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Tradition trifft Moderne



 
 

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Die Notwendigkeit des Zeitgenössischen

Bei schönstem Frühlingswetter fand in diesem Jahr zum neunten Mal der Hilde-Zadek-Gesangswettbewerb in Wien statt. Einerseits ein internationaler Nachwuchswettbewerb, wie so viele andere auch, andererseits ein Wettbewerb, der sich ausdrücklich der zeitgenössischen Musik widmen möchte.

Ein Maler träumt von Häusern und einer schönen Architektur, in der der Mensch frei ist und dieser Traum wird Wirklichkeit.“ Diese Geisteshaltung von Friedensreich Hundertwasser mag dafür gesorgt haben, dass Hilde Zadek sich dafür entschied, ihren 80. Geburtstag im Wiener Hundertwasser-Krawina-Haus zu feiern. So versammelte sich dort am 15. Dezember 1997 eine illustre Gästeschar, darunter auch Zadeks engste Freundin Maria Venuti und der Rechtsanwalt Karlheinz Kirch. Die beiden, eigens aus Deutschland angereist, hatten ein ganz besonderes Geburtstagsgeschenk im Gepäck. Und so wurde es sehr feierlich, als die eine Sängerin der anderen die Gründungsurkunde für die Hilde-Zadek-Stiftung überreichte. Es wurde gleichzeitig die Geburtsstunde eines internationalen Nachwuchswettbewerbs für zeitgenössische Musik, der heuer zum neunten Mal ausgetragen wurde.

Maria Venuti und Karlheinz Kirch sind seit langem gute Freunde. „Meine Familie ist befreundet mit ihr. Sie hat bei uns auf der Hochzeit gesungen, 1973. Und sie kam von Amerika nach Deutschland in die Familie meiner Schwiegereltern. Um hier Deutsch zu lernen. Und der Kontakt zu ihr ist nie abgebrochen“, erinnert Kirch sich an die damals 20-jährige Sängerin. Ein Stipendium hatte ihr ermöglicht, nach ihrem Studium an der New Yorker Eastman School of Music an die Detmolder Musikhochschule zu wechseln. Dort lernte sie bei einem Meisterkurs Christa Ludwig kennen. Ein Elevenvertrag an der Staatsoper Wien war die Folge. Und an der Staatsoper traf sie Hilde Zadek. „Hilde hat mir das Singen von Grund auf neu beigebracht“, erklärt Venuti die bis heute enge Freundschaft zwischen den beiden Sängerinnen. Seit etwa drei Jahren war sie Professorin für Gesang an der Karlsruher Musikhochschule, als Kirch und sie auf einer gemeinsamen Autofahrt nach Italien die Idee der Stiftung entwickelten.

Einmal im Leben muss jeder eine Chance bekommen

Hilde Zadek selbst hat ein bewegtes Leben hinter sich, das zunächst gar nicht heiter begann. In Bromberg – dem heutigen polnischen Bydgoszcz – geboren, emigrierte sie 1935 nach Palästina, wurde dort Säuglingsschwester und studierte, nachdem ihre Familie nachgezogen war und die Eltern ein Schuhgeschäft aufgebaut hatten, Gesang am Jerusalemer Konservatorium. Auch bei ihr war es ein Stipendium, das sie letztlich nach Wien brachte und den Grundstein für eine Karriere an der Staatsoper legte. Der Rest ist Geschichte. Abschließend leitete sie fast anderthalb Jahrzehnte lang die Gesangsabteilung am Wiener Konservatorium. Bis ins hohe Alter gab sie Meisterkurse und unterrichtete privat Nachwuchssänger. Zadek darf vermutlich als Sinnbild für die Menschen stehen, die jetzt auf der Flucht sind, finanzielle Entbehrungen hinnehmen müssen, oft genug froh sein müssen, wenn sie noch eine Chance bekommen. Konsequent daher der Zweck ihrer Stiftung. „Sie hat aufgrund eigener Erfahrungen sehr oft erleben müssen, dass es sehr talentierte Leute gab, die am Ende ihrer Ausbildung letztendlich zum Tellerwäscher wurden, oder sich auf andere Weise ihr Geld verdienen mussten, aber nicht mit dem, was ihr Talent und ihre berufliche Qualifikation hätte ermöglichen sollen. Nur deshalb, weil man jetzt eine Familie hatte, die ernährt werden musste. Das Geld musste schneller verdient werden, als es auf der Opernbühne oder durch ein Engagement hätte erreicht werden können. Das heißt, viele blieben auf der Strecke, weil sie nicht die Zeit und das Geld hatten, sich um ein Engagement zu bewerben. Und vor diesem Hintergrund hat ja Zadek das Bedürfnis gesehen, diesen jungen Leuten ein Stipendium zu geben, ihnen finanziell unter die Arme zu greifen“, erläutert Kirch die Beweggründe der Kammersängerin.

