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Uraufführung in Erfurt


Alois Bröder


Geboren 1961 in Darmstadt; Gitarrenstudium an der Akademie für Tonkunst Darmstadt, anschließend Kompositionsstudien. CD-Veröffentlichungen und zahlreiche Aufführungen verschiedener Orchesterkompositionen. Bis heute etwa 90 Kompositionen für verschiedenste instrumentale und vokale Besetzungen.
 

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Spiel der Möglichkeiten

Uraufführungen sind immer etwas besonderes, auch wenn sie in einem Theater stattfinden, dass sich solche Ereignisse auf die Fahnen geschrieben hat. Für den Komponisten Alois Bröder ist es gleich eine doppelte Premiere: Nicht nur, dass eine Oper von ihm zum ersten Mal aufgeführt wird – es ist seine erste Oper überhaupt.

Generalintendant Guy Montavon kann sich für einen Moment zurücklehnen. Sein Operettendebüt mit der Gräfin Mariza war ein Riesenerfolg. Die Presse überschlug sich förmlich vor Begeisterung. Jetzt sind erst mal andere dran. Und schon wartet ein neuer Höhepunkt am Theater Erfurt. Die 14. Uraufführung in der Amtszeit Montavons steht an. „Mit der Weltpremiere starten wir gleichzeitig ins Jubiläumsjahr ‚10 Jahre Theaterneubau in Erfurt‘“, freut sich der Intendant. Das Gebäude im Brühl ist im September 2003 eröffnet worden und zählt zu den modernsten Opernhäusern in Europa.

Derzeit laufen dort auf der Bühne die Proben zu Die Frauen der Toten, der ersten Oper des bereits vielfach ausgezeichneten Komponisten Alois Bröder. „Ich habe lange nach einem passenden Stück für mein Debüt gesucht. In den 1990-er Jahren hat mich Heinar Kipphardts März fasziniert. Das Projekt ist aber dann gescheitert, weil ich mir maßlose Ansprüche auferlegt habe. Ich wollte nicht nur die Musik komponieren, sondern gleich alle theatralischen Parameter kontrollieren. Das konnte nicht gut gehen. Vor drei Jahren bin ich dann auf Nathaniel Hawthornes Frauen der Toten von 1829/30 gestoßen“, erzählt Bröder, der zunächst Gitarre in Darmstadt studierte, ehe er „das Komponieren“ unter anderem in Düsseldorf bei Manfred Trojahn und elektronische Komposition bei Hans Ulrich Humpert in Köln erlernte.

Das Stück erzählt vom Schicksal der beiden Frauen Mary und Margaret, die kurz nach der Hochzeit vom Tod ihrer Männer erfahren. In der Nacht nach der Trauerzeremonie erscheinen ihnen zwei Boten mit der Nachricht, die Männer lebten noch. Doch keine der Frauen traut sich, der anderen das eigene Glück mitzuteilen. Der Clou an der Geschichte ist der letzte Satz, der in der deutschen Übersetzung lautet: „Doch ihre Hand zitterte gegen Margarets Hals, auch eine Träne fiel auf ihre Wange, und plötzlich erwachte sie.“ An diesem „sie“ haben sich Heerscharen von Literaturwissenschaftlern aufgerieben. Ist nämlich „sie“ Margaret, dann wird alles gut. Die beiden Frauen werden sich gegenseitig ihre Freude eingestehen und mit Tränen des Glücks am kommenden Tag ihre Männer in Empfang nehmen. Ist „sie“ aber Mary, dann erwacht sie aus ihrem Traum, die Männer sind also tatsächlich tot. Was mit den Männern tatsächlich ist, bleibt naturgemäß sowohl in der Geschichte als auch in der Oper im Dunkeln.

Eine knisternde Konstellation, die Stoff für eine Oper bietet, wenn sie richtig aufgelöst wird. „Es geht mir darum, die Verschmelzung von Traum und Wirklichkeit in Zeiten der Krise zu zeigen. Wie die Grenzen zwischen Äußerem und Innerem in Extremsituationen verschwimmen. Um es auf den Punkt zu bringen: Die Relativität der Realität“, erläutert Bröder die Grundidee, die ihn dazu bewegt, die Geschichte auf besondere Weise zu erzählen. „Wir saßen neulich in der Runde und haben überlegt, ob es eine Oper gibt, die eine Geschichte in zwei Versionen erzählt, also 50 Minuten vor der Pause die eine Version, 50 Minuten nach der Pause die andere Version. Gibt es bestimmt, aber uns ist keine eingefallen“, berichtet der Komponist mit einem Schmunzeln. Ob es ihm gelingt, auch in der zweiten Version die Spannung aufrechtzuerhalten, werden die fünf Solisten und fünf Choristen des Erfurter Theaterensembles in der Inszenierung der international renommierten Regisseurin Gabriele Rech beweisen müssen.

Musikalische Unterstützung bietet der musikalische Leiter Johannes Pell mit dem Philharmonischen Orchester Erfurt in Kooperation mit der Thüringen Philharmonie Gotha. Zeitgenössische Musik: Da werden viele Opernbesucher vorsichtig. Bröder gibt Entwarnung: „Es ist, glaube ich, schon eine Musik geworden, die ziemlich zugänglich ist. Die mit konkreten Motiven, aber auch mit Melodien arbeitet. Der schließlich auch tonale Momente, vielleicht auch mehr als Momente, nicht fremd sind.“ Bis heute hat er immerhin bis zu 90 Kompositionen aufzuweisen, viele davon sind preisgekrönt. Das klingt doch vielversprechend.

Michael S. Zerban, 12.1.2013

 


Nathaniel Hawthorne entwickelte die
Geschichte von den Frauen der Toten
1929/30 mit einem besonderen Clou.


Im Mittelpunkt der Geschichte stehen
nur scheinbar zwei Männer. Tatsächlich
geht es um die Verschmelzung von
Traum und Wirklichkeit. Oder auch
nicht.


Zwei Frauen, die aus falscher
Rücksichtnahme schweigen: Marisca
Mulder und Mireille Lebel spielen Mary
und Margaret.


„Doch ihre Hand zitterte gegen
Margarets Hals, auch eine Träne fiel
auf ihre Wange, und plötzlich
erwachte... sie.“

Fotos: Theater Erfurt