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Geraspelt und gehobelt


 
 

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Es ist angerichtet

Im Rahmen des N.A.T.U.R.-Festivals präsentieren die Bochumer Kammerspiele das Vegetable Orchestra, eine Musikergruppe, die höchst verderbliche Instrumente auf der Bühne präsentiert. Irgendwann ist auch der letzte satt.

Schon der Blick auf die Instrumente ist ungewöhnlich und verwundert: Mehrere Behälter mit großen Karotten, teils ausgehöhlt, Hokaido-Kürbisse, Lauchstangen, ein größerer Petersilienbusch, Musterexemplare an Radis… Davor Notenpulte mit beschriebenen Blättern – Noten ? - zahlreiche an Ständern installierte Mikros, ein Plattenspielerschrank, acht Stühle.

Die Musiker nehmen Platz. Nach kurzer Ansage eines Gemüsetitels setzt der Kürbis mit dunklem, schnellen 4-er-Rhythmus ein, eine kleine Kürbisblocktrommel legt einen schnellen Rhythmus darüber, ein E-Ton wird eingemischt, dann treten zwei Möhren und eine ausgehöhlte Radi mit rhythmischen Tönen hinzu, eine kleine Schüssel mit weissen Bohnen legt einen Cabasaklang darunter – ein Rhythmusgeflecht in leichtem Latin-Flavour füllt ungewohnt aber gekonnt den Raum, die Zuhörer nehmen den Rhythmus auf. Nun tritt eine Basskarotte mit flötenähnlichen Tönen hinzu, zwei Radis liefern kurze, hornähnliche Töne. In strengem, flotten Rhythmus folgen die Musiker, vier Damen und vier Herren, einer Absprache, die der zweite Kürbist als „Komposition“ angekündigt hat.

Im nächsten Stück rauschen neben den schon beschriebenen Instrumenten ein großer Petersilienstrauß mit, frische Lauchstangen quietschen, eine gestopfte Paprika, eine ausgehöhlte Steckrübe und – besonders originell, aber wirksam – Knickbohnen kommen zum Einsatz. Diese frischen Stangenbohnen erzeugen, direkt vor dem Mikro gebrochen, einen herrlich knackigen, kurzen Ton, dem Randschlag auf eine Trommel ähnlich. – Und weiter dröhnen die Kürbistrommeln als stehende Bässe. In einem weiteren Stück bedienen sich die kreativen Wiener eines Grammophons und einer Schelllackplatte, deren Musik sie – wohl doch etwas verfremdend – mit einer Porreéstange abtasten und verstärken. Der Kohlrock für vier Wirsingköpfe bleibt ein rauschender Eintopf, dessen Struktur kaum erkennbar wird, die Vorbereitung des angekündigten Eintopf schreitet voran.

Das Vegetable Orchesta, wie sich die 1998 gegründete Gruppe Wiener Kreativkünstler nennt,  führt 11 MusikerInnen und 3 Soundspezialisten zusammen, die inzwischen mit ihren Gemüsekonzerten weltweit aktiv und gefragt sind. Ihre Auftritte reichen von Berlin über London, St. Petersburg, Hongkong, bis nach Bonn, wo sie im Rahmen des diesjährigen Beethovenfestes auftreten werden. 

Ein solch kreatives Musikereignis lässt sich schwer einordnen. Oper – da fehlen Dramatik und schöne Stimmen, Musiktheater – dazu ist der Handlungsfaden zu dünn, Konzert – das hängt vom Musikbegriff ab. Immerhin deuten einige Elemente auf die Nähe zur Musik hin: Es gibt klare und bestens heraus gespielte Rhythmen und Chorusse, die Notationen lassen Strukturen erkennen, Tonarten und Modi sind schwer auszumachen, obwohl die Soprankarotte einen Ton zum Einstimmen vorgibt, im Spielmodus sind die Übergänge zwischen Dur und Moll fließend... Die Wiener Gruppe beschreibt ihren Auftritt als performatives Konzert, auch konzertante Performance wäre okay.

Ist das Ganze mehr als ein Jux zur Sommerzeit? Die Idee kann einmal als Anregung für eine sehr motivierende frühkindliche Rhythmuserziehung weiter ausgebaut werden. Zum anderen ist sie ein wirklich gelungener Spaß für die Zuschauer, die im besonders zubereiteten frischen Gemüse zahlreiche optische Anreize bekommen und einen  rhythmisch anspruchsvollen als auch mit originellen Klangbildern gefüllten Abend erleben. Häufiger Zwischenapplaus und ein johlender Schlussbeifall zeugen von der hervorragenden Stimmung, die dieser Eventabend hinterlässt. Er geht zwanglos in das Bühnenpicknick mit vorbereitetem Frühlingseintopf über, den Karottisten, Kürbisten und Aubergineter austeilen. Wohl bekomm's.

Horst Dichanz, 15.4.2012

 


Notenbeispiel


Gemüseinstrumente


Party-Kehraus


Gestopfte Radi-Paprika