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Festival für einen Monat


 
 

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Großartige Verbindung

Wuppertal ist immer für eine Überraschung gut. Während der Intendant des Schauspiels, Christian von Treskow, und das Opernensemble sich auf ihren Abschied vorbereiten, findet jenseits der Bühnen ein Projekt seine Umsetzung, das zu den aufregendsten dieser in vielerlei Hinsicht letzten Spielzeit der Wuppertaler Bühnen werden könnte. Das Fux-Festival ist eröffnet.

Der Tanzboden eines der ehemals beliebtesten Ausflugslokale Wuppertals ist gerichtet. Am Kopfende und zu den Seiten haben die Zuschauerinnen und Zuschauer auf Stühlen, Tischen, Sitzkissen Platz genommen, die Technik der Wuppertaler Bühnen hat sparsames Scheinwerfer-Equipment aufgebaut. In der Küche nebenan ist das Rauschen der Spülmaschine zu hören und mischt sich mit den meditativen Klängen der Musik, die eher an Rückkopplungen erinnern. Auf den polierten Holzdielen des Tanzbodens steht reglos Paul White. Er trägt eine Kniebundhose und ein T-Shirt. Seit zwei Jahren lebt und arbeitet er als Tänzer des Pina-Bausch-Ensembles in Wuppertal. Mit dem seitlichen, fast unmerklichen Neigen seines Kopfes beginnt die Reflexion Anatomy of an Afternoon, die Martin del Arno und White preisgekrönt choreografiert haben. Der Kölner würde das Solo-Programm respektlos mit „Eene Besuch im Zoo“ übersetzen, del Arno sieht es eher als Hommage an das Ballett L’après-midi d’un faune von Vaslav Nijinsky. Insgesamt liegt der Kölner wohl näher an der Wahrheit. Alsbald gerät der Zuschauer in den Konflikt zwischen Tiere-Raten und der Bewunderung für die Artistik und Körperspannung Whites. Die exakten Setzungen sind ebenso faszinierend wie maximale Extensionen, die oft schon fern jeder Physiologie scheinen. Sein Leguan oder Gecko ist so genau wiedergegeben – und es ist faszinierend, wie exakt hier die Choreografen die Natur beobachtet und umgesetzt haben – dass das Erraten der nachfolgenden Tiere sich immer wieder in den Vordergrund drängt. Weil ein Hund nicht in den Zoo gehört, scheint es sich eher um die Gebärden einer Hyäne zu handeln, der Löwe wird klar erkennbar und der Affe ohnehin. Dazwischen immer wieder der Zoo-Besucher, der das Geschehen im Blick hat, oftmals expressiv von einem Käfig zum anderen wechselt. Die Darstellung des Affen, möglicherweise provokant gemeint, wird in zahlreichen Kritiken abgehandelt. Sie ist schlicht überflüssig und sprengt die Grenzen des guten Geschmacks. Poesie und Zauber eines Zoo-Besuchs werden nicht erlebbar. Da haben die Choreografen offenbar nicht genau hingeschaut. Dennoch ist das Publikum von der artistischen Leistung Whites begeistert. Viel Applaus für den Tänzer, der auf der Höhe seines Zenits scheint.

Ausflug in die Vergangenheit

Anschließend verliert sich das Publikum in den Gasträumen des ehemaligen Ausflugslokals Fuchspark, das seit mehr als hundert Jahren im Besitz und Betrieb der Familie Brackmann ist. Als das Tal noch unverbaut war, gehörte das Lokal zu den schönsten Aussichtspunkten Wuppertals. Vom Wintergarten aus, der sofort Assoziationen an den Kaffee am Nachmittag oder den gepflegten Tanztee am Sonntag in den 1960-er Jahren wachruft, ist inzwischen der Blick auf den Garten beschränkt. In den Gasträumen atmet der Geist eines kurzen, glücklichen Moments deutscher Geschichte. Hier fand der Stammtisch des Schützenvereins statt, der seinen Schießstand im Kellergewölbe betrieb, Keglerbünde trafen sich auf der Kegelbahn; zarte Bande wurden auf dem Tanzboden bei Walzer und Foxtrott geknüpft, und im Wintergarten genossen die älteren Herrschaften Kaffee und Kuchen. Nostalgie pur.

