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Alt und jung treffen sich


 
 

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Begegnung zweier Welten

Der tiefe Süden der USA ist eher nicht die Gegend, die man für die Aufführung von zeitgenössischen Opern für typisch hält. Besonders nicht für Werke von Komponisten wie Wolfgang Rihm oder Toshio Hosokawa. Dennoch ist es nicht New York oder Boston, sondern Charleston, South Carolina, wo die Nô-Oper Matsukaze ihre amerikanische Erstaufführung in der letzten Saison erlebte. Seit seiner Gründung 1977 hat das Spoleto Festival in den USA über 200 Weltpremieren oder amerikanische Erstaufführungen auf die Bühne gebracht. In dieser Saison, die vom 23. Mai bis zum 8. Juni dauert, bringt Michael Nyman zum ersten Mal seine Oper Facing Goya auf die Bühne. Auch eine Neuinszenierung von John Adams‘ El Niño steht auf dem Programm.

So wie das ursprüngliche Festivale dei Due Mondi,1958 vom italienischen-amerikanischen Komponisten Giancarlo Menotti in der verarmten umbrischen Kleinstadt Spoleto gegründet, bietet das Spoleto Festival USA sowohl eine Bühne für junge Künstler als auch ein Fenster internationaler künstlerischer Entwicklungen. Dass dabei gleichzeitig die örtliche Wirtschaft angekurbelt wird, nimmt man in Charleston gern in Kauf. 70.000 bis 80.000 Besucherinnen und Besucher nehmen das Angebot des Festivals jedes Jahr wahr. Heutzutage bietet das Festival Musik aus allen Richtungen neben Theater und- Tanzveranstaltungen sowie bildender Kunst. Während Menotti – der in den 1990-er Jahren das amerikanische Festival wegen eines Streits mit der Administration verlassen musste – seine eigenen Werke in den Mittelpunkt des Opernprogramms stellte, setzt der aktuelle Generaldirektor Nigel Redden und seine künstlerischen Leiter auf Abenteuer im breiteren Sinne.

„Ich schätze, dass der Großteil des Publikums weder von Matsukaze noch Hosokawa gehört haben“, sagt Redden. „Ich glaube, das Festival selbst ist zum zentralen Anziehungspunkt geworden. Die Zuhörer sind bereit, neue Sachen auszuprobieren, die sie anderswo vielleicht so nicht sehen würden.“ Mehr als die Hälfte des Publikums besteht aus Zugereisten, die die Stadt oft nur einmal besuchen und zwischen gleichzeitig stattfindenden Konzerten von Jazz- bis Weltmusik auswählen. „Sie brauchen keine Karten für die Oper zu kaufen, aber zum Glück nehmen viele das Angebot wahr“, erzählt Redden. Die vierte Vorstellung von Matsukaze im Dock Street Theater, das als erstes Gebäude des Landes gilt, das als reines Theater errichtet wurde, ist stets gut besucht.

Menottis Vision, die Horizonte der Zuschauer zu erweitern und eine internationale Synergie zu schaffen, hat sich trotz seiner dramatischen Vertreibung durchgesetzt. Für den Dirigenten und Komponisten John Kennedy, der sowohl orchestrale Aktivitäten als auch die Neue-Musik-Serie Music in Time leitet, hat das Festival die Aufgabe, dem gesamten Spektrum der Neuen Musik zu dienen. Im Gegensatz zu Europa förderten führende Opernhäuser oder Klassikinstitutionen mit Repertoire in Amerika nicht ihren eigenen wegweisenden Komponisten, erklärt Kennedy. Der Cage-Protegé erinnert sich mit einem Lächeln an Menottis Reaktion, als ein Cage-Werk erstmals aufgeführt wurde. „Was macht er auf dem Programm meines Festivals?“ fragte er mit einem Schlag auf Kennedys Brust. Dann lachte er. „Wir liegen an entgegengesetzten Punkten des Universums. Aber er gefällt mir.” Anlässlich der 100-Jahr-Feiern für John Cage im vergangenen Jahr erlebten seine orchestrale Werke Twenty-Eight, Twenty-Six and Twenty-Nine ihre amerikanischen Erstaufführungen neben 48 Responses to Polymorphia und Doghouse des Radiohead-Gitarristen und Komponisten Johnny Greenwood. Werke, die sich nach Ansicht Kennedys alle auf die Organisation von Klang in der Zeit beziehen.

Zeitgenössische Musik wird selbstverständlicher

Das Festivalorchester besteht wie in Tanglewood oder Luzern aus jungen vorberuflichen und professionellen Musikern, die durch ein Stipendiumsprogramm gefördert werden. Kennedy bewundert, wie schnell das Ensemble auf komplexe Partituren eingehen könne, ohne die lange Vorbereitung, die noch vor sechs Jahren nötig war – so schnell hat sich die Ausbildung von Streichtechnik und Wahrnehmung expressiver Möglichkeiten in der zeitgenössischen Musik entwickelt. Die jungen Orchestermitglieder werden zum Teil persönlichen Sponsoren zugewiesen, die sich dann als Gastgeber zur Verfügung stellen. In der Regel spenden die Sponsoren aber allgemein für das Festival; die Mitglieder des Vorstands müssen einem Programm zustimmen, haben aber nicht das Recht, sich in einzelne Details einzumischen. Das Budget von rund sieben Million Dollar wird von über 95 Prozent mit privaten Spenden unterstützt, wobei die Stadt Charleston eine wesentliche Rolle spielt, indem sie dem Festival in jeder Hinsicht eine ideale Infrastruktur anbietet.

