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Pina Bausch


 
 

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So lange die Legende noch lebt

Das Tanztheater Wuppertal wird in dieser Spielzeit 40 Jahre alt. Die Jubiläumsspielzeit ist mit großem Programm gefüllt. Der schmerzhafte Verlust der künstlerischen Leiterin Pina Bausch vor vier Jahren hat eine große Leerstelle hinterlassen. Ihre Stücke sollen bewahrt und die Geschichte des Tanztheaters Wuppertal fortgeschrieben werden. Ein schwieriges Unterfangen zwischen Rückschau und Zukunftsperspektiven.

Das Tanztheater Wuppertal feiert in dieser Spielzeit sein 40 jähriges Bestehen. Diese Feststellung ist ohne genauere Betrachtung des Inhalts schon eine beeindruckende Leistung: Der Sparzwang ist in jedem deutschen Theater seit Jahrzehnten omnipräsent. An der Kultur werden gerne die Einschnitte vorgenommen, die sich bei staatlichen Bauprojekten oder Wirtschaftssubventionen nur mit großem Gebrüll durchführen ließen. Die Lobby für den Tanz ist klein. Somit kommt es einem Mammutvorhaben gleich, vierzig lange Jahre die Sparte Tanz als eine von vielen nicht nur am Leben zu erhalten, sondern sie auch noch zur selbstständigen kulturellen Größe zu etablieren: Das Tanztheater Wuppertal ist eines von Deutschlands beliebtesten kulturellen Auslandsexportgütern. Dabei werden nicht nur die vorhandenen Produktionen zu Gastspielen eingeladen; das Tanztheater Wuppertal wurde wiederholt in verschiedene Städte weltweit gebeten, um dort neue Stücke zu erarbeiten. Internationale Koproduktionen führen das Ensemble zum Beispiel nach Italien, Spanien, Österreich, die USA, Hong Kong, Ungarn, Indien, die Türkei, Süd-Korea oder Brasilien. Die Reisen dienen als Inspirationsquelle sowohl für die künstlerische Leiterin Pina Bausch, als auch für ihre Tänzerinnen und Tänzer, da diese immer auch Ko-Autoren ihrer Stücke sind.

Dieser eingeschlagene Weg hätte vielleicht noch viele weitere Jahre glücklich beschritten werden können. Doch die künstlerische Leiterin, Pina Bausch, verstirbt 2009 – plötzlich und unerwartet. Die Nachricht ist ein Schock, der nicht nur die Tanzwelt trifft. Gilt Pina Bausch doch schon zu Lebzeiten als eine der bedeutendsten Choreographen des 20. Jahrhunderts.

„Ich habe viele Frühlinge gesehen, ...“

„Ich habe viele Frühlinge gesehen, und ich will noch viele sehen“, merkt Pina Bausch in einem Fernsehinterview 2006 an. Sie gewährt den Medien nur selten Einblick in ihre Arbeit. Die hagere und zurückhaltende Bausch ist stets von Zigarettenrauch umgeben, und dem Fernsehzuschauer wird schnell deutlich, dass sie ihre Persönlichkeit nur ungern im Mittelpunkt der Aufmerksamkeit sieht.

Pina Bausch wird 1940 in Solingen geboren und unterstützt die elterliche Gastwirtschaft mit angeschlossenem Hotelbetrieb. Man könnte es als einen Teil der Mythenbildung um ihre Person bezeichnen, aber in dieser Zeit soll sie gelernt haben, Menschen genau zu beobachten. Dieses Gespür dafür, was uns Menschen bewegt, ist es, was in ihren späteren Stücken die Sehgewohnheiten revolutioniert. Doch bevor Bausch sich als Choreographin etabliert, ist sie Tanzstudentin an der Folkwang-Schule (heute: Folkwang-Universität der Künste) in Essen und Schülerin von Kurt Jooss, dem bedeutenden Vertreter der Tanzmoderne im Vor- und Nachkriegsdeutschland. Er ist Mitbegründer der Folkwang-Schule und etabliert das daran angeschlossene Folkwang-Tanzstudio, in dem sich die jungen Absolventen mit eigenen Arbeiten ausprobieren können.

