Wunderbare Dialoge
Als größtes zeitgenössisches Festival Finnlands dient Musica Nova, das vom 6. bis 14. Februar in Helsinki stattfand, sowohl als Podium für heimisches Talent als auch als Fenster für internationale Strömungen.
1981 als die Helsinki Biennale gegründet, spielte die Veranstaltung eine zentrale Rolle in der Entwicklung des Finnischen Modernismus, deren stärkste Vertreter Kaija Saariaho und Magnus Lindberg sind. Auch wenn die jüngere Generation dieselbe Ebene von Einfluss nicht erreicht hat, ist die Szene Helsinkis von frischer Energie und Offenheit geprägt. Das zeigt auch in diesem Jahr wieder das Festival, das inzwischen Musica Nova heißt.
Gesprächige Duos und Trios
Unter dem Thema Dialogues vereint der künstlerische Leiter und Cellist Anssi Karttunen eine breite Palette an Stilrichtungen, unter anderem durch die drei Composers-in-Residence Fred Lerdahl, Hans Abrahamsen und Pascal Dusapin. Im neu erbauten Helsinki Music Center tritt Karttunen zusammen mit dem Geiger Ernst Kovacic in der Uraufführung von Lerdahls Give and Take auf. Obwohl das ungefähr 15-minütige Duo als „intensives Gespräch“ konzipiert wurde, sprechen die Stimmen zunehmend mehr, als sie zuhören, nur um sich letztlich in Fragezeichen zu verheddern.
Als Gegenstück taucht ein Spektrum von unterschiedlichen Werken auf, von Magnus Lindbergs neo-romantischem Acequia Madre, in dem die zornig-modernen Akkorde des Klaviers den versierten Ausdruck der Bratsche vereiteln, bis Rolf Wallins Trio Sway, eine Thematisierung der Bewegung zwischen Elektronen, in der die Streicher ineinander stoßen, bevor sie ihre Energie wieder einsammeln. Ein Höhepunkt des Abends ist Abrahamsens Trio Storm and Still with Hymn and Capriccio Bagatelles, eine Überlagerung dreier Werke, die die Bratsche in der Zeit einfängt.
Uraufführung mit Steppschuhen
Im Ballsaal des Hauses der Nobilität erblickt ein unerwartet theatralisches Werk der finnischen Komponistin Rikka Talvitie vom Uusinta Ensemble das Licht der Welt. Im etwa 18-minütigen Village Party fordert die Oboe ein Streichquartett zum Tanz auf, mit sowohl spritzigen Melodien als auch Steppschuhen. Die mutige Solistin Anna-Kaisa Pippuri stampft, bis die Musiker einer nach dem anderen auf den Füßen hüpfen und sie endlich in einem wilden Tanz begleiten.
In ähnlicher Weise sendet das zum Teil präparierte Klavier Energiewellen durch ein kleines Ensemble in Jérôme Combiers Lichen, eine Schilderung der Schönheit, aber auch der Fragilität der Natur, in der die reine Flöte in den Wind verschwindet. Auch Lerdahls rigoros strukturiertes, aber spielvoll dramatisches Time after Time bringt eine große Spannung zwischen diesen zwei Instrumenten hervor, wie etwa mit dem stürmenden, provozierenden Klavier im zweiten Satz.
Die fluide Form und urtümliche Klangwelt von Dusapins Concertino Jetzt Genau! bildet einen starkes, wenn auch passendes Kontrastelement zum Programm, nicht zuletzt, wenn das Klavier das Stück mit einem gewaltigen Schlag zu Ende bringt. Die Dramaturgie des Abends wäre noch stärker ohne Christian Winther Christensens Streich Quartett, eine kompakte Umsetzung erweiterter Spieltechniken.
Gespenstische Klaviermusik
Das Festival veranstaltet in diesem Jahr eine Rekordanzahl an Konzerten mit freiem Eintritt, wie etwa ein Klavierprogramm rund um Jovanka Trbojevics neues Werk Between me and Bach. Die fast 30-minütige Reihe von sechs Präludien bietet Passagen von überirdischer Harmonik und atmosphärischem Mysterium, als ein „ad libitum Instrument“ aus den Kulissen „wie ein Geist aus dem Raum“ einschwebt. Der Effekt verliert aber schnell seine Anziehungskraft, wenn Tenorsaxophonist Joonatan Rautiola mit brüllenden Tönen auf der Bühne steht.
Dem gespenstischen Thema entsprechend, folgt Sciarrinos Notturno No. 2, ihre dynamische Extreme mit großer Feinheit von der Pianistin Tuija Hakkila interpretiert. Nach Paavo Heininens unruhiger, post-serialistischer Pianosonaatti Nro. 3 taucht man in die träumerische, ökonomisch texturierte Welt von Saariahos Delicato ein, hier in einer selbstkonzipierten Bearbeitungvon Hakkila als Zugabe dargeboten.
Monodramen zu Edgar Allan Poe
In der Finnischen Nationalen Oper wird Edgar Allan Poe zum Leitthema für eine Doppelvorstellung von Poul Rouders Dreamland und Toshio Hosokawas The Raven. Dennoch zeigen sich die zwei Monodramen, beide in ihren finnischen Erstaufführungen, kaum vereinbar: Rouders zarte Instrumentation für Sopran, Klarinette und Streichquartett passt eher zu einem Kammermusikabend, während Hosokawa eine bildhaft orchestrale Partitur erzeugt.
Das erste Drama wird von der Filmemacherin Zaida Bergroth in ihrem Debüt als Bühnenregisseurin kaum inszeniert; im Gegensatz setzt sie für den zweiten Teil melodramatische Live-Videoprojektionen für die Auseinandersetzung von Poes berühmter Protagonistin mit dem Raven. Trotz der ständigen Nähe der Kamera zeigt die Mezzosopranistin Virpi Räisänen eine magnetische Präsenz.
Nahezu magnetisch zog auch das Festival seine Gäste an. Rund 5.000 Besucherinnen und Besucher vor Ort, mehr als eine halbe Million Menschen haben an den Radios und im Internet das Festival verfolgt. Zahlen sind das eine. Das andere ist der kostbare Dialog der Musiker untereinander, der bei Musica Nova eine sehr gelungene Plattform findet. Der wird in zwei Jahren fortgesetzt.
Rebecca Schmid, 8.4.2015
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