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Kultur in Ostdeutschland


 

Dirigent mit Leidenschaft

Der gebürtige Amerikaner Peter Leonard liebt das deutsche Theater. Wohl deshalb hat er die vergangenen zehn Jahre durchgehalten. Jetzt ist es genug (8'04).

 

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Ebbe an der Ostsee

Während die Bundeskanzlerin durch Europa reist und andere Länder zur Staatsräson mahnt, geht Mecklenburg-Vorpommern landunter. Und als erstes geht die Kultur baden. Opernnetz hat sich in Rostock und Schwerin danach erkundigt, wie die Rettung aussehen soll. Das Ergebnis ist ernüchternd.

Das Publikum ist sauer, die Bürgerschaft ratlos, das Land deckelt seit 1994 die Zuschüsse, das künstlerische Personal ist tief frustriert – und geht: Intendant Peter Leonhard wird seinen Vertrag nicht über 2014 hinaus verlängern, Schauspieldirektor Jörg Hückler geht zum Sommer, Ballettdirektor Bronislav Roznos verlässt das Theater Rostock nach dieser Spielzeit ebenso wie Schauspieler Jörg Schulze, und der kaufmännische Direktor Stefan Rosinski nennt das Volkstheater öffentlich eine „Pappschachtel“, bei der abzusehen sei, wann sie nach ihrer „Renovierung“ 2012 erneut wegen Sicherheitsmängeln geschlossen werden müsse. An einen Neubau ist vor 2018 nicht zu denken.

Oberbürgermeister Roland Methling, vormals Manager der Hansesail, den die Rostocker ein zweites Mal in direkter Wahl gewählt haben – und keiner will es heute gewesen sein – verschleppt den vor 20 Jahren gefassten Neubaubeschluss beharrlich und starrsinnig gegen den Willen der gewählten Bürgerschaft. Trotzdem beschließt die Rostocker Bürgerschaft in der ersten Novemberwoche unverdrossen eine 1,3-Millionen-Euro-Spritze, um die 2013 drohende Insolvenz des Volkstheaters abzuwenden. Der Beschluss fällt in der Hoffnung auf einen Zuschuss des Landes Mecklenburg-Vorpommern - ein ungedeckter Scheck. So sieht eine Farce aus, mitten aus dem aktuellen (Theater)leben gegriffen.

Verheerende Zustände im Land

Auch die Ostsee hat eine Tide, nur wenig, im Maximum 30 Zentimeter. Die Ebbe in der Landeskasse von Mecklenburg-Vorpommern ist ungleich größer und wächst weiter. Vieles im Land schrumpft: Die Einstellung der S-Bahnlinie nach Warnemünde, Zuschüsse an Sport- und Jugendorganisationen, die Kulturetats. Zur derzeit desaströsen Theatersituation in Mecklenburg-Vorpommern gehören als Hintergrund folgende Zahlen: Mecklenburg-Vorpommern, nordöstlichstes Bundesland, 1,6 Millionen Einwohner mit abnehmender Tendenz. Die Landesregierung hat sich im Jahre 2010 zu einem Doppelhaushalt 2010/2011 entschlossen, der 2011 von der neuen großen Koalition aus SPD und CDU fortgesetzt wird und vor allem der Schuldentilgung dienen soll. Das Land schiebt einen Berg von 10,5 Milliarden Euro Schulden (2011) und einen derzeitigen Schuldendienst von 450 Millionen Euro vor sich her. Eine hohe Arbeitslosenquote, eine nicht endende Westflucht, dramatisch sinkende Steuereinnahmen stimmen wenig optimistisch, die Perspektiven sind schlecht. Vormals bekannte, vielleicht auch profitable Werften schließen eine nach der anderen, große Flächen liegen brach und werden inzwischen konkurrenzlos preiswert von niederländischen Landwirten gekauft. Fast wöchentlich schließen größere Betriebe und versenken Arbeitsplätze, die Landflucht hält an. Eine Verbesserung der wirtschaftlichen Situation ist nicht in Sicht, eine bessere Finanzierung der Theaterszene völlig unrealistisch, Theaterneubauten wie in Rostock, seit 20 Jahren geplant, bleiben Wunschträume. Die Situation ist mehr als verfahren, die Politik verwaltet den Mangel und scheint nur zwei Aufgaben zu kennen: Menschen in Mecklenburg-Vorpommern zu halten und Schulden abzubauen. Ungeachtet der immer noch vorhandenen alten Rivalitäten und Zankereien zwischen Rostock und Schwerin, zwischen Mecklenburg und Vorpommern: Die Fakten sprechen eine eigene Sprache.

Mecklenburg-Vorpommern unterhält in Rostock und Schwerin je ein Vier-Sparten-Haus, dazu selbstständige Theater in Stralsund-Greifswald und Neubrandenburg, außerdem Bühnen in Anklam, Neustrelitz und Parchim mit eigenen Kräften. Sie kosteten Land und Kommunen allein im vergangenen Jahr zusammen annähernd 36 Millionen Euro. Der Landeskulturetat ist bis 2020 auf derzeitigem Stand von 39 Millionen eingefroren, wird also jährlich real um etwa drei bis fünf Prozent gekürzt.

