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Kultur ist Identität


 
 

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Der Wert immaterieller Kulturgüter

Der Theaterbetrieb als Profit-Center, die Prozession nur noch, wenn sie dem Tourismus-Marketing im Wege der Umwegrentabilität Geld in die Kassen spült und das Kunsthandwerk überlebt nur, wenn es sich privatwirtschaftlich rechnet: Die UNESCO sagt nein zum Kulturverfall und erstellt eine Liste immaterieller Kulturgüter. Das ist viel mehr als eine symbolische Aktion.

Die bis jetzt eingereichten deutschen Vorschläge zur Liste der immateriellen Kulturerbe enthalten das Puppentheater ebenso wie den deutschlandweit praktizierten Chorgesang, die Sächsischen Bergaufzüge und Bergparaden, das Wissen über „Heilen mit Bakterien“, das Thüringer Skatspielen, die deutsche Brotback- und Bierbraukunst und die traditionelle Handwerkskunst des Kratzputzes an historischen Fachwerkgebäuden in Hessen. Wendet man den Blick über deutsche Grenzen hinaus, wird die Sammlung noch bunter, skurriler: Da findet sich der argentinische Tango ebenso wie die Heilig-Blut-Prozession im belgischen Brügge, die tibetische Oper in China oder die Pfeifsprache El Silbo der Kanareninsel La Gomera, um nur einige Beispiele zu nennen. Fü r die Wünsche und Vorstellungen zur Aufnahme in die Liste und die Bandbreite des gelebten Kulturerbes gibt es keine Grenzen. „Die Formen immateriellen Kulturerbes sind entscheidend von menschlichem Wissen und Können getragen. Sie sind Ausdruck von Kreativität und Erfindergeist, vermitteln Identität und Kontinuität“. Die bisherige Liste der repräsentativen immateriellen kulturellen Ausdrucksformen aus allen Weltregionen umfasst 281 Nennungen. Dazu gehören Ausdrucksformen wie „Tanz, Theater, Musik, aber auch Bräuche, Feste und Handwerkskünste“. Die Buntheit der Vorschläge ist überraschend, die Bedeutung der Vorschläge kaum einzuschätzen. Es ist wohl wie bei der Kunst generell: Kunst ist, wenn sie jemand ernst nimmt.

Ideen und Ziele

Am 1. Juni 2014 findet weltweit der Welterbetag statt, der die Aufmerksamkeit auf die Welterbestätten richtet, die seit 1972 durch die Internationale Konvention der UNESCO unter Schutz stehen. Im „Welt(kultur)erbe“-Abkommen, das ausschließlich Baudenkmälern, Stadtensembles sowie Kultur- und Naturlandschaften gilt. Darunter fallen das Markgräfliche Opernhaus Bayreuth ebenso wie die Geburtsstätte Jesu, das Taj Mahal oder die Chinesische Mauer. In der Liste der insgesamt 981 schützenswerten Welterbestätten ist Deutschland unter 160 Ländern mit 38 Stätten vertreten, darunter zum Beispiel der Aachener Dom, das Bergwerk Rammelsberg im Harz und das deutsche Wattenmeer.

Im Jahr 2003 folgte das Abkommen zur Erhaltung des immateriellen Kulturerbes IKE, dem Deutschland erst zehn Jahre später beitrat. Beim immateriellen Kulturerbe spielt der Mensch die Schlüsselrolle. „Wissen. Können. Weitergeben.“ ist die entscheidende Formel. Nach den UNESCO-Grundsätzen zählen zum Immateriellen Kulturerbe „lebendige kulturelle Ausdrucksformen, die unmittelbar von menschlichem Wissen und Können getragen werden.“ Das können sein „…mündlich überlieferte Traditionen und Ausdrucksformen (z.B. traditionelle Gesänge, Sagen, Märchenerzählungen, Redensarten); darstellende Künste (z.B. Musik, Tanz, Theaterformen); gesellschaftliche Bräuche, Rituale und Feste (z.B. Umzüge, Prozessionen, Karneval, Spiele); Wissen und Bräuche in Bezug auf die Natur und das Universum (z.B. traditionelle Heilverfahren, landwirtschaftliches Wissen); traditionelle Handwerkstechniken.“ Die Wünsche und Vorschläge zur Aufnahme in diese Liste folgen einem komplizierten nationalen und internationalen Verfahren.

