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Zivilcourage in Dresden


 
 

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Eine Lüge rettet die Welt

Vor rund 30 Jahren beging Stanislaw Petrow ein Dienstvergehen - und rettete damit möglicherweise die Welt. Jetzt verleihen ihm die Semperoper und die Organisation Friends of Dresden Deutschland den Dresden-Preis.

Am Abend des 25. September 1983 tritt der damals 44-jährige Ingenieur im Range eines Oberstleutnants der Sowjetarmee Stanislaw Petrow wie gewohnt seine zwölfstündige Schicht an – in einer streng geheimen Raketenüberwachungszentrale, 80 Kilometer von Moskau entfernt. Dass Petrow in dieser Nacht das Kommando hat, ist Zufall. Ein glücklicher Zufall. Denn der Offizier ist in erster Linie Ingenieur, Systemanalytiker, Techniker. Heute räumt er ein: „Ja, wahrscheinlich hätte ein Militär an meiner Stelle anders entschieden. Militärs wollen kämpfen. Das ist ihr Job.“

Die Uhr zeigt 0:15 Uhr, als plötzlich an der Wand des Überwachungsraums in großen roten blinkenden Buchstaben das Wort „Start“ aufleuchtet. Dazu Sirenen, laut und anhaltend. Es ist passiert. „Start“ bedeutet, dass eine amerikanische Rakete gezündet wurde, Richtung Sowjetunion. Petrow gibt Order, sofort das gesamte System zu überprüfen, ob es irgendwo eine Unregelmäßigkeit gibt. Aber nichts. Es wird kein technischer Fehler gefunden. Alles läuft normal, außer dass soeben ein Atomkrieg begonnen zu haben scheint. Der Ingenieur sagt: „Aber ich war mir nicht sicher, die optische Bestätigung fehlte. Ernstfall oder Fehlalarm, es stand 50 zu 50.“ Zwei Minuten sind vergangen, seit der Alarm ausgelöst worden ist. Der diensthabende Kommandeur muss den Generalstab informieren. Aber bevor er das tut, trifft er eine Entscheidung, von der er auch in den nächsten, noch dramatischeren Minuten nicht mehr abweichen wird. „Ich wollte nicht schuld sein am Dritten Weltkrieg“, sagt Petrow heute rückblickend. Denn er ahnt, auch eine nur 50-prozentige Wahrscheinlichkeit eines amerikanischen Raketenangriffs wäre in der nervösen, aufgeheizten Stimmung des gefährlichen Jahres 1983 Anlass genug gewesen, einen Gegenschlag auszulösen und der wiederum einen Gegenschlag... Er nimmt also den Hörer ab, wählt die Geheimnummer und lügt. Er sagt: „Hiermit melde ich einen Fehlalarm.“ Der General am anderen Ende antwortet: „Verstanden. Machen Sie weiter!“

Nach der ersten Rakete zeigen die Computer in den nächsten Minuten den Start vier weiterer Flugkörper an. Es steht weiter 50 zu 50. Doch Petrow bleibt dabei: Fehlalarm. Die Ursache des Fehlers wird erst viel später gefunden. Eine kosmische Irritation, eine seltene Konstellation von Satellit, Sonne und Erde, ein Lichtblitz, den der Sputnik missverstanden hat. Und Stanislaw Petrow, auf seine Tat angesprochen, sagt seither immer das Gleiche: „Ich bin kein Held. Ich habe nur meine Arbeit getan.“

Fast dreißig Jahre ist das jetzt her. Am 17. Februar dieses Jahr wird Stanislaw Petrow für seine Entscheidung mit dem Dresden-Preis in der Semperoper geehrt. Die Laudatio hält der Journalist Claus Kleber. Für das musikalische Rahmenprogramm sorgt die junge russische Band Skazka Orchestra aus Berlin mit Valentin Butt, der als einer der besten Akkordeonspieler Europas gilt und unter anderem mit den Berliner Philharmonikern spielt. Ihre Musik ist eine Mischung aus Ska, Jazz, Klezmer, Reggae und russischer Folklore, die zu einer ganz besonderen melancholischen bis wilden Variante der neuen russischen Musik verschmelzen, die in Deutschland zum Kult wurde.

Heidrun Hannusch/Michael S. Zerban

 


Semperoper und Friends of Dresden
Deutschland verleihen zum vierten Mal
den Dresden-Preis.


Stanislaw Petrow fühlt sich nicht als
Held, hat aber ein reines Gewissen.


Skazka Orchestra sorgt für flotte
Unterhaltung bei der Preisverleihung.