Kalter Kaffee statt innovativer Rettungspläne

Ein im Auftrag des Kultusministers von der Agentur Metrum in diesem Jahr vorgelegtes Strukturpapier für die Neuorganisation der Theaterszene enthält insgesamt neun Modelle und orientiert sich ausschließlich am Sparauftrag. Das radikalste Modell sieht die Bildung einer Staatsoper – Compagnie Mecklenburg-Vorpommern – vor, die die vorhandenen Spielorte bespielen soll. Mit diesem Modell könnte nach Angaben der Agentur eine Kostenreduktion um 18 Millionen Euro erzielt werden, was etwa 290 Arbeitsplätze kosten wird. Die Vorschläge werden in Kürze im Kulturausschuss des Landtages beraten. Bisherige „Reisemodelle“ ähnlicher Art in Mecklenburg-Vorpommern sind grandios gescheitert. Peter Leonhard, Noch-Intendant im Rostocker Volkstheater, findet in dem Strukturpapier nur ökonomische, alte Sparideen und vermisst jegliche Vision: „Dabei ist genügend Potenzial vorhanden.“

Allmählich beginnen die Häuser zu begreifen, dass die Reihe nun an ihnen selbst ist. Wenn sie Wert darauf legen, weiter in planungssicherem Rahmen künstlerisch anspruchsvoll arbeiten zu können, müssen sie über den Protest hinaus in der öffentlichen Debatte mitmischen, laut und kräftig, auch mit den Mitteln der Politik. Ihre Ideen, Vorschläge, Modelle sind gefragt, sonst werden sie bei jedem Schnitt mit geschoren.

Nicht alle Bürger des Landes teilen den visionslosen Pessimismus: In Bad Doberan wird von der Schauspielerin Beatrice Richter die Neugründung des ehemaligen Theaters durch einen Kulturverein betrieben, in dem kleinen Ort Lelkendorf mit gut 500 Einwohnern veranstaltet ein Kulturförderverein seit schon zehn Jahren Kulturveranstaltungen im örtlichen Schloss, die Barlach-Stiftung feiert in Güstrow das Richtfest für ein „Haus der Zukunft“. Auch in Rostock und Schwerin kämpfen mehrere Bürgerinitiativen um die Zukunft ihrer Theater. Aber alle agieren lokal und sehen in der Nachbarinitiative die Konkurrenz. Die Zeit solcher Kirchturmpolitik ist längst vorbei, jetzt geht es um eine möglichst starke Position im landesweiten Verteilungskampf, der nach anderen Regeln ausgetragen wird als nach den Regieanweisungen für das Käthchen von Heilbronn.

Vorläufer statt Einzelfall

In Mecklenburg-Vorpommern konzentrieren sich schon heute Probleme, die auch auf andere Bundesländer zukommen können. Hier ist mehr gefragt als kunstbesessene Solidarität oder die gemeinsame Hoffnung auf großzügigen Bundessegen in guten Vorwahl-Zeiten wie jüngst in Berlin, als Kulturstaatsminister Neumann mal eben zusätzliche 100 Mill. des steuerbegünstigten Bundes verteilen konnte. Solche Zeichen werden nach dem Wahlkampf ausbleiben, dann beginnen die harten Ressortkämpfe.

Die Kulturszene – und nicht nur diese – erlebt zur Zeit die andere Seite einer freien, weitgehend öffentlich finanzierten Theaterszene, die dem Publikum und den Protagonisten so wichtig ist: Die Verteilung der öffentlich verfügbaren Mitteln erfolgt abhängig von der Größe der Truppen, die man mobilisieren kann. In Mecklenburg-Vorpommern werden noch viele Bürgerinitiativen benötigt, nicht nur in Rostock, Schwerin oder Parchim. Die Perspektiven hat der scharfsinnige Spötter Karl Kraus früh erkannt: „Wenn die Sonne der Kultur niedrig steht, werfen selbst Zwerge einen langen Schatten.“

Horst Dichanz, 13.11.2012

 


Als Pappschachtel bezeichnet der
kaufmännische Direktor sein Theater,
weil es nicht mehr als ein maroder Bau
ist. Der Intendant zieht im übernächsten Jahr die Konsequenzen:
Er geht.


Ähnliche Probleme wie in Rostock gibt
es auch in Schwerin. Für die Bürger
kaum ein Anlass zu
stadtübergreifender Solidarität.


Kleinere Spielstätten wie das Theater
im Stadthafen von Rostock wird es
wohl in Zukunft nicht mehr geben,
wenn nicht ein schlüssiges Konzept
gefunden wird.


Am 20. März 2012 protestieren die
Schweriner erfolgreich gegen die
Schließung ihres Theaters. Aber die
Not zu lindern, reicht nicht mehr.


Pfiffige Protestaktionen, wie hier das
Rote Kreuz, helfen, Öffentlichkeit
herzustellen. Um sich in den
politischen Verteilungskämpfen zu
behaupten, braucht es mehr.

Fotos:
Theater Schwerin, Volkstheater Rostock