gnadenlose Kritiker. „Es gibt viele Konzepte, in denen Kinder aktiv mit einbezogen werden, aber das hat mehr Workshop- als Stückcharakter. Das finde ich toll, und es ist wichtig, ich aber sehe mich mehr vom fertigen, ‚maßgeschneiderten‘ Werk her kommend.“ Siegfrieds Geschichte hat viele Höhepunkte und spielt mit vielen Archetypen, die übrigens auch der Genfer Regisseur Julien Ostini für seine Inszenierung aufgriff und in ganz moderne Mythen übersetzte wie Star Wars: „Der Drache war ‚Darth Maul‘, mit den typischen Zeichnungen im Gesicht und dem langen Mantel, durch Statisten unter selbigem waren seine Arme auf die gesamte Länge der Bühne erweitert. Star Wars ist ein moderner Mythos und ist zum Teil ebenfalls von Wagner inspiriert, von daher fand ich es sehr konsequent, was der Regisseur da gemacht hat.“

Durch Kürzungen und „Entschlackungen“ brachte Larsen die Siegfried-Handlung auf weniger als anderthalb Stunden. Zwar kürzer, aber kaum weniger anstrengend für die Mitwirkenden. „Sonst haben die einzelnen Musiker etwas Zeit, sich zwischendurch auszuruhen, aber durch die Reduzierungen kommen auf jede Stimme mehr Aufgaben zu.“ Für das Orchester, das zum Großteil aus Studenten eines Konservatoriums bestand, dem Orchestre du Collège de Genève unter Leitung von Dirigent Philippe Béran, eine besondere Herausforderung. Sie bereiteten sich seit September letzten Jahres zusammen mit ihren Ausbildern und Profis auf diese Herausforderung vor. Ende Januar begannen dann die szenischen Proben, um am 21. März in die Premiere mit drei anschließenden Vorstellungen innerhalb von vier Tagen zu münden. Auch gesanglich ein Kraftakt, musste Siegfried doch seine schwierigen Gesangsszenen singen, gleichzeitig spielen und eine Sekunde danach wieder Dialogtexte sprechen. „Aber der Aufwand hat sich voll gelohnt“, schwärmt Larsen, „zur Nachahmung empfohlen!“

Der Anfang ist gemacht

Für die nächste Spielzeit stehen bei den Theatern die Spielpläne zwar schon, aber nun will Larsen zusammen mit seinem Verlag verstärkt in Kampagnen zur Vermarktung gehen, damit das Stück, dieser „neue Siegfried“ auch im Geburtsland Wagners auf die Bühne kommt. Für die Uraufführung in Genf wurde das Stück in die französische Sprache übersetzt, für weitere Übersetzungen und vor allem Aufführungen wäre Peter Larsen grundsätzlich offen. „Wichtig ist, dass die Kinder sofort alles verstehen, also englisch klar, warum nicht chinesisch?“ scherzt er. Träume sind schließlich auch bei Wagner erlaubt.

Stefanie Braun, 24.4.2014

 


Musikdramaturg Peter Larsen hat
eine einstündige Version des Siegfried
neu arrangiert, um die „Fantasy-
Geschichte“ auch Kindern zugänglich
zu machen.


Julien Ostini, links im Bild, hat eine
aufwändige Inszenierung geschaffen,
wie man sie sonst nur bei
Familienopern kennt.


Pyro- und andere Spezialeffekte
sollen den Kindern zeigen, dass
Wagner ein mindestens ebenso guter
Fantasy-Autor ist wie Tolkien.


Marc Laho singt und spielt Siegfried
mindestens so engagiert wie in der
Vier-Stunden-Version des Meisters.


Eine Brünnhilde, wie man sie sich in
seinen kühnsten Träumen nicht
vorstellt: Julienne Walker verkörpert
sie historisierend.