Der Folkwang-Gedanke

Getragen ist die Gründung der Folkwang Schule von dem so genannten Folkwang-Gedanken, den einige Jahre zuvor Karl-Ernst Osthaus geprägt hat: Dieser kommt aus wohlsituierten Verhältnissen und sammelt als begeisterter Kunstsammler und Mäzen einen umfassenden Kunstschatz, den er in Hagen der Öffentlichkeit zugänglich macht. 1902 gründete er hierzu das Museum Folkwang. Anlass hierzu ist die wachsende Industrialisierung, die für ihn eine Bedrohung der Künste darstellt. Den Namen Folkwang entnimmt er aus der Edda, einem aus zwei Bänden bestehenden, altisländischen Literaturwerk aus dem 9. bis 13. Jahrhundert. Der Begriff Folkwang wird in diesen Werken als Saal der germanischen Göttin der Liebe und Schönheit, Freya, erwähnt. Osthaus sieht in diesem Saal den Versammlungsort aller Künste und strebt die „Verschwisterung der Musen“ an. Darunter versteht er sowohl die Harmonie der Künste untereinander, als auch die Verbindung des Alltagslebens mit den Künsten.

Ehrlichkeit und Genauigkeit

Dieser Folkwang-Gedanke prägt somit auch die junge Tanzstudentin Pina Bausch, die diese Einflüsse in ihrer späteren choreographischen Arbeit nutzt. Die Nähe zu den Studierenden anderer Fachrichtungen an der Folkwang-Schule werden von Pina Bausch als sehr lebendig und befruchtend empfunden. Hier lernt sie ihren ersten Lebensgefährten und späteren Bühnen- und Kostümbildner ihrer Stücke kennen: Rolf Borzik. Er verstirbt bereits 1980. Doch auch die verschiedenen Lehrkräfte prägen die Tanzkünstlerin: Sie arbeitet mit Jean Cebron, Hans Züllig, Trude Pohl und anderen Größen der Zeit zusammen. Im Unterricht und als Assistenz von Kurt Jooss lernt sie nicht nur, dass klassischer Tanz und moderne Tanzformen miteinander eine fruchtbare Verbindung eingehen können – sie lernt auch, wie wichtig Ehrlichkeit und Genauigkeit in der choreographischen Arbeit sind. Nach dem Abschluss der Tanzausbildung mit Auszeichnung geht Pina Bausch 1958 mit einem Auslandsstipendium des Deutschen Akademischen Austauschdienstes nach New York und vertieft ihr Tanzstudium an der renommierten Juilliard School. Hier kommt sie mit dem amerikanischen Modern Dance in Kontakt und erhält Unterricht bei einflussreichen Choreographen wie José Limon oder Paul Tudor. Sie arbeitet mit Tänzern der Graham Company, sowie in der Tanzkompanie von Paul Sanasardo und Donya Feuer. 1960 findet ein Generationenwechsel in der Folkwang-Schule statt, und Pina Bausch kehrt auf Bitte von Kurt Jooss nach Deutschland zurück, um die Leitung der Tanzabteilung zu übernehmen. Ihre Arbeiten für das Folkwang-Tanzstudio erregen die Aufmerksamkeit von Arno Wüstenhöfer, des Intendanten des Wuppertaler Theaters. Nach ersten Auftragsarbeiten für sein Theater engagiert er Pina Bausch zur Spielzeit 1973/74 als neue Leitung des Wuppertaler Balletts.

