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Abschied mit Gurre-Liedern


 
 

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Klangrausch in Bataillonsstärke

Markus Stenz nimmt Abschied von Köln. Mehr als zehn Jahre war er der Generalmusikdirektor der Stadt. Er hinterlässt ein wohl bestelltes Feld, und so darf er sich zu Recht mit den Gurre-Liedern Arnold Schönbergs von „seinem“ Gürzenich-Orchester feiern lassen.

Orchestrale Leuchtkraft in großer Besetzung lag ihm immer am Herzen. Entsprechend opulent nimmt er jetzt nach knapp elf Jahren mit Schönbergs bombastisch bestückten Gurre-Liedern seinen Abschied aus der Domstadt. Markus Stenz, der 49-jährige, in Bad Neuenahr geborene Maestro hat die letzte Dekade des Kölner Musiklebens als Generalmusikdirektor maßgeblich mitbestimmt. Nahezu 650 Mal stand leitete er das Gürzenich-Orchester Köln in Konzert und Oper. Mit seiner unermüdlichen Energie, die ihm seine Mitarbeiter und Kollegen einhellig bescheinigen, gab er dem städtischen Musikleben nach dem Ausscheiden James Conlons neue Impulse. Gekleckert hat er dabei nie. Wagners Nibelungen-Ring vollständig an zwei Tagen aufzuführen, war für ihn kein Problem. Und wenn schon eine Oper seines Freundes Hans Werner Henze anstand, dann auch eine der wirkungsvollsten – und zugleich besten – des im Vorjahr verstorbenen Meisters: Die Bassariden. Im Konzertsaal gaben Klangmagier wie Gustav Mahler den Ton an, dessen Symphonien Stenz allesamt auf CD einspielte, was ihm und dem Orchester etliche Preise einbrachte.

Nicht alles, was aus dem Orchestergraben der Oper, vor allem zarterer Opern, unter seinen Händen klang, konnte dieses Niveau erreichen. Aber er erreichte neue Publikumsschichten mit klug disponierten Konzertformen über das treue Abonnements-Publikum hinaus, indem er es, ob jung oder alt, direkt ansprach oder es sogar mit in die Gesprächskonzerte einbezog. Die Platzausnutzung seiner Konzerte stieg innerhalb von zehn Jahren von guten 83 Prozent auf hervorragende 92 Prozent.

So bewusst Stenz sein jugendlich smartes Charisma zur Imagepflege eines dynamischen Macher-Typs nutzte, so konsequent verteidigte er die traditionsreiche Geschichte des Gürzenich-Orchesters gegen alle Vorwürfe einer gewissen bodenständigen, mit dem Gürzenich verbundenen Provinzialität. Den Versuch, den Namen des Orchesters durch den Zusatz „Kölner Philharmoniker“ international aufzuwerten, machte er schnell rückgängig. Er vermittelte Orchester und Publikum das Gefühl, dass man auf die fast 200-jährige Geschichte des Klangkörpers mit Stolz zurückblicken kann.

Keine Frage: Markus Stenz hat das Selbstbewusstsein des Orchesters, das mittlerweile als eines der führenden Orchester der Bundesrepublik anerkannt wird, maßgeblich stärken können. Und an Selbstbewusstsein mangelt es auch seinem letzten offiziellen Auftritt in der Kölner Philharmonie mit vier Aufführungen der Gurre-Lieder nicht.

Die noch stark von Mahler, teils auch von Debussy und Richard Strauss beeinflusste Tonsprache des zweistündigen Kolosses, lässt noch nichts vom späteren Neutöner erkennen. Ab 1900 arbeitete Schönberg an dem schlicht als Kantate bezeichneten Monolithen für sechs Solisten, Chor und Orchester in Bataillonsstärke. Für die an sich recht kleinen Chorpartien engagierte Stenz gleich sechs Chöre, abgesehen vom Netherlands Female Youth Choir allesamt Vereinigungen aus dem Kölner Raum, vornehmlich aus dem Umfeld des Domchors, des Bach-Vereins und der Kartäuserkantorei. Für das mit bis zu fünffach besetzten Bläsern und vier Harfen besetzte Orchester wurde es bedrohlich eng auf dem an sich geräumigen Podium der Philharmonie. Und Stenz scheint noch einmal alles an Klangpracht aus seinem Orchester herauskitzeln zu wollen, was in ihm steckt. Das führte zu beeindruckenden, rauschhaften Ergebnissen in den Höhepunkten, aber auch zu feinfühligen Soli von kammermusikalischer Delikatesse und zu kristallin zerbrechlichen Tönen, als stammten sie aus einer Partitur Debussys. Den dekadent-melancholischen Grundton des Stücks, der das Werk wie ein Trauerflor überschattet, wird deutlich, ohne die expressive, teils auch ironisch distanzierte Kraft zu vernachlässigen.

Dazu bedarf es eines erstklassigen Solistenensembles. Das steht Stenz mit Brandon Jovanovich als Waldemar und Barbara Havemann als Tove an der Spitze zur Verfügung. Allerdings schlägt sein Herz so einhellig für das Orchester, dass es alle schwer haben, sich gegen die instrumentalen Sturzbäche durchzusetzen.

Gleichwohl: eine denkwürdige Begegnung mit einem Werk der Superlative, mit der sich Stenz noch lange in Erinnerung seines treuen Publikums halten wird. Die Ovationen am Ende des Kraftakts sprechen für sich.

Die frühzeitige Ankündigung seines Abschieds vor zwei Jahren ermöglichte es der Stadt, in Ruhe einen Nachfolger zu suchen. Offiziell am 1. September 2015 wird der Franzose François-Xavier Roth die Nachfolge antreten, hoffentlich im rechtzeitig fertiggestellten Opernhaus am Offenbachplatz. Und Stenz wird sich verstärkt dem Radio-Sinfonieorchester Hilversum und dem Bundesjugendorchester widmen sowie Tourneeangebote diverser Orchester wahrnehmen können, die er in den letzten Jahren ausschlagen musste.

Dass Stenz‘ Entscheidung vor zwei Jahren zeitgleich mit dem Rausschmiss des Opernintendanten Uwe Eric Laufenberg zusammentraf, darin sieht er keinen ursächlichen Zusammenhang. Allerdings haben ihm die skurrilen Querelen um Besetzungs- und Finanzierungsfragen wie auch die Verzögerungen bei der Renovierung des Opernhauses die Entscheidung ein wenig erleichtert.

Pedro Obiera, 2.6.2014

 


Das Gürzenich-Orchester ist zum
Abschied in Bataillonsstärke
angetreten, um seinen musikalischen
Leiter zu feiern.


Oberbürgermeister Jürgen Roters und
Kulturdezernentin Susanne Laugwitz-
Aulbach überreichen Markus Stenz das
Abschiedsgeschenk - eine digitale
Collage von Notenhandschriften
früherer Generalmusikdirektoren der
Stadt Köln.


Markus Stenz hat das Gürzenich-
Orchester zu einem international
anerkannten Klangkörper entwickelt.
Nachfolger
François-Xavier Roth muss
sich einer großen Verantwortung stellen.

Fotos: Paul Leclaire