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NEWS 

Gedenken an die
Ur-Katastrophe


 

Nachgefragt




Johannes Neubert setzt sich als Vollblutmusiker und Kulturmanager für die Weiterentwicklung der Wiener Symphoniker ein. Der Geschäftsführer erklärt, wie es mit dem Orchester in Zukunft weiter geht (5'51).

 

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Nachdenklicher Neustart in Bregenz

Bei den Wiener Symphonikern beginnt eine neue Zeit. Mit Blick auf eine lange Tradition entwickeln 128 MusikerInnen ein anderes Selbstverständnis. Unterstützt werden sie dabei von ihrem neuen Chefdirigenten Philippe Jordan. Der hat seinen Einstand nicht in Wien, sondern in Bregenz gegeben. Nach exakt hundert Jahren gedenken die Symphoniker mit Brittens War Requiem einer der größten Katastrophen der Menschheitsgeschichte, der „Ur-Katastrophe“.

Nicht auszuhaltende drückende Schwüle, ein Himmel voller dunkler Wolken und dann prasselnde Regengüsse“. So beschreibt Schiffsbaudirektor Djorjde Cutkovic den Sommer in Serbien, als Kaiser Franz-Joseph in seinem Arbeitszimmer in der kaiserlichen Villa in Bad Ischl die Kriegserklärung Wiens an Belgrad unterzeichnet und damit den Ersten Weltkrieg auslöst. In Bregenz am Bodensee, auf den Tag einhundert Jahre später, beginnt der Tag freundlicher. Strahlender Sonnenschein erhitzt den Platz vor dem Festspielhaus bis zur Unerträglichkeit. Erst später am Tage wird die Witterung eintreten, die Cutkovic beschrieb.

Da ist die Bühne im Festspielhaus mindestens so voll besetzt wie der Zuschauerraum. Die Wiener Symphoniker führen Benjamin Brittens War Requiem konzertant auf. Unterstützt werden sie vom Prager Philharmonischen Chor, dem Bregenzer Festspielchor und den Wiltener Sängerknaben. Letztere bleiben leider und überflüssig bis zum Schlussapplaus hinter der Bühne verborgen. Für die Wiener Symphoniker ist es abseits des Gedenktages ein besonderes Konzert. Philippe Jordan steht am Pult. Es ist sein „inoffizielles“ Antrittsdirigat, denn natürlich muss die „offizielle“ Einführung in Wien stattfinden. Der smarte, 39-jährige Vollblutmusiker, Musikdirektor der Pariser Oper, der mit seinen strahlend blauen Augen, unkompliziertem Auftritt und der Akkuratesse eines Offiziers, gepaart mit der Coolness einer jungen Generation, die Herzen mindestens der Frauen öffnet. Mit oft zackiger Geste und intensivem Kontakt zu allen Beteiligten fesselt Jordan auch das Publikum. Seit seinem sechsten Lebensjahr spielt er Klavier, ging mit 16 aufs Konservatorium seiner Heimatstadt Zürich und startete von dort aus eine beachtliche Karriere als Dirigent. Jetzt ist er bei den Wiener Symphonikern angekommen und will sie auf ihrem neuen Weg begleiten. Das War Requiem ist ein erster Schritt.

Unverstanden eindrucksvoll

„Mein Thema ist der Krieg und das Leid des Krieges. Die Poesie liegt im Leid… Alles, was ein Dichter heute tun kann, ist: warnen.“ Diese Worte des Librettisten und Dichters Wilfried Owen, der selbst in den letzten Tagen des Ersten Weltkrieges umkam, sind der Partitur von Benjamin Britten vorangestellt. Und sie bestimmen das Geschehen. Aufgeschrieben auf Zetteln, die später, „vom Schlamm der Schützengraben“ besudelt, gefunden wurden. So will es die Legende. Owens expressive Texte mischt Britten mit lateinischen Totenmessen-Texten. Heraus kommt ein Werk, das immer für eine Gänsehaut gut ist. Ein guter Teil der Wirkung geht verloren, weil es keine Übertitelung gibt. Immerhin bleibt der Zuschauerraum halb erleuchtet, so dass, wer will, den Text im Programmheft verfolgen kann. Ein halber Genuss, wie auch die Solistenleistungen gemischt sind.

Mit der größten Selbstverständlichkeit wird an diesem Abend vom Blatt gesungen. Warum eigentlich? Während die Sänger wenigstens noch ihre Klavierauszüge in Händen halten, hat Sopranistin Oksana Dyka den ihren auf einem Notenständer abgelegt, den sie ständig hoch- und runterstellt, je nachdem, ob sie singt oder gesehen werden will. Ihr Gesang vermeidet Emotion, bleibt seltsam eintönig und lässt Raffinesse vermissen. Möglicherweise ist das der Rolle geschuldet, man kennt das aus anderen Aufführungen anders, aber das Publikum begeistert es nicht. Michael Volle, der Rabauke unter den Baritonen, fesselt mit dem Klang seiner Stimme, ohne eine Verständlichkeit zu erreichen, die dem Publikum weiterhülfe. Tenor Allan Clayton ist damit derjenige, der unter den Solisten das Publikum mit einem intensiven Klangerlebnis am ehesten erreicht. Da stehen die Chöre in nichts nach.

Jordan zeigt schon mal, was möglich ist mit den Wiener Symphonikern. Ausgeglichen, fein und transparent präsentieren selbst die Schlagwerker unglaubliche Nuancen. Im Gedächtnis bleibt das Querflöten-Solo.

Mit der Tradition in die Moderne

Dieser Auftritt war für die Wiener Symphoniker insofern wichtig, als sie damit ihren „neuen Weg“ markieren wollten. Den Aufbruch von der Tradition, die beibehalten werden soll, in die zeitgenössische Musik. Gar ein eigenes Label haben sie sich in München zugelegt – oder besser ein Sublabel bei Solo Musica als WS – um sich stärker als eigenständiges Orchester zu profilieren. In Bregenz hat Jordan jedenfalls schon einmal angedeutet, dass das möglich ist. Im September muss der Dirigent den verwöhnten Wienern zeigen, wie die Wiener Symphoniker sich in Zukunft präsentieren wollen.

In Bregenz ist das Publikum begeistert. Es hat in wundervoller musikalischer Darbietung erlebt, wie offen Österreich mit seiner schwierigen Vergangenheit umgeht, und bekundet mit langanhaltendem Beifall sein Einverständnis mit der Aufforderung, gegen Kriege aller Art aufzustehen. Diese Geste allerdings bleibt aus. Die Bregenzer Festspiele aber haben so deutlich an Format gewonnen.

Michael S. Zerban, 31.7.2104

 


David Pountney, Intendant der
Bregenzer Festspiele, findet kurz und
bündig eindrucksvolle Worte zur
Einleitung des Abends.


Oksana Dyka lässt sich von den
Wiener Symphonikern tragen, ohne
das Publikum emotional mitzunehmen.


Allan Clayton und Michael Volle
verleihen den Worten Wilfried Owens
würdevollen Ausdruck
.


Die Wiltener Sängerknaben müssen
draußen bleiben. Erst zum Schluss-
Applaus dürfen sie auf die Bühne.


Philippe Jordan, neuer Chefdirigent
bei den Wiener Symphonikern, hat
mit dem Orchester große Pläne für
die Zukunft entwickelt.

Fotos: Lisa Mathis