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Radio heute und morgen


 

Aufbruchstimmung


Antony Hermus spricht über die Bedeutung der Anhaltischen Philharmonie, den Komponisten Weill und seine Bedeutung bis heute, aber auch über Entwicklungen (7'10).

 

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Sachsen-Anhalt zwitschert im Universum

Kaum ist das Kurt-Weill-Fest unter dem Motto „Aufbruch – Weill und die Medien“ in Dessau gestartet, wartet es auch schon mit zeitgemäßen Überraschungen auf. Einerseits gibt es einen Festspielsender, der eine 1924 begonnene Tradition fortsetzt, andererseits gibt es die Tweetfonie, die man getrost als Projekt der Zukunft bezeichnen darf.

Kurt Weill ein Radio-Komponist, Bert Brecht ein Rundfunktheoretiker? Aber klar doch: Kurt Weill kann auf einige Vorarbeiten zurückgreifen, die für die europäische Klassik Impulse aus der Neuen Welt entdecken: Antonín Dvorak studiert die Musik der „native Americans“, Ferruccio Busoni wird von Motiven indianischer Songs inspiriert, in den ersten Rundfunkstudios wird nach übertragbarer Musik gesucht, und die Amerikaner brauchen eine Musik, die den „american spirit“ in der Welt musikalisch präsentiert. Kurt Weill fühlt sich angesprochen, beginnt nach seiner Flucht aus Nazideutschland seine Karriere als „amerikanischer Komponist“ und wendet sich dem neuen Medium Rundfunk zu. Bert Brechts Beiträge zu einer „Radiotheorie“, 1932/33 publiziert, gehören bis heute zum Standard der frühen Medienwissenschaft.

Von dem neuen Medium Rundfunk fasziniert und angezogen, beginnt Weill in verschiedenen Kompositionen, dessen Möglichkeiten auszuloten. Das 22. Kurt-Weill-Fest in Dessau hat gute Gründe, für dieses Jahr das Motto „Kurt Weill und die Medien“ zu wählen. Auf dem Sektor der Medien hat sich seit Weill und Brecht vieles getan. Brechts politische Forderung, den Distributionsapparat Rundfunk in einen Kommunikationsapparat zu verwandeln, wird heute vom Internet und den „social networks“ in einem Umfang umgesetzt, den Brecht nicht glauben würde.

Hier setzt das Festival mit seinen beiden Projekten Festspielsender und Tweetfonie an und will Weills Neugierde und Experimentierfreude fortsetzen, mutig und keineswegs in kleiner Münze. Das Festival nimmt damit eine Forderung der aktuellen Kunstdebatte auf, in der immer häufiger für die Öffnung der Theater und Konzertsäle und für neue, medienadäquate Formen der Kunstpräsentation plädiert wird. Kinder und Jugendliche praktizieren längst neue Formen der Musikrezeption und sind oft gar nicht ansprechbar, wenn sie individuell verkabelt oder über Bluetooth in ihrer Musik versunken sind. Und ihre persönlichen Netzwerke und deren schnell übermittelten Infos sind für sie längst wichtiger als die linearen Programme von ARD und ZDF. Die Mediengeneration hat ihren Konzertsaal in der Tasche.

Den Konzertsaal in der Tasche

Diese Entwicklung greifen die Dessauer auf und übergeben einer New Weill Generation von 13 – 27-Jährigen einen Festspielsender WeillFM, Frequenz 88.7, der bis zum 9. März täglich live aus dem Festival berichtet. Und Antony Hermus, der kreative GMD im Theater, lädt alle Möchte-gern-Komponisten zur Einsendung von Eigenkompositionen ein – ausgerechnet mit und über Twitter. So soll eine Twitterfonie entstehen: Wer Lust hat, sendet seine musikalischen Ideen mit maximal 140 Zeichen über eine Interseite an das Kurt-Weill-Fest. Hermus verspricht, diese Rumpf-Tonfolge von international tätigen Arrangeuren setzen zu lassen und am 3. März als „orchestrales Gesamtkunstwerk“ mit der Philharmonie Dessau aufzuführen. Medienaktuell wird dieses Kunstwerk ein wenig später als livestream weltweit zugänglich sein! Eine verrückte Idee? Ganz gewiss – und sicher auch gewagt und mit offenem Ergebnis, aber mutig und als Experiment nötig – und sehr im Sinne von Kurt Weill. In den Niederlanden hat es ähnlich schon einmal funktioniert. Also, wer Lust hat: Am 2. März schnell die eigene neue Melodie twittern, um es sich am nächsten Tag zu Hause bequem zu machen und einem völlig unbekannten neuen Orchesterwerk zu lauschen, in dem man plötzlich die eigenen Töne wieder erkennt. Wahnsinn!

Angesichts der aktuellen Kulturpolitik in Sachsen-Anhalt wie in Thüringen könnte man meinen, Bert Brecht habe eine Analyse der heutigen Praxis im Sinn, wenn er schreibt: „ Ein Mann, der was zu sagen hat und keine Zuhörer findet, ist schlimm dran. Noch schlimmer sind Zuhörer dran, die keinen finden, der ihnen etwas zu sagen hat“. Nun wächst die Spannung, was denn die Zuhörer musikalisch zu sagen oder besser: zu twittern haben.

Horst Dichanz, 28.2.2014

 


Kurt Weill ist nicht nur Komponist der
Klassischen Moderne, sondern hat auch
früh nach neuen Verbreitungsformen
der Musik gesucht.


Er leitet das Orchester, das vermutlich
weltweit am häufigsten Kurt Weill spielt.
Antony Hermus freut sich auf die
Ergebnisse des diesjährigen Kurt-Weill-
Festes.


Radio ist ein großartiges Medium.
Wenn es sich weiter entwickelt und
neue Formen der Vermittlung findet.


Tweetfonie ist ein Projekt, das in die
Zukunft weisen könnte. Nach dem
Weill-Fest werden wir wissen, ob es ein
netter Gimmick oder ein Riesenerfolg
wird.