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NEWS 

Musiker erzählen


 

Interview


Heiner Gembris und Andreas Heye erzählen im Interview mit Horst Dichanz über die Bedeutung ihrer Studie (7'26).

 

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Musiker: Gestresst – aber zufrieden

In Zeiten, in denen von Gera bis Duisburg, von Schwerin bis Stuttgart Orchester und Theater im Brennpunkt der Sparpolitik stehen und viele Orchestermusiker um ihren Arbeitsplatz fürchten, ist die Frage nach ihrer Berufszufriedenheit verständlich und mehr als berechtigt. – Aber, Überraschung, die Zufriedenheit ist viel größer als erwartet. Immerhin sind mit ihrer Berufssituation im Orchester mehr als 80 Prozent der Berufsmusiker zufrieden.

In einer umfangreichen Studie haben Heiner Gembris und Andreas Heye vom Institut für Begabungsforschung in der Musik an der Universität Paderborn 2010/2012 Mitglieder aller 133 deutschen Orchester befragt, 9.922 Fragebogen verschickt und auf der Basis von 2550 Rückantworten, das entspricht einer Rücklaufquote von 27 Prozent, eine repräsentative Studie erstellt, die mit einigen Überraschungen aufwartet. Die Studie „Älter werden im Orchester“, wendet sich den künstlerischen, musikalischen, sozialen, psychologischen, gesundheitlichen und berufspolitischen Aspekten zu, mit denen langjährige professionelle Musikerinnen und Musiker eines Symphonieorchesters zu tun haben. Die Zusammenarbeit mit der Deutschen Orchestervereinigung (DOV) sicherte den Forschern direkten Kontakt zu den Orchestern und wertvolle organisatorische und finanzielle Unterstützung. Etwa zwei Drittel der Befragten sind Männer, ein Drittel Frauen. Bei einer Altersverteilung zwischen 18 und 68 Jahren beträgt das Durchschnittsalter 46 Jahre, die Berufserfahrung 18 Jahre. Insgesamt stellen die Streicher mit etwa 1.359 Musikern die größte Gruppe, die Bläser folgen mit 993 Musikern, dann 113 Perkussionisten, 41 Harfinistinnen, Musiker ohne Instrumentenangabe 30.

Von den befragten Musikern bewerten acht von zehn (86 Prozent) ihre Zufriedenheit mit ihrer Position im Orchester mit den Noten „sehr gut“ oder „gut“, wobei die Bläser tendenziell zufriedener als die Streicher und die Solisten zufriedener als die Tuttisten sind. Insgesamt betrachtet, ist die Zufriedenheit mit der gegenwärtigen Position im Orchester, aber auch mit der Atmosphäre in ihrer Stimmgruppe „relativ hoch“ . Nicht ganz so positiv fällt die Einschätzung der beruflichen Perspektiven aus: Immerhin sieht noch gut die Hälfte ihre Entwicklungschancen als „gut“ oder „sehr gut“ an, 22 Prozent schätzen sie befriedigend und 23 Prozent als ausreichend oder mangelhaft ein.

Willibert Steffens, Hornist und Berufsmusiker seit 35 Jahren, kennt die praktische Seite dieser Zahlen aus eigener Erfahrung. Er bestätigt, dass für die Mehrzahl der Musiker, etwa zwei Drittel (67 Prozent) die Musik die treibende Kraft ist, „die in sehr starkem Maße Kraft und Energie vermittelt“. Steffens: „Wir spielen eben alle, weil wir die Musik lieben, alles andere ist zweitrangig.“ Nach eigener Einschätzung erbringen Orchestermusiker ihre Höchstleistungen zwischen 35 und 39 Jahren, ab 50 seien deutliche Einschränkungen zu spüren, die durch Erfahrung und zusätzliches Üben kompensiert werden können.

