Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

NEWS 

Neue Wege


 
 

zurück       Leserbrief

Das unterschätzte Stadtgespräch

Nahezu ausverkaufte Häuser, die bis an die Ränder ihrer Kapazitäten bespielt werden, reihenweise große Sängerinnen, Sänger, Regisseure oder Dirigentinnen hervorbringen, stehen permanent unter Rechtfertigungszwang und müssen sich immer häufiger gegen Spargelüste der Kommunalpolitiker zur Wehr setzen. Solche Auseinandersetzungen kosten Kraft und Zeit, beides Faktoren, die nützlicher für die kreative Arbeit verwendet werden könnten. Was aber unternehmen eigentlich die Häuser, um ihre Attraktivität deutlich zu machen? Über „Umwegrentabilität“ zu sprechen, reicht nicht.

Die Deutsche Oper am Rhein und das Ballett am Rhein stehen fest in und für Düsseldorf und Duisburg. Aus dieser Kraft heraus wirken sie als Magnet nach außen, regional und überregional“, stellt Christoph Meyer nicht ohne Stolz fest. Der Mann ist Generalintendant der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg (DOR) und kämpft derzeit darum, dass der Vertrag, der als „Theaterehe“ bekannt wurde, zwischen Düsseldorf und Duisburg verlängert wird. Neben der internationalen Bekanntheit des Düsseldorfer Opernhauses gibt das Theater Duisburg seiner Stadt vielleicht den noch einzigen Glanz, den sie so dringend braucht, um wenigstens noch ein paar Besucherinnen und Besucher in die Stadt zu locken. Ohnehin bestechen die Ruhrstädte nicht unbedingt durch ihre Attraktivität. Eigentlich kann also solch eine Vertragsverlängerung keine Frage sein. Fakt ist, dass seit mehr als einem halben Jahr um diesen Vertrag auf der politischen Ebene gefeilscht wird und immer abstrusere Ideen die öffentliche Diskussion bestimmen. Offenbar gelingt es der DOR nicht, ihre Bedeutung so in den Köpfen der Bevölkerung zu verankern, dass sich eine solche Diskussion von vornherein verbietet. Meyer widerspricht entschieden. „Der Kern unserer Arbeit ist lokal, die Wirkung international“, bringt der Intendant die Aktivitäten seiner Häuser auf den Punkt. Tatsächlich ist schnell von Superlativen die Rede, wenn es um die Außenwirkung der DOR geht. Generalmusikdirektor Axel Kober wird in diesem Jahr den neuen Tannhäuser nicht nur am Rhein, sondern auch in Bayreuth dirigieren. Ballettdirektor Martin Schläpfer überflügelt mit seiner Compagnie ohnehin alles bisher da gewesene. Solche Namen entfalten auch internationale Wirkung. Marketingleiterin Heide Koch verweist auf Opernbesucher aus aller Welt, der Operntourismus gedeiht prächtig und bringt den Städten eine Umwegrentabilität, die aber nicht gemessen wird. Umwegrentabilität ist das Modewort im Kampf um Subventionserhalt und meint, dass Gäste der Oper oder des Theaters einer Stadt eine Menge Geld einbringen, indem sie eben nicht nur eine Aufführung besuchen, sondern auch viele Leistungen in der Stadt in Anspruch nehmen, wovon beispielsweise Gastronomen, Taxibetriebe, aber auch der Einzelhandel und somit indirekt wieder die Stadt profitieren.

Oper ist international

Internationalität spielt auch für Guy Montavon eine entscheidende Rolle. Er zeichnet als Generalintendant am Theater Erfurt für das Geschick des Hauses verantwortlich. „Erst mal hat Deutschland ein Auge auf das letzte Opernhaus, das in Deutschland gebaut worden ist“, betont der international inszenierende Intendant, ehe er auf seine – überaus erfolgreiche – Strategie zu sprechen kommt. „Unser Spielplan und unsere Politik der Spielplangestaltung mit Uraufführungen und Ausgrabungen haben mehr und mehr an Anerkennung und Wahrnehmung gewonnen in den letzten Jahren.“ Jüngster Beweis: Komponist Volker David Kirchner hat Montavon eben angeschrieben, ob der nicht eines seiner Werke in Erfurt uraufführen wolle. Damit hat Montavon nicht nur überregionale Bedeutung für sein Haus erreicht, sondern auch in der Stadt das Theater fest verankert.

Den Bürgern der Stadt das Theater als existenzielle Institution zu vermitteln, ist auch für Christoph Meyer von fundamentaler Bedeutung. „Als Theater für die Stadt ist es uns wichtig, die Oper und das Ballett lokal fest zu verankern, indem wir alle Bürgerinnen und Bürger in Düsseldorf und Duisburg mit unserer Kunst vertraut machen“, erklärt der Intendant das Prinzip. Mittlerweile im vierten Jahr verfolgt Meyer dabei die Strategie, das junge Publikum für Musiktheater und Ballett zu begeistern. Rund 30.000 Jugendliche besuchen jetzt schon jährlich die DOR. „Unser Ziel ist, dass in einigen Jahren alle Kinder, die in unseren Städten aufwachsen, mindestens einmal, besser mehrmals, die Oper besucht haben“, erläutert Meyer seine hohen Ziele. Um sie zu erreichen, hat er die Abteilung für Musiktheaterpädagogik ausgebaut, zahlreiche Rahmenprogramme entwickeln lassen. Einmal im Jahr gibt es die Neuproduktion einer Familienoper. Die Aufführungen sind samt und sonders ausverkauft.

