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Filmfest in Braunschweig


 
 

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Emotionaler Abschied

Das Internationale Filmfest in Braunschweig ist im Lauf der vergangenen drei Jahrzehnte zu einer angesehenen Institution gewachsen. Maßgeblichen Anteil daran hatte der Künstlerische Leiter Volker Kufahl, der in diesem Jahr zum letzten Mal für das Festival verantwortlich zeichnet.

Volker Kufahl geht weg. Über zwölf Jahre hat er das Internationale Filmfest Braunschweig aufgebaut, geprägt  und europäisch ausgerichtet. Anfang Dezember wechselt er nach Schwerin, um dort die Geschäftsführung der Filmland Mecklenburg-Vorpommern und die künstlerische Leitung des Filmkunstfestes Mecklenburg-Vorpommern zu übernehmen. Wer in seine Fußstapfen tritt, steht bislang noch nicht fest.

Das Braunschweiger Festival ist das älteste Filmfestival Niedersachsens. In diesem Jahr geht es in die 27. Runde. In der Stadthalle Braunschweig werden mehr als 160 Lang- und Kurzfilme auf sechs Kinoleinwänden gezeigt. Daneben erwarten die Besucher zahlreiche Sonderveranstaltungen.

Entstanden ist das Filmfest 1987. Zwanzig Hochschulstudenten, Absolventen der Braunschweiger Filmklasse und Mitglieder der „Filmkoop“ schlossen sich zusammen, weil Ihnen das cineastische Angebot in der Stadt nicht ausreichte. Mit viel ehrenamtlichem Engagement und großem Enthusiasmus stellten sie ein eigenes Programm zusammen, das heute mehr als 25.000 Besucher anzieht.

Kufahl etablierte 2001 den festen Festivalschwerpunkt „Musik und Film“ und engagierte sich seit 2002 stark im filmkulturellen Austausch mit der niedersächsischen Partnerregion Haute-Normandie in Nordfrankreich. Weiter profilieren konnte er das Festival mit der Einrichtung des Kurzfilm-Musikpreises „Der Leo“, des Europäischen Schauspielpreises „Die Europa“, mit dem das Festival unter anderem Bruno Ganz und Isabelle Huppert nach Braunschweig holen konnte, und des Deutsch-französischen Jugendpreises „Kinema“.

„Das Filmfest Braunschweig verdankt Volker Kufahl viel und bedauert seinen Wechsel, weiß aber, dass im Kulturbereich ein Wechsel nach so vielen Jahren verständlich ist“, betont Edgar Merkel, Vorstand des Vereins Internationales Filmfest Braunschweig.

Und so startet das 27. Internationale Filmfest mit eben jener engen Verbindung von Musik und Film, die Kufahl so am Herzen liegt: In Kooperation mit dem Staatsorchester Braunschweig, einem der weltweit ältesten Kulturorchester, wird der Stummfilm Blancanieves aufgeführt. Gut 1400 Zuschauern sind gekommen, um sich diesen hochdekorierten spanischen Stummfilm anzuschauen, der auf deutsch Schneewittchen heißt. Der Film hat bereits zehn Goyas auf dem Filmfestival v on San Sebastian, darunter auch den für die beste Filmmusik, gewonnen. Zudem geht das Werk von Pablo Berger als spanischer Beitrag in das Rennen um den „Auslands-Oscar“ 2014. Musikalisch unterlegt wird die deutsche Erstaufführung vom Staatsorchester Braunschweig unter Leitung von Helmut Imig in Gegenwart des Komponisten Alfonso de Vilallonga. Dieser unterstützt das Orchester tatkräftig, indem er selbst am Flügel, an der Ukulele und am Schifferklavier spielt. Außerdem begleitet eine Flamenco-Gruppe das musikalische Geschehen.

Schneewittchen als Stummfilm

In der Braunschweiger Stadthalle verfolgen die Besucher die Geschichte des spanischen Schneewittchens, das einen Schicksalsschlag nach dem nächsten erleidet: Carmen, die Tochter eines berühmten Matadors, verliert direkt nach ihrer Geburt zunächst ihre Mutter, dann den nach einem Stierkampf verletzten Vater. Dieser ist nämlich im Rollstuhl gefangen und lebt mit seiner neuen Frau auf einem abgelegenen Landgut. Nachdem Carmens erziehungsberechtigte Großmutter verstorben ist, muss sie im Haus der bösen Stiefmutter leben, die sie zu niedrigsten Arbeiten verdammt. Nach dem mutwillig herbeigeführten Tod des Vaters versucht die Stiefmutter, auch das Mädchen zu beseitigen. Doch Carmen gelingt die Flucht zu einer Schaustellertruppe kleinwüchsiger Toreros, entdeckt ihre wahre Berufung und wird zur Königin der Corridas.

Dieser zutiefst tragische, unglaublich packende Film wird durch Villalongas Orchestermusik zu einem berührenden Ereignis. Dirigent Imig führt das Staatsorchester durch die wildesten Gefühlswechsel. Mal trumpfen die Musiker mit Dramatik und Leidenschaft auf, dann holen sie die spanische Leichtigkeit, die sich besonders in den Flamenco-Szenen durch Gesang, Gitarre und kastagnettengleichem Klatschen ausdrückt, auf die Bühne. Die Brüche nach den Szenen sind mitunter so radikal, dass der Zuschauer wieder in die filmisch-musikalische Realität zurückgeholt wird: Das harmonische Nebeneinander beider Sinnesreize – Sehen und Hören – lässt wirklich vergessen, dass auf der Bühne ein Live-Orchester spielt. Kaum ist der letzte Ton verstummt, bricht minutenlanger Applaus los, auch standing ovations gibt es nach der eindrucksvollen Aufführung. Kufahl hat wieder einmal bewiesen, dass das Filmfest eine unabdingbare Bereicherung des niedersächsischen Kulturlebens ist.

Agnes Beckmann, 8.11.2013

 


Großer Andrang beim Filmfestival: Bis
zu 25.000 BesucherInnen werden in
der Stadthalle erwartet.


Unter der Ägide Volker Kufahls
entwickelt das Festival seinen
Schwerpunkt „Film und Musik“.


Eindrucksvolle Atmosphäre, wenn
das Staatsorchester Braunschweig
Blancanieves mit der Musik von
Alfonso de Villalonga untermalt.


Der Moment des Abschieds:
Volker Kufahl nimmt seine
Abschiedsgeschenke entgegen.

Fotos: Marek Kruszewski