Das UNESCO-Abkommen ist eine völkerrechtlich verbindliche Grundlage als Recht aller Staaten auf eine eigenständige Kulturpolitik. Eine deutsche Liste des immateriellen Kulturerbes ist derzeit bei der Deutschen UNESCO-Kommission (DUK) in Arbeit und soll bis Ende dieses Jahres fertig gestellt werden. Bis zum Nennungsschluss am 30. November 2013 lagen der DUK 213 Vorschläge vor. Dazu gehören Handwerkskünste, Erzähltraditionen, Bräuche und Musikformen. Ziel der Liste ist es, langfristig die Vielfalt kultureller Ausdrucksformen in und aus Deutschland sichtbar machen und zu sichern, es geht „um Wertschätzung, Wissen und Können“. Die Kommission hebt ausdrücklich die „darstellenden Künste in aller Welt“ hervor, die durch das Abkommen dokumentiert und geschützt werden sollen. Man darf gespannt sein, welche Ideen sich neben dem deutschen Chorgesang noch auf der deutschen Liste finden werden. Die Tradition der deutschen Stadttheater könnte eine Chance haben.

Mit der Aufnahme eines Kulturgutes in die IKE-Liste verpflichten sich die Träger oder Eigentümer, dieses Kulturgut zu sichern und zu pflegen. Das gilt auch für Länder und Gemeinden, wenn sie Träger sind. Kurzsichtigen politischen Tagesentscheidungen ist damit vorgebeugt. Die Aufnahme in diese Liste bedeutet ein wachsendes Renommee, das vielfach zu nutzen ist und eine gewisse öffentliche Kontrolle herstellt. Zudem können Sponsoren und Stiftungen motiviert werden, denn ihr kulturpolitisches Engagement ist auf diese Weise öffentlich anerkannt und gesichert. Eine direkte, gar finanzielle Förderung ist mit der Aufnahme in die IKE-Liste bis jetzt nicht verbunden.

Die Idee der „immateriellen“ Kulturgüter

Die Deutsche UNESCO-Kommission betont die hohe gesamtgesellschaftliche Bedeutung des IKE. „Die Ausdrucksformen des immateriellen Kulturerbes werden als lebendige Alltagskultur von Generation zu Generation weitergegeben. Mehr noch als historische Bauwerke oder Landschaften sind diese oft nur mündlich tradierten Praktiken identitätsstiftend und für Gemeinschaften von hoher Bedeutung“. Immaterielles Kulturerbe stärkt den sozialen Zusammenhalt in der Gemeinschaft. Im Zeitalter der Globalisierung und Ökonomisierung gewinnen regionale Traditionen und lokales Wissen damit wieder an Bedeutung.

In Wissenschaft und Politik tauchen immer häufiger Ansätze auf, die die schrankenlose „Durchökonomisierung“ aller Gesellschaftsbereiche in Frage stellen und sie korrigieren möchten. Ob das erste Sorgen der EU um die Tradition der europäischen Werte sind, neue Definitionen des Wohlstandsbegriffs in Managerkreisen oder eine Orientierung am Buen Vivir aus Südamerika: Die Einsichten mehren sich, dass die einäugige Orientierung am wirtschaftlichen Erfolg immer häufiger die Frage nach dem „wozu“ aufwirft.

Die DUK setzt sich bewusst ab von einem Denkansatz, der den gesamten Kulturbereich marktorientiert organisieren will. Sie sieht und betont andere Werte als solche Konzepte, die in zahlreichen westlichen Ländern den Kulturbetrieb einer radikalen „Durchökonomisierung“ unterwerfen wollen und damit die Freiheit der Kunst, Kultur und zunehmend auch der Wissenschaft aufs Spiel setzen. Das UNESCO-Abkommen zum Schutz immateriellen Kulturerbes stellt eine der ganz wenigen internationalen Stimmen gegen die einseitige Marktorientierung des Kultursektors dar und verdient jede Unterstützung.

Horst Dichanz, 2.6.2014

 


Seit mehr als 200 Jahren spielen die
Menschen Skat - immer seltener. Der
ökonomische Nutzen eines Skatabends
ist zweifelhaft. Also in Vergessenheit
geraten lassen?


Umzüge wie hier die Heilig-Blut-
Prozession in Brügge sind weitaus
mehr als Tourismus-Attraktionen. Sie
sind Ausdruck unserer Kultur und
damit schützenswert, sagt die UNESCO.


Musik bildet den Charakter und
sozialisiert den jungen Menschen.
Beim Chorgesang ist zwar kein Geld
zu verdienen, aber er gehört zu
unserer Identität
.


Den Tango argentino zu beschreiben,
ist ein komplexes Unterfangen. Er
steht für das kulturelle Verständnis
eines ganzen Volkes und muss
deshalb lebendig bleiben.


Immaterielle Kulturgüter wie hier die
Tibet-Oper in China müssen keinen
"Gewinn" erzielen - sie sind Gewinn an
sich. Die UNESCO setzt sich dafür ein,
dass solche Werte erhalten bleiben.