Einen ähnlichen, vielleicht noch spektakuläreren Weg geht Hansgünther Heyme als Intendant des Theaters im Pfalzbau in Ludwigshafen. Seine viel beachtete Ring-Inszenierung fand vor allem deshalb mediale Resonanz, weil er versuchte, gleich die ganze Stadt in die Inszenierung einzubinden. „Wir sind auf viele Hunderte junger Menschen zugegangen, auf Bevölkerungsschichten, die noch nie im Theater waren“, erinnert sich Heyme heute noch gern an seinen überragenden Erfolg. Neben altbewährten Mitteln wie der Verpflichtung international bekannter Sängerinnen oder Dirigenten, will Heyme vor allem mit auf ein Heute anwendbaren Konzeptionen punkten. Ähnlich Montavon und Meyer ist auch der Ludwigshafener Intendant davon überzeugt, dass in Zeiten schmaler werdender Budgets Koproduktionen mit anderen, bevorzugt ausländischen Theatern das Mittel der Wahl ist, um eine Programmvielfalt zu gewährleisten, die das Publikum heutzutage erwartet.

Publikum, das unbekannte Wesen

Was das Publikum aber tatsächlich will, ist bislang eine unbekannte Größe. Es gibt keine regionalen oder überregionalen Umfragen oder Erhebungen, die das Phänomen Publikum weiterführend erhellen. Zwar sprießen allerorten Angebote für Kulturmanagement-Studiengänge aus Universitäten, Fachhochschulen und privaten Akademien; valide Forschungsergebnisse bleiben indessen aus. Hier herrscht deutlicher Nachholbedarf. Ebenso wie in der Transparenz der Häuser: In den seltensten Fällen bekommt man auf den Webseiten Auskunft über die Kosten eines Theaterbesuchs. Erst, wer sich auf den mühsamen Weg einer Buchung begibt, bringt irgendwann mögliche Preise für eine Karte in Erfahrung. Und ein solcher Interessent muss schon gute Saalkenntnisse mitbringen, wenn er Kategorien, Blöcke und Sitze beurteilen können will. Empfehlungen wie Erläuterungen finden sich in der Regel nicht. Dabei brauchen sich Opernhäuser und andere Spielstätten mit ihrer Preisgestaltung häufig überhaupt nicht zu verstecken. Wenn es aber an solchen Basisinformationen mangelt, während die Rekordpreise beispielsweise eines Wiener Opernballs offensiv – und abschreckend – kommuniziert werden, nutzen die tollsten Strategien nichts. Ioan Holender, inzwischen wohl schon legendärer Intendant der Oper Wien, hat auf die Frage nach den Preisen für einen Besuch der Wiener Oper einmal geantwortet: „Ein Euro.“ Gemeint hat er damit die Stehplätze, die in Wien heiß umkämpft sind. Ein wenig Mut kann also hie und da gar nicht schaden.

Im Gespräch bleiben

In Düsseldorf ist man sich derweil ganz anderer Probleme bewusst. In Zeiten von Facebook und Comedy-Fernsehen allerorten wird es schwierig, eine „Hochkultur“ zu behaupten. Intendant Meyer gibt den Kampf nicht auf. „Wir sehen uns als Impulsgeber und Leistungsträger für die für das Leben und die Gesellschaft in unseren Städten immer wichtiger werdende kulturelle Bildung.“ Kulturelle Bildung ist das eine, im Stadtgespräch zu sein, das andere. Hier hat Stuttgart wieder einmal Maßstäbe gesetzt. Public Viewing, Internet-Live-Streams und die Übertragung einer Oper über verschiedene Fernsehkanäle in verschiedenen Versionen brachten mehr Zuschauer der Oper näher, als die sich das je erträumt hätte.

Es geht dabei wohl weniger um den Event-Charakter als um die Wege, sich ins Stadtgespräch zu bringen. Und das wird, trotz Operntourismus und Internationalität, die Aufgabe der Zukunft sein. Erst dann, wenn der letzte Pennäler davon überzeugt ist, dass seine Stadt eine Oper braucht, werden auch die Kommunalpolitiker wieder ihrem Bildungsauftrag nachkommen, ohne kleingeistig Jugendzentren gegen Opernhäuser aufzurechnen. Düsseldorf, Erfurt und Kaiserslautern sind auf einem guten Weg. Immerhin.

Michael S. Zerban, 31.12.2012

 


Christoph Meyer, Intendant der
Deutschen Oper am Rhein, setzt auf
die Jugend.


Guy Montavon, Intendant Theater
Erfurt
: International relevant zu sein,
heißt, auch in der Stadt etabliert zu
sein.


Hansgünther Heyme, Intendant des
Theaters im Pfalzbau, Ludwigshafen,
will die Stadt mit einbeziehen.
Überregional ziehen große Namen,
sagt er.


Ioan Holender, einst Intendant der
Wiener Oper, ließ die Menschen für
einen Euro in die Aufführung.