Im Gläsernen Saal des Musikvereins liegt die übliche Mischung zwischen der Anspannung eines Wettbewerbs und der Lust eines gesellschaftlichen Ereignisses in der Luft. Freunde werden mit Küsschen, Küsschen begrüßt, „wichtige“ Menschen warten darauf, gesehen zu werden, die Organisatoren stellen schwitzend fest, was sie in der Planung nicht bedacht haben. Der Moderator begrüßt die Sponsoren in einer Intensität, die einer künstlerischen Veranstaltung nicht förderlich ist. Anschließend präsentieren sich sieben junge Sängerinnen und Sänger mit jeweils einem Lied, einer oder zwei Arien und einem Lied aus ihrer Heimat zur Klavierbegleitung. Immer mit dabei: Zeitgenössische Komponisten.

Zeitgenössische Musik ist die Klassik von morgen

„In 100 oder 200 Jahren werden die Menschen die Musik, die wir jetzt als moderne Musik nicht verstehen, oder die viele nicht als solche verstehen und die völlig unpopulär ist, als das ansehen, was wir heute von der klassischen Musik denken“, zitiert Kirch die Sängerin Hilde Zadek, die selbst zahlreiche Uraufführungen gesungen hat. „Es ist nicht das, was die Christa Ludwig unbedingt hören möchte. Aber gerade deshalb, weil man es nicht im Ohr hat, und weil man es hören muss, um sich daran zu gewöhnen, was an großer Kunst auf dem Gebiet geschaffen wird, muss es auch Sänger geben, die es singen. Und die gefördert werden.“ Rund 70 Bewerber haben auch in diesem Jahr wieder am Wettbewerb teilgenommen, um ihre Fähigkeiten auf dem Gebiet des zeitgenössischen Gesangs zu beweisen. Im Finale ist das Leistungsfeld noch erstaunlich breit. So verwundert die Beobachtung von Karlheinz Kirch nicht. „Man kann über die Ergebnisse immer streiten. Weil es ja doch menschliches Ermessen ist. Und dass jeder Mensch anders hört und anders empfindet, das liegt in der Natur der Sache. Erstaunlicherweise, das stelle ich seit ein paar Jahren fest, liegt die Jury bei der Vergabe des ersten Preises in der Regel mit dem Publikum gleich.“ Und so gewinnt völlig verdient und mit deutlichem Abstand in diesem Jahr die amerikanische Mezzosopranistin Rachann Bryce-Davis den Hilde-Zadek-Gesangswettbewerb. Zahlreiche Sonderpreise gewinnt auch der amerikanische Bariton Tobias Greenhalgh, der sich den dritten Platz mit der Kroatin Tamara Ivaniš teilt. Publikum, Jury und die in diesem Jahr erstmals einberufene Medienjury sind gleichermaßen zufrieden. Und so gibt es bei der anschließenden Feier statt der sonst so oft üblichen Diskussionen einfach nur Freude über eine gelungene Veranstaltung.

Stiftungsvorstand Karlheinz Kirch ist durchaus zufrieden. Die Zukunft der Stiftung ist gesichert. Auch wenn die 97-jährige Hilde Zadek den Vorstand als Ehrenvorsitzende in absehbarer Zeit verlassen wird, werden Maria Venuti als Vorsitzende auf Lebenszeit und er die Arbeit fortsetzen. Der Wettbewerb wird fortgesetzt, auch wenn die Kooperation mit der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien jedes Mal neu ausgehandelt werden muss. Und wenn sich erst einmal herumspricht, dass das Finale des Wettbewerbs auch über Livestream im Internet zu sehen ist, wird er noch mehr für die zeitgenössische Musik bewirken. Das wird insbesondere Hilde Zadek freuen. Sie hat dann auch das letzte Wort an diesem Abend. „Dieses ganze danke schön gefällt mir sehr gut. Aber was wäre ich, wenn es Sie, das Publikum nicht gäbe. Danke Ihnen allen.“

Michael S. Zerban, 20.4.2015

 


Christa Ludwig und Hilde Zadek sind
nicht nur große Sängerinnen gewesen,
sondern haben sich auch immer der
Nachwuchsförderung gewidmet.

Karlheinz Kirch sitzt als Rechtsbeistand
im Vorstand der Hilde-Zadek-Stiftung,
an deren Gründung er vor etwa 17
Jahren mitarbeitete.


Mezzosopranistin Rachann Bryce-Davis
begeistert Publikum und Jurys mit
einem eindringlichen Gesamtauftritt
und gewinnt folgerichtig den
diesjährigen Hilde-Zadek-
Gesangswettbewerb.


Bariton Tobias Greenhalgh
beeindruckt in der Erscheinung und
seinem Gesang. Er räumt zahlreiche
Preise ab.

Fotos: Franz Johann Morgenbesser