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In memoriam



 
 

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Späte Heimat

Oleg Bryjak liebte die Musik. Nach schwerer Kindheit fand er schließlich als Opernsänger seine Heimat in Düsseldorf. Seine Warmherzigkeit und sein Humor machten ihn nicht nur bei den Kollegen so beliebt.

Oleg Bryjak hatte es geschafft. In der Deutschen Oper am Rhein fand er eine Heimat, die sich ihm in den ersten Jahrzehnten seines bewegten und bewegenden Lebens nicht erschließen wollte. Daneben öffneten sich ihm die Türen nahezu aller großen Opernhäuser. Ein Auftritt am Teatro Liceo in Barcelona in einer seiner Paraderollen, dem Alberich in Wagners Ring, wurde sein letzter. Gemeinsam mit seiner Kollegin, der 33-jährigen Altistin Maria Radner, kam er bei dem unfassbaren Flugzeugabsturz in den französischen Alpen ums Leben.

Beide sollten auch im Sommer auf der Bühne der Bayreuther Festspiele stehen. Bryjak zum zweiten Mal, nachdem er als Alberich bereits Erfolge in Baden-Baden, London, Wien und München feiern konnte. Maria Radner, die im Begriff war, eine glänzende internationale Karriere zu starten, zum ersten Mal.

Am liebsten Wagner und Rossini

Angesichts des riesigen Repertoires, das sich Oleg Bryjak erarbeitet hat, wandte er sich zu Recht dagegen, zu einseitig als Wagner-Sänger bezeichnet zu werden. Allerdings ist Wagner mit der Entwicklung seiner Karriere eng verbunden. Mit ebenso viel Lust trat er in komischen Opern auf und genoss es, sein Spieltalent in Rossini-Partien auszuleben. Sein Humor und seine Warmherzigkeit, die er im Gespräch und im Umgang mit seinen Kollegen ausstrahlte, wollten nicht so recht zu seiner Lebensgeschichte passen, die einen Menschen auch auf verbitterte Pfade hätte führen können. Eine Sonderstellung nahmen Stücke ein wie Janáčeks Aus einem Totenhaus nach autobiografischen Aufzeichnungen Dostojewskis aus dessen sibirischer Lagerhaft. Die Produktion an der Deutschen Oper am Rhein vor sechs Jahren bewegte ihn stark, trübte aber nicht seinen Optimismus.

Im Gegenteil: Die trostlosen und demütigenden Erfahrungen aus seinen jungen Jahren haben Bryjak darin bestärkt, in der Kunst das Gute im Menschen und die Freude am Leben zu entdecken. Und diese positive Botschaft strahlte er auf und außerhalb der Bühne in so reichem Maß aus, dass jeder, der ihn kannte, seinen unerwarteten Tod umso schmerzlicher empfinden dürfte.

1960 wurde Oleg Bryjak in einem Straflager in der ödesten Region Kasachstans geboren. Ein Gulag, das erst 1962 aufgelöst wurde. Dahinter verbirgt sich das tragische Schicksal seines Vaters, der vier Jahre von den Deutschen als Zwangsarbeiter ausgebeutet und nach seiner „Befreiung“ von den Schergen Stalins als Verräter zu 25 Jahren Arbeitslager verurteilt wurde. Ein Urteil, das erst nach 17 Jahren Lagerhaft aufgehoben wurde. Oleg Bryjak empfand es als besonders beklemmend, dass sein Vater und seine Leidensgenossen selbst danach noch immer als vermeintliche Verräter diskriminiert wurden und meist in der unwirtlichen Steppe verblieben sind. Dabei hätte er seine Kindheit so gern im glanzvollen Kiew verbracht, der Heimat seines Vaters. Aber selbst von der eigenen Verwandtschaft, die er über 20 Jahre nicht gesehen hatte, wurde sein Vater nicht mit offenen Armen empfangen. So blieb die Familie im tristen Dseskasjan, wo sich der kleine Oleg mit einem Knopfakkordeon beschäftigte, auf dem er es bis zu professioneller Perfektion brachte. Dem Instrument wollte er treu bleiben und verspürte wenig Lust, Sänger zu werden. Doch im Schulchor wurde eine Dozentin auf seine Stimme aufmerksam, und die riet seinem Vater, den Sohn gesanglich weiterbilden zu lassen. Die ersten Jahre des Gesangsstudiums empfand er als Katastrophe, bis ganz langsam der Knoten platzte und mit den ersten Bühnenauftritten sein Herz für die Oper zu schlagen begann. Nach Gastspielen in St. Petersburg, Zürich, Wien und Paris blieb er sechs Jahre am Staatstheater Karlsruhe, bevor er zur Rheinoper wechselte.

Ein eigener Kopf

Oleg Bryjak war ein Sänger, der sich viel Gedanken über seine Zunft, über die Zukunft des Theaters, aber auch über die Eigenmächtigkeiten von Regisseuren gemacht hat. Von den Herren der Szene fühlte er sich nicht immer ernst genommen. Bryjak: „Da studiert man eine Rolle ein, stellt sich vor, wie man sie gestalten könnte, entwickelt ein Profil, einen Charakter und dann wird kompromisslos etwas von mir gefordert, mit dem ich mich überhaupt nicht identifizieren kann.“ Bryjak konnte als Profi zwar damit leben. Dennoch stimmte es ihn bedenklich, dass ein unglückliches szenisches Umfeld die ideale Entfaltung eines Sängers verhindern kann.

Oleg Bryjak hat eine Studienkollegin geheiratet, die als Chordirektorin arbeitet. Besonders stolz war er auf seine beiden Söhne, die eine Ausbildung zum Bühnenbildner und Informatiker absolvierten. Sein sehnlichster Wunsch: „Wenn wir so gut arbeiten, dass die Leute gern ins Theater gehen, hätten wir volle Häuser, und die Diskussion über finanzielle Engpässe verlöre ihre Schärfe.“

Die nächste große Premiere am Düsseldorfer Opernhaus im Mai, Prokofieffs Oper Der Feurige Engel, muss ohne den liebenswerten Sänger stattfinden.

Pedro Obiera, 31.3.2015

 


Am 24. März 2015 kam Oleg Bryjak
bei einem Flugzeugabsturz in den
französischen Alpen ums Leben.

Aus einem Totenhaus von Leŏs Janáček
war eines der Stücke, die Bryjak auch
persönlich tief berührten.


Das Leben besteht nicht nur aus
Wagner: Sänger Bryjak war auch für
einen Rossini-Spaß stets zu haben.


Ein weiteres Juwel im Repertoire: In
Tristan und Isolde in der Inszenierung
von Claus Guth, lieh Oleg Bryjak dem
Kurwenal seinen Bass.