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Erfolgreiche Plattenläden


 
 

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Der Käufer entscheidet

Klassische Musik ist nur was für Eingeweihte, für Liebhaber und alte Leute: Von wegen! Jim Farber erzählt in der New York Daily News von aktuellen Verkaufszahlen und Entwicklungen. Und während der deutsche Michel sich von Hansi Hinterseer und den Sportfreunden Stiller ruhig stellen lässt, entdeckt der Rest der Welt die Klassik wieder.

An Tagen, an denen so genannte Kulturpolitiker sich plötzlich als die ärgsten Feinde der Kultur entpuppen, an denen nichts mehr so ist, wie es ist, möchte man schier verzweifeln. Denn das haben wir ja gelernt: Ein Fünkchen Wahrheit steckt auch in der Aussage eines Politikers. Und wenn der mit solcher Vehemenz Kürzungen in der Kultur fordert, muss ja irgendwo was Wahres dran sein. Dem Staat, den Ländern, den Kommunen geht es finanziell schlecht – obwohl die Steuereinnahmen in nie gekannter Weise steigen – und wenn dann so viele Politiker fordern, die Ausgaben für die Kultur, die bei einer Kommune im Schnitt zwei bis drei Prozent des Gesamthaushalts ausmachen, obwohl sie zwischen fünf und zehn Prozent liegen müssten, zu beschneiden, weil ja ohnehin kein Interesse mehr an dieser Form der Kultur in der Gesellschaft bestehe, ja, dann können sie ja nicht völlig daneben liegen.

Vielleicht in Deutschland. Jim Farber hat in der New York Daily News jetzt ein etwas anderes Bild gezeichnet, das sich an den viel geliebten Zahlen orientiert. Dass Zahlen die Maßangaben für Fantasielose sind, ist bekannt. Aber manchmal nutzen sie, diejenigen ohne Fantasie und Vision zumindest in die Nähe einer Wirklichkeit zu bringen, die sie im günstigsten Fall verdrängen, im schlimmsten Fall nicht einmal ansatzweise verstehen. Farber bringt es auf den Punkt. „Klassische Musik wird die neue Pop-Musik“. Und er belegt es mit ein paar einfachen Zahlen. Während der CD-Verkauf beim Rock um annähernd sechs Prozent zurückging, bei der Country-Musik – wir sind in Amerika – gar um etwa elf Prozent, stieg der Verkauf der Klassik-CDs um lässige fünf Prozent.

Rockmusiker entdecken die Klassik

Nun könnte man ja einwenden, dass Rock- und Pop-Konzerte nicht mit staatlichen Geldern bezahlt werden – in Nordamerika gilt das übrigens auch für Klassik-Konzerte – interessanter ist aber vielleicht der Umstand, dass weniger die üblichen Aufnahmen von Bach und Mozart den Umsatz bringen, sondern das, was Farber crossover classical nennt. Diesem Fach ordnet er beispielsweise Andrea Bocelli und die Geigerin Lindsey Stirling zu. Die beiden haben im vergangenen Jahr mal eben 600.000 CDs verkauft.

Spannend daran ist vor allem, dass Rock-Musiker überaus erfolgreich damit beginnen, Opern zu komponieren. „Das alles passiert total spontan“, erzählt Komponist Greg Sandow, der „Die Zukunft der Klassischen Musik“ an der Juilliard School in New York unterrichtet. Musiker Rufus Wainwright hat mit seiner Prima Donna eine Erfolgsoper komponiert, die zweite Oper ist bereits in Arbeit, beauftragt von der kanadischen Operngesellschaft.

Raus aus der Schamecke

Während in Deutschland die Einkäufer der Discounter selbstherrlich darauf bestehen, dass man mit Klassik-CDs keine Geschäfte machen kann – die Verkaufszahlen der „TopTen“ der Popkultur allerdings brechen seit Jahren ein – und die Klassik unter ferner liefen einsortieren oder gar nicht erst listen, haben die record shops in Amerika reagiert. „Ich habe diese verrückten, separaten Klassik-Musik-Räume gehasst“, erzählt Nico Muhly, der Orchestrierungen für Pop-Bands wie Grizzly Bear oder Bjork komponiert hat. „Wenn du da reingegangen bist, fühltest du dich, als wolltest du einen Porno kaufen. Heute gibt es solche Genre-Abgrenzungen nicht mehr.“

Für Klassik-Einsteiger hält Jim Farber gleich eine Liste von Stücken bereit, die es in sich hat: Wagners Ring, Beethovens Sinfonien Nummer 5 und 7, Brittens War Requiem, Bachs Goldberg-Variationen und Puccinis Tosca. Um diesen Mix zusammenzustellen, braucht man in Deutschland das Haus erst gar nicht zu verlassen. Den Laden, der ein solches Sortiment bereit hält, wird man hier wohl kaum finden. Das Internet ist vermutlich hilfreicher. Ob der stationäre Handel da möglicherweise doch was verpasst?

Michael S. Zerban, 22.2.2014

 


Komponist Rufus Wainwright arbeitet
bereits an seiner zweiten Oper.


Nico Muhly erarbeitet Orchestrationen
für Acts wie Grizzly Bear oder Bjork.


Geigerin Lindsey Stirling ist mit
classical crossover höchst erfolgreich.


Jim Farber ist Chefkritiker der New
York Daily News für den Bereich Pop-
Musik.