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Kaum Oper in Barcelona


 
 

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La ópera más triste

Massive finanzielle Einschnitte zwingen das Gran Teatro del Liceo in Barcelona in die Knie. Folgen sind Kürzungen im Programmangebot und bedrohte Arbeitsplätze. Ein vorläufiger Zustandsbericht.

Die allertraurigste Oper“ steht derzeit in Barcelona. Das traditionsreiche Opernhaus – El Gran Teatro del Liceo – sieht sich derzeit gravierenden Turbulenzen ausgesetzt, die es an den Rand der Handlungsfähigkeit bringen, genau betrachtet, schon über sie hinaus. Budgetkürzungen, Einnahmerückgänge und unerwartet angedrohte weitere finanzielle Einschnitte zwingen zu einer schwerwiegenden temporären Schließung des Opernhauses schon während der laufenden Saison und zu einer weiteren Reduzierung des Angebots in den kommenden beiden Spielzeiten. Der Imageschaden für ein Opernhaus, das geschlossene Verträge nicht einhalten kann, aber auch für eine Stadt, die sich gerne als kulturelles Zentrums Spaniens und als Weltstadt sieht, ist beträchtlich.

Ursache der finanziellen Schieflage, so Pressesprecherin Isabel Santana Turégano gegenüber Opernnetz, ist eine zehnprozentige Kürzung der spanischen Regierung am Opernbudget für die Spielzeiten 2010/11 bis 2012/13. Doch dabei soll es nicht bleiben: Weitere Sparmaßnahmen sind vom Kulturministerium der neuen Regierung angekündigt, und auch das katalanische Parlament stellt neue Kürzungen in Aussicht, ohne das bisher in Zahlen zu fassen. Bereits in dieser Spielzeit sank der Anteil der Region um 1,5 Millionen Euro. Der Etat des Gran Teatro del Liceo wird getragen von der Autonomen Region Katalonien, der Stadt Barcelona, der Provinz Barcelona und dem spanischen Kulturministerium. Um ein Defizit von 3,7 Millionen Euro, verursacht durch die Subventionskürzungen und geringere Einnahmen aus Mäzenatenkreisen und Kartenverkäufen, zu kompensieren, hat die Opernleitung gravierende Sofortmaßnahmen ergriffen, die in der aktuellen Opernszene geradezu singulären Charakter haben. Operndirektor Joan Francesc Marco streicht aus der aktuellen Saison die Aufführungszyklen - in Barcelona wird stagione gespielt - der beiden Kurzopern Eine florentinische Tragödie und Der Zwerg von Alexander von Zemlinsky, die Neueinstudierung einer Produktion von Andreas Homoki, die bereits in Berlin an der Komischen Oper und an der Belgischen Nationaloper La Monnaie erfolgreich gelaufen ist. Ebenso gestrichen werden Debussys Pelléas et Mélisande sowie El Giravolt de maig von Eduard Toldrà anlässlich seines 50. Todestages. Abgesagt ist auch das Gastspiel des Balletts von Monte-Carlo, ein Begleitkonzert zu Debussy mit anderen Pelléas-Vertonungen (El otro Pelléas), ein Recital mit Nina Stemme sowie das Jugendpogramm El Petit Liceu mit El Superbarbero de Sevilla. Unterm Strich führt das zu einer Schließung des Barceloneser Opernflagschiffs von knapp zwei Monaten, vom 20. März bis zum 10. April und vom 5. Juni bis zum 8. Juli 2012, also genau 57 Tage. Publikumsrenner wie Aida, La Bohème, Zauberflöte oder Adriana Lecouvreur bleiben unbehelligt. Auch an den Plänen für das prestigeträchtige Bayreuth Festival im September 2012 - Solisten, Orchester und Chor der Bayreuther Festspiele gastieren konzertant mit Der fliegende Holländer, Lohengrin und Tristan und Isolde – wird festgehalten.

Gegenüber La Vanguardia, der führenden Barceloneser Tageszeitung, begründet Joan Francesc Marco die Auswahl mit tendenziell geringeren Vorverkaufs- und Abozahlen dieser Produktionen. Es sind bei Zemlinsky 7.700 Karten im Wert von 600.000 Euro und bei Debussy 8.000 Karten im Wert von 640.000 Euro, das sind jeweils rund 50 Prozent Auslastung; Einnahmen, für die jetzt verschiedene Rückerstattungsmodelle aufgelegt wurden, wie Gutscheine für andere Stücke oder die Verrechnung mit zukünftigen Abos.

Hart trifft es die Mitarbeiter des Opernhauses, die bereits mit ersten Protestaktionen an die Öffentlichkeit getreten sind. Mit Bannern The saddest operahouse und La ópera más triste demonstrierten sie Ende Januar auf der Rambla vor den Toren des Liceo dagegen, dass sie es sind, die die Sparlast zu erbringen haben. Die 393 Mitarbeiter, so sieht es ein Beschäftigungsplan - Expediente de Regulación de Empleo (ERE) - der Opernleitung vor, bleiben zwei Monate ohne Arbeit und Lohn, was eine zu erwartende Einsparung von 2,6 Millionen Euro erbringen soll. In den nächsten beiden Spielzeiten wird das Aufführungsangebot um 20 Prozent reduziert, das heißt von 100-120 Veranstaltungen in den letzten Jahren auf 80-100, was ebenfalls mit einer Reduzierung des Personals verbunden sein wird. Bereits in den letzten Jahren wurde das Personal um rund 10 Prozent reduziert. Weitere 500.000 Euro sollen eingespart werden durch den Verzicht auf audiovisuelle Aktivitäten wie der Produktion von DVDs, die fehlenden weiteren 500.000 Euro durch Kostenreduzierungen und Nachverhandlung externer Verträge.

Ganz ähnliche Szenen übrigens auch im Theater: Das renommierte Schauspielhaus Teatre Lliure unter der Leitung von Lluís Pasqual sah sich durch Subventionskürzungen seitens der Regionalregierung zur Streichung von drei Produktionen gezwungen und verkürzt die Spielzeiten durch ein früheres Ende im Sommer sowie einen späteren Start im Herbst.

Dirk Ufermann, 9.2.2012


Die Mitarbeiter des Gran Teatro del
Liceo fürchten um ihre Arbeitsplätze.


Die Pracht verliert angesichts aktueller
Entwicklungen an Glanz.


Intendant Joan Francesc Marco muss
die Oper durch schwere Zeiten führen.