Tanz als Ausdruck, wenn die Sprache versagt

Das Wuppertaler Ballett hat ein treues Publikum, das mit der neu engagierten Bausch und ihrer Tanzsprache nicht viel anfangen kann. Die Umbenennung in das Tanztheater Wuppertal kann zwar der Erwartungshaltung entgegen wirken, dass die Zuschauer klassisches Ballett zu sehen bekommen. Doch der krasse Wechsel der Tanzästhetik stößt bei Publikum und Presse auf heftige und andauernde Ablehnung. Es ist der schützenden Hand der Intendanz zu verdanken, die Pina Bausch in ihrer Arbeit bestärkt und die über mehrere Jahre andauernde, heftige Ablehnung der Öffentlichkeit aushält und auffängt. Hier zeigt sich, wo die Kraft einer subventionierten Kulturlandschaft liegt: Der Glaube an noch nicht etablierte Künstler wird nicht im Keim erstickt. Hingegen können Entwicklungsmöglichkeiten in geschützter Atmosphäre ohne Marktzwang erprobt werden.

Die Stücke von Pina Bausch werden anfänglich als Provokation empfunden. Die Vorstellungen sind schlecht besucht, und Zuschauer verlassen lautstark und vorzeitig das Theater. Es sind harte Zeiten voller Unsicherheiten für alle Seiten im Theater, sowohl für das Publikum, als auch für die Tänzer und Pina Bausch.

„Irgendwo glaube ich, wir wussten, dass es richtig war und dass es sich lohnt, dass man die Geduld hat, dass die Leute irgendwann mal doch sitzen bleiben und mitmachen!“ erinnert sich 2006 Dominique Mercy, Tänzer der ersten Stunde bei Pina Bausch, zu den schwierigen Anfängen in Wuppertal. Und die Geduld zahlt sich aus: Ein jüngeres Publikum findet Gefallen an der neuen Ästhetik. „Dass es eine andere Art von Schönheit geben kann, das stand gar nicht zur Debatte“, erinnert sich Bausch. Und diese Schönheit findet sukzessive seine Liebhaber und schließlich ein großes Publikum. Nicht zuletzt im Ausland, wo das Publikum sehr früh den Wert der Stücke anerkennt. Es folgen Einladungen zu den großen internationalen Festivals, bei denen sich die Avantgarde trifft.

Poetische Bilder mit dramatischer Durchschlagkraft

Die Stücke von Pina Bausch ähneln Collagen oder einem Puzzle. Es gibt keine Unterscheidung in Solisten auf der einen Seite und Gruppentänzern auf der anderen Seite. Die Tänzer bringen individuelle Qualitäten mit, die sie in den Stücken zum Ausdruck bringen. Häufig stellt die Choreographin Fragen an ihre Tänzer, die diese auf ihre Art beantworten können. Das resultiert in Offenheit gegenüber der Wahl der Ausdrucksmittel. Ob es nun Gesang, Sprache, alltägliche Gesten, Bewegungen, Schauspiel, Pantomime oder Tanz ist – die Mitglieder des Tanztheater Wuppertal sind frei in der Umsetzung ihrer Ideen. „Ich wage dahin zu gehen, wo ich nicht weiß, was raus kommt“, antwortet Pina Bausch auf die Frage, wie ihre Stücke entstehen. Doch ist es immer die Konfrontation mit den wahren Beweggründen der Bewegung, die Emotionalität herauf beschwört und oftmals schmerzt. Es sind die Ehrlichkeit und Genauigkeit, denen sie sich verpflichtet fühlt und die ihr Schaffen konstant prägen. Sie choreographiert zwei Gluck-Opern: Iphigenie auf Taurus 1974 und Orpheus und Eurydike 1978, letztere ist als DVD erhältlich. Mit den gängigen Operetten-Klischees setzt sie sich in Komm tanz mit mir und Renate wandert aus auseinander. Mit der Choreographie zu Le Sacre du Printemps setzt sie 1975 einen Meilenstein ihrer Arbeit, der vielfach ausgezeichnet wird. Die emotionale Wucht und die physische Unmittelbarkeit dieses Stückes werden zu einer Art Markenzeichen des Tanztheaters Wuppertal. Die Thematisierung der elementaren menschlichen Gefühle, der Ängste, Nöte, Wünsche und Sehnsüchte und die unmittelbare Emotionalität auf der Bühne sind neu: Das alltägliche Leben wird auf der Bühne gespiegelt, gleichzeitig findet Bausch Bilder, die viele Zuschauer ansprechen. Viele kulturelle Einflüsse werden in den Stücken zusammengezogen, die Fundstücke der Auslandsreisen werden möglichst vorurteilsfrei in ein großes Bild eingefügt. Es entstehen sehr unmittelbare Bilder, die oft an Collagen oder an Filmästhetik erinnern. Für Pina Bausch sind Kleinigkeiten enorm wichtig. Daher ist die Notwendigkeit der Ausgangspunkt ihrer Arbeit.

