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Grandioser Start


 
 

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Mit Schmackes

Es wird die erste Spielzeit für Bettina Masuch als Intendantin am Tanzhaus NRW. Mit einer ganzen Menge Vorschusslorbeeren tritt sie ihr Amt an – und veranstaltet zum Auftakt der neuen Saison erst mal ein viertägiges Fest. Eines dürfte schon nach den ersten beiden Tagen feststehen: Wenn sie das Niveau halten kann, geht die Spielstätte goldenen Zeiten entgegen. Und nach Farbe hatte es Masuch ja verlangt.

Bunt soll es werden! Hatte Bettina Masuch, neue Intendantin am Tanzhaus NRW, schon im Vorfeld der neuen Spielzeit als Leitlinie vorgegeben. Und gleich mal für ein neues Corporate Design gesorgt. Das ist in der Tat bunt geworden, andere würden es als schrill beschreiben. Aufmerksamkeit schafft es allemal. „Mit Schmackes“, so nennt der Rheinländer einen Neubeginn unter Volldampf. Den legt die Intendantin elegant hin. Mit einem vier Tage dauernden Fest eröffnen sie und ihr Team die neue Spielzeit.

Als „Star“ der Tanzszene gilt der aus Israel stammende und heute in Südfrankreich lebende Emanuel Gat, der die Ehre hat, mit einer Uraufführung und einer deutschen Erstaufführung die Saison im Tanzhaus NRW zu eröffnen. Nach dem wohl unvermeidlichen „Festakt“, erfreulich kurz gehalten, wird es dunkel auf der Bühne im Großen Saal des Tanzhauses, dessen Zuschauertribüne nahezu voll besetzt ist. Das passt zum Mondschein, der jetzt als Uraufführung auf dem Programm steht. Eigentlich eine Weiterentwicklung des nachfolgenden Stücks mit Tänzern des Essener Folkwang-Tanzstudios. Dem Nachwuchs die erste Bühne zu geben, ist aller Ehren wert, und die jungen Tänzerinnen und Tänzer zeigen, dass sie auf einem sehr guten Weg sind. Ein schmaler Lichtstreif – der des Mondscheins? – „erhellt“ den Tanzboden, auf dem die Folkwang-Kompanie die Sprache des kommenden Stücks vorwegnimmt. Erlebt das Publikum hier in den Gegenläufigkeiten der sich immer wieder neu bildenden Gruppen noch einen gewissen Neuigkeitswert und so etwas wie Spannung, fällt der Spannungsbogen nach einem wunderbar gelungenen fliegenden Wechsel deutlich ab. Zwar zeigt die zehnköpfige Kompanie Gats mehr Erfahrung in dem Werk Plage romantique, das vor knapp zwei Monaten seine Uraufführung beim Festival Montpellier Danse feierte, aber sehen kann man davon nicht so arg viel. Das Strandleben, das Gat in vielen kleinen, sich häufig wiederholenden Passagen zeigt, findet nämlich nahezu ohne Beleuchtung statt. Wer auch immer für die Kostüme zuständig war, hatte wenig Assoziationsfreude zum romantischen Strandleben. Untermalt wird das Geschehen mit einer Klangcollage, die Gat gemeinsam mit François Przybylski und Frédéric Duru erstellt hat. Auch hier mag keine rechte Verbindung zum romantischen Strandleben entstehen. Eine Stunde später bleibt das Publikum recht ratlos und ermüdet zurück.