Als Anne Hirth das Gebäude entdeckte, dass die Brackmanns seit etwa einem Jahr nur noch zu besonderen Anlässen in Betrieb nehmen, wusste sie sofort, dass sie angekommen ist. Eigentlich wollte die Berliner Regisseurin nur ein eigenes Stück inszenieren und suchte dafür eine Bühne. So lernte sie Christian von Treskow kennen, damals und bis zum Ende dieser Spielzeit Intendant des Schauspiels der Wuppertaler Bühnen. Entstanden ist daraus das Fux-Festival. Mit einer Besonderheit. Das Festival wird es nur einmal geben. „Auf dem Berg wird gegessen, gesprochen, erlebt, Zeit verbracht werden. Da gehört das gemeinsame Essen genau so zum Kulturprogramm wie der Besuch eines Konzerts“, schildert Hirth die allmählich entstandene Idee des Festivals. 30 Tage Musik, Tanz, Theater und vieles mehr stehen auf dem Programm. „Mitglieder der Ensembles der Wuppertaler Bühnen verbünden sich mit KünstlerInnen der Freien Szene“, erzählt die Künstlerische Leiterin, „und schaffen so ein einmaliges Erlebnis.“ Gemeinsam mit Johanna-Yasirra Kluhs stemmt sie das eben begonnene Festival, das inzwischen in Themenreihen organisiert ist. Da gibt es Jazz-Musik in „unerhörten Konstellationen“ ebenso wie den guten alten Tanztee, musiktheatralische Aufführungen neben Vorträgen zum Begriff Heimat.

Ein einmaliges Ereignis

Einer der Höhepunkte, sagt Hirth, wird die Uraufführung Après-Schnitzel oder Mein Herz ist ein Grammophon. Hier präsentieren sich noch einmal Ensemble-Mitglieder des Opernhauses, nachdem alle, also Publikum und Ensemble gemeinsam, miteinander zu Abend gegessen haben. Eine gute Gelegenheit für die Wuppertaler, von ihrem Ensemble Abschied zu nehmen. Denn das wird es in der neuen Spielzeit nicht mehr geben.

Dass die so genannte Freie Szene an „originelle“ Orte abgedrängt wird, gehört zur Normalität. Im Fuchspark, der für einen Monat zum Fux wird, ist sie gut aufgehoben. Die morbide Nostalgie mischt sich in geradezu wunderbarer Weise mit der Stimmung der Veranstaltungen. Ein einmaliges Erlebnis. Und das wird es bleiben. Wer also an einem historischen Ereignis teilhaben möchte, muss sich beeilen. Das Festival ist seit diesem Wochenende in vollem Gange.

Michael S. Zerban, 31.5.2014

 


Der Eröffnungsabend gibt den Weg
des Festivals vor: Gemeinsam sitzen
Publikum am Tisch, um bei einer
musikalischen Aufführung zu essen.


Die künstlerischen Leiterinnen Anne
Hirth und Johanna-Yasirra Kluhs sorgen
einen Monat lang für täglich
wechselndes Programm.


Die Zusammenarbeit von Wuppertaler
Bühnen und Freier Szene wird von der
Kulturstiftung des Bundes aus dem
Fonds Doppelpass gefördert
.


Auch Außenveranstaltungen gehören
zum vielfältigen Programm des
Festivals, das es nur einmal einen
Monat lang gibt.


Paul White zeigt in ungewöhnlichem
Ambiente die preisgekrönte
Choreografie Anatomy of an Afternoon und kommt damit beim Publikum gut
an.

Fotos: Claudia Scheer van Erp