Das Jubiläumsprogramm

In der aktuellen Spielzeit bietet das Tanztheater Wuppertal einen großen Einblick in das Schaffen Pina Bauschs. Spielstätten sind Düsseldorf, Essen und Wuppertal. Neben vielen Aufführungen der Stücke verschiedenen Alters aus dem Repertoire wird mit Frühlingsopfer – Dreiteiliger Strawinsky-Abend die originale Stückfolge von 1975 wieder aufgenommen. Dabei wird das Tanzstück Wind von West, zuletzt 1979 aufgeführt, von Mitgliedern des Folkwang-Tanzstudios, Studierenden des Instituts für Zeitgenössischen Tanz der Folkwang Universität der Künste und Absolventen des letzten Jahrgangs der Juilliard School of Music rekonstruiert. Es findet eine Vielzahl an Gesprächen und Diskussionen statt. Ehemalige Tänzer berichten von ihrer Zeit im Tanztheater Wuppertal. In der Ausstellung 40 Jahre Reisen - Augenblicke einer Company werden Fotos gezeigt, die Tänzer und Mitarbeiter auf den Gastspielreisen gemacht haben. Ein Filmprogramm ermöglicht es, seltene Aufnahmen aus Proben, Portraits und Stücke versammelt an einem Ort zu erleben: Neben diversen Film-Matinées wird natürlich auch Wim Wenders 3D-Film Pina zu erleben sein. Intensiven Einblick erhält man bei den zwei Filmmarathons: Anfang November kann man im Cinema in Wuppertal zwölf Stunden lang Portraits und Stücke erleben. Ein zweiter Marathon findet eine Woche später im Cinemaxx Wuppertal statt. Dort kann man Stücke des Tanztheaters Wuppertal aus den 1980-er Jahren entdecken.

Ausblick

Die Nachfrage nach Gastspielen des Tanztheaters Wuppertal reißt nicht ab; auch nach Pina Bauschs Tod bleiben ihre Stücke Exportschlager. Doch die Entwicklung muss voranschreiten. Die Tänzerinnen und Tänzer des Ensembles sind zwischen 20 und 60 Jahre alt, was großes Potenzial bietet. Gleichzeitig müssen jedoch jüngere Tänzer in das nun vorhandene Repertoire eingeführt werden. Solange noch Tänzer der Originalbesetzung diese Aufgabe übernehmen können, darf diese Chance nicht vertan werden. Doch die Stadt Wuppertal kann das in Zeiten knapper Kassen nicht stemmen. Vielleicht sollte dieses Problem auf Bundesebene gelöst werden: Das Wuppertaler Tanztheater hat in den vergangenen 40 Jahren viel als Botschafter der Deutschen Kulturlandschaft im Ausland erreicht. Diese Leistung gilt es anzuerkennen.

Jasmina Schebesta, 22.10.2013

 


Mit einem umfangreichen Programm
an verschiedenen Spielstätten begeht
das Tanztheater Wuppertal sein 40-
jähriges Bestehen.


Pina Bausch, Tänzerin und
Choreographin, war schon zu
Lebzeiten Legende.


Ehrlichkeit und Genauigkeit - so
lauteten die Grundsätze von Bauschs
Arbeit, die ihre Tänzer zu ihren größten
Fans werden ließen.


Tanz ist keine isolierte Kunstform:
Pina Bausch suchte mit ihren Tänzern
nach immer neuen Ausdrucksformen,
die auch aus anderen Disziplinen
kommen dürfen.


Existenzielle Fragen stehen bei der
Findung einer neuen Tanzästhetik im
Vordergrund. Da sind auch radikale
Antworten erlaubt.