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Orchester zur Disposition


 
 

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Ausgespielt

Seit jeher legen die Rundfunksender Wert auf ihre Klangkörper. Das sind unter anderem Orchester mit höchstem Niveau. Jetzt scheint ein Sinneswandel einzusetzen. In Baden-Württemberg wird laut über Einsparungen beim Orchester nachgedacht. Die Deutsche Orchestervereinigung begehrt auf, der Südwestrundfunk dementiert halbherzig. Werden jetzt Weichen gestellt?

Kurz nach dem Zweiten Weltkrieg wurden sie gegründet: das Radio Sinfonieorchester und das heutige SWR Sinfonieorchester Baden-Baden und Freiburg. Mit der Fusion von Süddeutschem und Südwestfunk zum Südwestrundfunk (SWR) war die Sendeanstalt plötzlich in der komfortablen Situation, über zwei qualitativ ausgesprochen hochwertige Klangkörper zu verfügen. Eben diese Situation entwickelt sich aus Sicht des Hörfunkdirektors Bernd Hermann allmählich zum Fluch. Denn nach seinen Angaben hat der Sender zum ersten Mal in der Geschichte des öffentlich-rechtlichen Rundfunks weniger Geld zur Verfügung als im Vorjahr. Da heißt es sparen. Verwaltung, Technik, Intendanz und Programme haben damit begonnen. Das Problem: Die Orchester sind schon fertig damit. Mit anderen Worten: Der Hörfunkdirektor sieht bei beiden Orchestern keine Möglichkeit zu Einsparungen mehr, weil die längst bei Personal und Finanzen bis zur Schmerzgrenze ausgereizt sind.

„Vor diesem Hintergrund“, sagt Hermann, „haben wir in den vergangenen Monaten zahlreiche Alternativen diskutiert, die den Einsparvorgaben Rechnung tragen. Es gibt verschiedene Szenarien, die alle überhaupt erst mittelfristig spruchreif werden. Das Zusammenführen der beiden Orchester ist eines von ihnen.“ Eine Entscheidung, betont der Direktor, sei aber noch nicht gefallen. Gegen eine mögliche Fusion setzt sich die  Deutsche Orchestervereinigung (DOV) zur Wehr. „Wir sehen die Einsparvorgaben der SWR-Geschäftsleitung in Höhe von 25 Prozent der Einzeletats als völlig überzogen an. Man zerstört mehr, als man spart“, empört sich Gerald Mertens, Geschäftsführer der DOV. Mertens weiß wohl um die angespannte Finanzlage des Senders, sieht aber die Verpflichtung der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten auf ihren Kultur- und Bildungsauftrag im Vordergrund. Dazu gehöre seiner Auffassung nach insbesondere die Musikproduktion durch eigene Klangkörper. Hermann widerspricht dem nicht grundsätzlich. „Wir stehen zu unserem Kultur- und Bildungsauftrag, genau wie zu unserem Auftrag zu Information und Unterhaltung. Gleichwohl können wir die finanziellen Rahmenbedingungen nicht ignorieren“, unterstreicht der Hörfunkdirektor in einer schriftlichen Stellungnahme.

Mertens sieht eine solche Entscheidung als völlig verfrüht an. Schließlich könne angesichts der Umstellung der Rundfunkgebühr im kommenden Jahr keine Sendeanstalt seriös die Haushaltszahlen der kommenden Jahre prognostizieren. Eine Zerschlagung der bestehenden Orchesterstrukturen zöge aber Veränderungen nach sich, die über Jahre nicht auszugleichen wären. Hermann hingegen verspricht vorsorglich schon einmal, dass die Konzertangebote und Abonnements in Stuttgart und Freiburg erhalten blieben. Auch in Bezug auf das – noch vorhandene – Personal scheint es schon durchaus konkrete Vorstellungen zu geben. „Es wird keine betriebsbedingten Entlassungen geben, sondern eine Arbeitsplatzgarantie für die Orchestermitglieder. Strukturveränderungen sollen mithilfe von altersbedingter und natürlicher Fluktuation erreicht werden. Unsere Überlegungen sind von Verantwortungsbewusstsein getragen“, verspricht Hermann. Eine Fusion könnte aber auch bedeuten, dass eine Sendeanstalt, auch das zum ersten Mal in der Geschichte der öffentlich-rechtlichen Sender, ein Orchester entsorgt. Damit könnte der Südwestrundfunk ein Signal setzen. Ein Signal, auf das andere Wellen möglicherweise schon warten. Denn: eingespart werden muss nicht nur beim Südwestrundfunk. Und wenn die Dämme erst mal gebrochen sind, wird man sich auch noch mal über den Kultur- und Bildungsauftrag unterhalten müssen. Mertens wehrt sich dagegen: „Darüber, wie eine echte Zukunftssicherung für beide Orchester und ihre Standorte aussehen kann, wird man in den folgenden Wochen ernsthaft diskutieren müssen.“

Michael S. Zerban, 9.3.2012

 


Das SWR Radiosinfonieorchester
Stuttgart (Foto: SWR/Kluge)


Das SWR Sinfonieorchester
Baden-Baden und Freiburg
(Foto: SWR/Lamparter)


Gerald Mertens, Geschäftsführer der
Deutschen Orchestervereinigung
(Foto: DOV/Foto Eden)


Bernhard Hermann, Hörfunkdirektor
beim SWR (Foto: SWR/Krause-
Burberg)