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Werbeblock für die Oper
Dass das Erlebnis Oper nicht an eine Institution gebunden werden muss, ist in der Kinder- und Jugendarbeit der Opernhäuser längst Binsenweisheit. Die Komische Oper Berlin geht jetzt einen Schritt weiter und will die Menschen da abholen, wo sie sich heimisch fühlen. Das Besondere: Die Berliner kümmern sich nicht um scheinbare Kultur- und Sprachgrenzen.
Also, mein Herz habt ihr erobert“, schwärmt Ender Karakaya, eine häufige Besucherin im Nachbarschaftshaus an der Cuvrystraße in Berlin, nachdem sie in einer etwa halbstündigen Vorstellung eine Sängerin und einen Sänger aus dem Opernstudio der Komischen Oper erleben durfte, die in Begleitung von zwei Musikern des Orchesters und einem Bajan-Spieler eine kleine Auswahl an Arien und Duetten aus mehr als dreihundert Jahren Operetten- und Operngeschichte präsentiert haben. Auch Medina Seliva ist begeistert: „Wir hatten das Gefühl, allesamt in der ersten Reihe sitzen zu dürfen. So nah waren wir an den Sängern dran.“
Genau so hat es sich Intendant Barrie Kosky vorgestellt: „Zur Tradition der Komischen Oper Berlin gehört es, möglichst alle Berliner anzusprechen. Dazu reicht es nicht, im Opernhaus zu warten, bis die unterschiedlichen Menschen von ihrem Kiez aufbrechen und zu uns kommen. Vielmehr müssen wir auch unser Haus verlassen, in die Kieze gehen und Oper dorthin bringen, wo man diese einzigartige Kunst womöglich noch nicht kennt.“ Kosky verbindet seine Ideen mit dem Projekt Selam Opera!, das die Komische Oper aufgelegt hat, um türkischstämmiges Publikum anzusprechen.
Mit der Unterstützung verschiedener Sponsoren ist in diesen Tagen erstmals der Operndolmuş auf Reisen gegangen. Ein Dolmuş ist ein – meist vollbesetzter – Kleinbus in der Türkei, der dort zu den preiswertesten Fortbewegungsmöglichkeiten gehört und bei vielen Türkei-Touristen Kultstatus genießt. Solch ein Dolmuş fährt ab sofort Begegnungsstätten, Seniorenheime, Migrantenorganisationen oder auch Bildungseinrichtungen in Stadtteilen mit einem besonders hohen Anteil an Menschen aus verschiedenen Kulturkreisen an. Ziel des Vorhabens ist, Menschen in ihren Stadtteilen aufzusuchen und „vor Ort“ Brücken zur Welt der Oper aufzubauen.
Zur Auftaktveranstaltung tourt der Bus einen ganzen Tag lang durch Berlin und besucht die Seniorenfreizeitstätte Kreuzberg, das Nachbarschaftshaus Centrum in der Cuvrystraße und das Elterncafé der Otto-Wels-Grundschule. Das vielfach türkischstämmige Publikum bekommt die Habanera aus Carmen auf Türkisch zu hören. Das ist eindrucksvoll und öffnet die Herzen. Damit erreicht Mustafa Akça, der verantwortliche Dramaturg, den eigentlich wichtigen Teil der Veranstaltung: Er eröffnet den Dialog zwischen Besuchern, Sängern und Musikern. So entsteht Verständnis, Nähe – und vielleicht auch Lust auf Oper.
Ein Bus mit Modellcharakter
Berührungsängste sind dabei vollkommen überflüssig. Gibt es doch beispielsweise in der Türkei eine ähnliche ausgeprägte Opernkultur, wenn auch in kleinerem Ausmaß. Und so dürfte für Türken wie für Deutsche das gleiche Phänomen gelten: So lange die Menschen nicht mit Oper in Berührung gekommen sind, meiden sie sie wie die Pest. Erst, wenn sie – gerne auf Augenhöhe – diese Kunstform kennengelernt haben, wächst die Begeisterung schnell. Damit kann das Berliner Modell auch für andere Städte durchaus Signalfunktion haben. Schließlich gilt es vor dem Hintergrund ständiger Einsparungen, neue Zielgruppen zu erschließen. Oper ist auf der Bühne längst eine internationale Angelegenheit. Da wäre es doch an der Zeit, auch im Saal eine bunte Mischung aus vielen Völkern zu erreichen. Und dann hätte der Werbeblock im Nachbarschaftszentrum doch sein Ziel erreicht.
Michael S. Zerban, 25.4.2013
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