Nicht so gut sieht es mit der körperlichen und psychischen Belastungen von Orchestermusikern aus. Als Vorsitzender der Arbeitsgemeinschaft Gesundheit und Prophylaxe in der Deutschen Orchestervereinigung kennt Steffens die Problembereiche von Berufsmusikern und blickt über den Raum Nordrhein-Westfalen hinaus. Beklagt wird zunehmender Stress, vor allem verursacht durch höheren Leistungsdruck und mehr Zeitaufwand. Fast normal verteilt erscheinen die Beschwerden über den Leistungsdruck. „Durchschnittlich 30 Prozent der Orchestermusiker erleben ihn als hoch, etwa 40 Prozent als mittelstark und 30 Prozent als gering“, wobei der Druck mit zunehmendem Alter als höher eingestuft wird. Gut 90 Prozent haben inzwischen das Lampenfieber überwunden und spielen weitgehend entspannt. Steffens nennt künstlerischen Druck, aber auch Probenhäufigkeit, Umfang des Repertoires und Häufigkeit der Proben und Aufführungen, die deutlich zugenommen haben. Das merken viele Musiker in ihrer körperlichen Belastung. Klagen über gefühlte Belastungen und gesundheitliche Probleme tauchen am stärksten bei der Gruppe der Streicher, der Harfinistinnen, weniger bei den Bläsern und den Perkussionisten auf.

Und wie sieht es mit den „Chefs“ aus, der Zufriedenheit mit den Dirigenten? Hier unterscheiden sich die Orchester-Klassifizierungen deutlich: Musiker von A-Orchestern bewerten die Dirigentenleistungen mit „sehr gut“ oder „gut“ und sind mit 70 Prozent entsprechend zufrieden. Bei den B-Orchestern sind es immerhin noch 52 Prozent, in den weiteren Kategorien geht die Zufriedenheit bis auf 37 Prozent zurück.

Die DOV, Berufsverband und Gewerkschaft der Orchestermusiker, will hieraus die Konsequenz ziehen, bei künftigen Vertragsverhandlungen mit einzelnen Häusern viel stärker auf die Arbeitsbedingungen und Präventionen zu achten, um beispielsweise medizinische Beratungen und ähnliches sicher zu stellen. Auch Pausenzeiten, Erholungen und Ausgleiche für Feiertags- und Überstunden müssten besser geregelt werden. „Für die Verbesserung der Arbeitssituation von Berufsmusikern ist die Studie sehr wichtig und äußerst wertvoll.“ Nach Gembris ist die Paderborner Studie die weltweit größte Studie zur Situation der Berufsmusiker, die aktuell zum Beispiel schon in Österreich für die orchesterpolitische Argumentation genutzt würde. Aktuell war sie Gegenstand eines Kongresses für Musiker-Mediziner. Auch wenn die bundesrepublikanische Situation der Kulturpolitik im Moment für neue Forderungen nicht günstig sei, ist Steffens sich sicher, dass die Studie Eingang in die künftige Kulturpolitik finden wird – zum Nutzen der Berufsmusiker.

Die Studie von Gembris und Heye liefert nicht nur umfangreiches Datenmaterial zur Arbeit von Berufsmusikern, sie gibt erstmals „empirisch begründbare Anhaltspunkte und Hinweise für die Arbeitsplatzgestaltung in den Orchestern, für berufspolitische Maßnahmen und für die Aus- und Weiterbildung von professionellen Musikern“ – zum Nutzen der Musiker und der Zuhörer.

Horst Dichanz, 22.4.2013

 


Willibert Steffens findet sich in der
neuen Studie wieder. „Was uns
antreibt, ist die Musik“, sagt er.


Kölner Philharmonie: In den
A-Orchestern ist die Zufriedenheit
mit dem Beruf generell größer.


Die Streicher stellen die größte Gruppe
im Orchester - und in der Studie.


Musikerkrankheiten werden immer
noch gern tabuisiert. Auch im
Orchester und schon erst recht im
zunehmenden Alter.


Der DOV will sich auf der Basis der
Studie in Zukunft noch mehr um
verbesserte Arbeitsbedingungen
kümmern. In der Rheinoper wurde erst
kürzlich der vergrößerte Graben dem
Orchester übergeben.