Das Timing des Festivals zum Sommeranfang sowie die Kosten, die schicke Stadt Charleston zu besuchen, sprechen ein eher älteres Publikum an, was einen seltenen Kontext für Neue Musik herbeiführt. Die Kammermusikreihe, seit 2010 unter Leitung des jungen Geigers Geoff Nuttall, vor kurzem als „John Stewart der Kammermusik“ in der New York Times genannt, folgt den Fußstapfen seines Vorgängers Charles Wadsworth. Es bildet ein dynamisches Format mit ironischem Kommentar und witzigen, pädagogischen Einführungen, die das gereifte Publikum oft erheitern. „Falls Sie die Vögel nicht hören, gehen Sie lieber weg“, empfiehlt Nuttall vor einer Septett-Besetzung von Vivaldis Spring. Ein neues Streichquartett von Samuel Carl Adams, der im vergangenen Jahr Composer-in-Residence war, griff die Atmosphäre mit einem Humor auf, der sowohl an Nuttall als auch an Haydn denken ließ. Ähnlich wie bei Georg Friedrich Haas in seinem Mozart gewidmeten Werk für Streichensemble mit dem Titel sodaß ich’s hernach mit einem Blick gleichsam wie ein schönes Bild…im Geist übersehe entstand eine klassische Melodie wie ein Gespenst aus einem mikrotonalen Gewebe.

Dekonstruktion bleibt wichtiges Prinzip

Bei Adams wird Tradition aber weniger mit Nostalgie betrachtet, als bewusst dekonstruiert. Neckische, unvollendete Kadenzen erzeugen sowohl Gelächter als auch eine riesige Spannung, die sich am Ende nicht auflöst. Der 28-jährige Komponist erzählt auf der Bühne, wie ein Adorno-lesender Kollege an der Uni ihn vor den Schwierigkeiten der Gattung des Streichquartetts gewarnt hatte. Für Adams war die Leichtfertigkeit von Komponisten wie Haydn und Mozart eine wichtige Inspirationsquelle. „Ich glaube, ihr Humor wird oft nicht wahrgenommen“, ist Adams überzeugt. „Mit diesem Auftrag wäre es auch unmöglich gewesen, nicht an die Persönlichkeit des Quartetts und besonders Geoff Nuttalls zu denken.“ Für den in Kalifornien geborenen und in Brooklyn lebenden Komponisten herrscht im Festival eine eher konventionelle Atmosphäre, aber es sei sehr wichtig, sich in so viele verschiedene Kontexte wie möglich einzubringen. „Die Kritik von anderen Komponisten ist nicht die einzige, die gültig ist.“

Anders als bei reinen „Neue-Musik-Veranstaltungen“ finden zeitgenössische Werke bei Kultur-Festivals wie Spoleto USA auch neuen, vielleicht unerwarteten Bezug zu den Klassikern. Redden bemerkt, wie die Kluft zwischen verschiedenen Richtungen – Downtown und Uptown, Zeitgenössisch und Klassik – langsam überbrückt wird. „Vor einigen Jahren hätte man nie ein Solo-Perkussionswerk von Xenakis neben Schubert im Kammermusikprogramm oder eine vollinszenierte Phillip-Glass-Oper in unserer Hauptserie gehabt“, so der Generaldirektor, welcher Glass 1981 zum ersten Mal beim italienischen Spoleto-Festival erlebte. „Die Nebeneinanderstellung von Werken lässt an die Überschneidungen denken, was eigentlich der Sinn des gesamten Festivals ist. Man erfährt alles von Shakespeare bis Hosokawa und sie bereichern einander.“

Rebecca Schmid, 25.2.2014

 


Nigel Redden leitet aktuell das Spoleto
Festival USA, das sich die Verbindung
verschiedener Kunstrichtungen zum
Ziel setzt.


Die Oper Matsukaze gehörte zu den
großen Erfolgen des vergangenen
Jahres.


Nicht die Oper steht im Zentrum des
Festivals im Süden Nordamerikas.
Trotzdem erfreut sie sich größter
Beliebtheit. In diesem Jahr findet sich
Facing Goya auf dem Programm.


Wer John Cage für zeitgenössisch hält,
ist in Spoleto falsch. Cage ist längst
tot. Der Nachwuchs ist in Charleston.


John Kennedy, Komponist und
Dirigent, leitet die Reihe Music in
Time
und verantwortet die orchestralen
Aktivitäten.