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Zur richtigen Mischung von Farben


 
 

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Die Farben des Tanzes

Wenn ein Kulturschaffender in diesen Tagen ausreichend Geld einsammelt, um etwas wirklich großes Neues zu schaffen, ist er entweder größenwahnsinniger Scharlatan oder ein Überzeugungstäter. Eric Gauthier will im kommenden Jahr ein neues Festival des zeitgenössischen Tanzes in Stuttgart etablieren. Ein erster Blick auf das Programm zeigt: Gauthier könnte alles bisher Dagewesene in den Schatten stellen.

Wer, zum Beispiel aus Nordrhein-Westfalen kommend, mit dem Auto nach Stuttgart fährt, darf sich in der Regel auf einen teuren Empfang gefasst machen. Erfordert der ungewöhnliche Straßenverlauf die ganze Konzentration, stehen gleich drei aufeinanderfolgende Kameras bereit, ein mehr oder minder kostspieliges Foto vom Ankömmling zu fertigen. Ist der Empfang trübe, mag auch in der Folgezeit keine rechte Freude aufkommen. Das könnte sich im kommenden Jahr grundsätzlich ändern. Fast drei Wochen lang findet in der Jahresmitte zum ersten Mal ein Festival des zeitgenössischen Tanzes in der Landeshauptstadt Baden-Württembergs statt. Damit erfüllt sich Eric Gauthier einen langjährigen Traum. Der Tänzer, Choreograf und Musiker, der seit 2007 am Theaterhaus Stuttgart die Gauthier-Dance-Compagnie leitet, begeistert seit sieben Jahren sein Publikum mit ausgefallenen Ideen. „Wir hatten hier in Stuttgart von Anfang an einen Stein im Brett. Deshalb habe ich keinen Zweifel, dass Stuttgart genau die richtige Stadt ist, um ein großes, neues Tanzfestival zu etablieren. Ehrlich gesagt finde ich es erstaunlich, dass es das hier nicht schon längst gab. Aber für uns ist es natürlich ein tolles Gefühl: Wir können eine echte Lücke füllen“, erzählt der frühere Solist des Stuttgarter Balletts unter John Cranko. In Meinrad Huber fand Gauthier einen künstlerischen Leiter und vor allem Mitstreiter, der von Anfang an von dem Vorhaben überzeugt war. Huber selbst verfügt über langjährige Festival-Erfahrung. Außerdem befasst seine Tanzagentur sich seit vielen Jahren mit der Organisation weltweiter Gastspielreisen für renommierte Tanzensembles aus Schweden, Portugal, Brasilien, Italien, Holland, Israel, Australien und Deutschland. Für ihn war klar, dass die Messlatte für ein solches Tanzfest hoch zu legen ist, wenn es denn auf Anhieb ein Erfolg werden soll. „Schließlich ging es um Unverwechselbarkeit, die unverkennbare eigene Note. Und die – machen wir uns nichts vor – findet man letztlich nur bei echten Top-Kompanien. Dass diese Kompanien dann noch genau im Festivalzeitraum verfügbar sein müssen, ist die nächste Hürde. Sprich: Das Programm zusammenzustellen, war eine echte Fieselei. Aber eine, die mir unglaublichen Spaß gemacht hat“, berichtet Huber von den ersten Planungen.

Tanz ist für alle

„Wie vielfältig und unterschiedlich Tanz ist, erlebe ich jeden Tag, ganz hautnah. Unsere Company profitiert von dieser Vielfalt. Bei der Programmplanung achte ich sehr darauf, dem Publikum Abwechslung zu bieten und ein Gefühl dafür zu vermitteln, was im Tanz alles möglich ist. Die Basis von Gauthier Dance ist eindeutig der zeitgenössische Tanz. Doch der schillert in zahllosen Farben“, erläutert Gauthier seine Lieblingsmetapher, die folgerichtig auch zum Namen des Festivals führte: Colours – Farben. Und farbig schillernd präsentiert sich tatsächlich ein internationales Programm, das an 18 Tagen vom HipHop über Akrobatik, afrikanischen Tanz bis hin zum Tango reicht. Schon die Vorschauen, die mustergültig auf der eigenen Website des Festivals zu finden sind, zeigen, dass die Besucherinnen und Besucher dabei immer Überraschendes erwartet. „Bei der Programmauswahl haben wir nie nach dem Premierenfaktor geschielt. Dass wir nun letztlich so viele deutsche Erstaufführungen, davon drei Koproduktionen, und sogar eine Uraufführung von Marie Chouinard in Stuttgart zeigen können, hat mich überrascht“, betont Meinrad Huber. Und schon vor Beginn darf man Gauthier und seinen Mannen, die das Festival im Theaterhaus Stuttgart unter der Leitung von Werner Schretzmeier produzieren, für eine Programmvielfalt danken, die selbst für eingefleischte Skeptiker des zeitgenössischen Tanzes zahlreiche Hingucker bietet. Auch Menschen, die keine Berührungspunkte mit dieser Kunstform haben, will Gauthier mit ins Boot holen. „Meine tiefste Überzeugung ist: Tanz ist für alle da. Mittlerweile ist das so was wie meine persönliche Mission geworden. Tanz, Bewegung öffnet dir die Welt, auch wenn du nicht mehr jung bist oder körperlich eingeschränkt“, sagt der gebürtige Kanadier. So wird es neben den Vorstellungen weltberühmter Kompanien viele Formate geben, die ein denkbar breites Publikum ansprechen: Workshops auch für Laien unter Beteiligung der eingeladenen Choreografen sind ebenso vorgesehen wie eine Eröffnungsveranstaltung auf dem Stuttgarter Marktplatz am Vorabend des Festivals. „Wir wollen die ganze Bevölkerung für den Tanz begeistern. Und wenn ich mir unser Programm anschaue, denk ich mir: Das werden wir auch schaffen!“ zeigt sich Gauthier schon jetzt enthusiastisch. In den knapp drei Wochen des Festivals will er nach eigenen Worten aus dem Theaterhaus einen „Tanztempel“ machen. Der Blick auf die Namen der beteiligten Kompanien verrät: Das wird ihm gelingen. Der Tanzkünstler würde aber seiner Farbpalette nicht gerecht, wenn er der Leinwand nicht noch einen eigenen Pinselstrich hinzuzufügen hätte. Gauthier Dance wird ebenfalls eine Neuproduktion präsentieren: In der Sporthalle des Theaterhauses am Pragsattel wird beinahe täglich das Stück Kamuyot des israelischen Choreografen Ohad Naherin gezeigt werden, um die Festival-Abende einzuläuten.

Michael S. Zerban, 21.12.2014

 


Ein einfacher Werbetrailer zeigt, was
sich für das kommende Jahr anbahnt.


Eric Gauthier wagt das Ungeheuerliche:
Er wiederbelebt das Motto Think big,
das in Deutschland schon längst
vergessen scheint.


Wunderbar melancholische Chansons
zum Fingerballett von Kiss & Cry: les
feuilles mortes
. Zum Dahinschmelzen.


Fantastische Tanzakrobatik wird es
von der Cirque-Nouveau-Companie
Circa aus Brisbane, Australien, geben.


Milonga ist das Zauberwort, das bei
Tangotänzern Gänsehaut auslöst. Der
Choreograf Sidi Larbi Cherkaoui wird
zeigen, warum.


Die Compagnie Marie Chouinard
präsentiert noch nicht Gesehenes, wie
so viele Kompanien, die auf dem
Festival erwartet werden.