Zum Abschluss des Abends gönnt Masuch dem Publikum, in dem man viele Gesichter aus Bertram Müllers Zeiten wiedersieht, ein Ständchen, wie es sich für einen Einstand gehört. Das allerdings findet im neuen Kunsttempel von Düsseldorf, dem Ständehaus, statt. Das Haus am Schwanenspiegel, das einst Sitz des nordrhein-westfälischen Landtags war und nach einer Sanierung der Kunst des 21. Jahrhunderts gewidmet worden ist, zeichnet sich zunächst einmal durch die Eingangshalle aus, die als moderner Kuppelsaal angelegt ist. Allein die Architektur ist ausgesprochen eindrucksvoll. Und bildet eine wunderbare Akustik für die deutsche Erstaufführung von Symphony X von Ari Benjamin Meyers, der an diesem Abend auch die musikalische Leitung besorgt. Meyers 75-minütige Komposition wird vom dreizehnköpfigen Redux Orchestra aufgeführt, mit geringsten Mitteln großartig ausgeleuchtet von Tino Seghal. Und jetzt stell dir mal vor, Ian Anderson hätte Jethro Tull zur Big Band aufgemotzt, die Musik in einen Hochgeschwindigkeitszug gepackt, der zur Disco umgebaut ist, und schickt das Ding in einen Tunnel. Dann hast du die Idee einer Ahnung davon, was an diesem Abend abgeht. Die Musiker sitzen, stehen, liegen, laufen in der Eingangshalle herum, irgendwo mittendrin der Dirigent und ganz viel Publikum. Mit aller Vorsicht: Das hat die Welt noch nicht gesehen – und gehört. Ein überwältigendes Erlebnis, das nicht auf CD und nicht auf DVD funktioniert. An diesem Abend gehst du betäubt nach Hause. Verwirrt, weil du wider Erwarten nach einem halben Jahrhundert auf dieser Erde doch noch nicht alles erlebt hast. Da hat Intendantin Masuch mit einem Ereignis, das vergleichsweise wenig mit Tanz zu tun hat, die Messlatte schon mal ziemlich hoch gelegt.

Explosion der Sinne

Und sie treibt es noch bunter. Zur neuen Zeit im Tanzhaus NRW gehören auch artists in residence, Choreografen also, die sich auf gesicherter finanzieller Grundlage entwickeln können und das Publikum im Hause an ihrer Kreativität teilhaben lassen. Im Tanzhaus, welch eine Idee, werden sie factory artists genannt. Eine von dreien ist Alexandra Waierstall, die sich im Rahmen der Feierlichkeiten mit ihrer Uraufführung Matter of Ages präsentiert. Maierstall hat im Unterschied zu zahlreichen anderen Choreografen das Gesamtkunstwerk Tanz begriffen. Licht, Bühne und Tanz verschmelzen zu einer Einheit. Ihre Bühne: Folien, die mit Luftgebläsen und Bewegungen zu Installationen geraten; in dramatisierendes, helles Licht getaucht von Ansgar Kluge. Raffinierte Kostüme, die sie gemeinsam mit ihrem Vater Horst gestaltet hat. Dazu gibt es sphärische Klänge von Marios Takoushis, die teilweise ohrenbetäubend und eben dann wirkungsvoll sind. Waierstall schreckt nicht vor einem Thema zurück, das Kritiker im Allgemeinen als abgenudelt und überflüssig abweisen. Sie bringt die Nacktheit auf die Bühne. Letztlich sind Tänzerinnen und Tänzer nur noch mit einem hautfarbenen Slip bekleidet. Aber: In dem Moment, in dem das Ensemble entblößt auf dem Boden liegt, ist das Publikum atemlos. Eine konsequente Entwicklung gipfelt in einer unglaublichen Spannung. Ihre Choreografie ist eine Abfolge von ungewöhnlichen Ideen, der Tanz eine Explosion der Sinne. Das Problem: Wie will Waierstall das noch steigern? Ein „Problem“, das sie fortan mit Bettina Masuch teilt. Eine ausgesprochen luxuriöse Angelegenheit.

Und vielleicht gelingt es der neuen Intendantin ja auch, ein neues Publikum zu begeistern. Das bisherige ist bei sensationellen Aufführungen zu nicht mehr als drei Applausauftritten in der Lage. Glücklicherweise die einzige Peinlichkeit unter der neuen Intendanz, die nach einem fulminanten Start viele Versprechen einzulösen hat.

Michael S. Zerban, 21.8.2014

 


Bunt soll die neue Spielzeit werden. So
hat es sich Intendantin Bettina Masuch
gewünscht. Das neu geschaffene
Corporate Design legt schon mal vor.


In der Uraufführung Mondschein
zeigen die Tänzerinnen und Tänzer
des Folkwang-Tanzstudios Essen ihr
Können.


Emanuel Gats Plage romantique spielt
sich in der deutschen Erstaufführung
offenbar nächtens ab. Kein Gewinn für
die Zuschauer .


Eine großartige Performance zeigen Ari
Benjamin Meyers und das Redux
Orchestra mit Meyers Komposition
Symphony X.


Alexandra Waierstall gibt mit ihrer
Uraufführung Matter of Ages einen
überzeugenden Einstand als factory
artist
am Tanzhaus NRW.