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Auf höchstem Niveau


 

Nachgefragt




Marcus Bosch, Künstlerischer Leiter, und Matthias Jochner, Kulturamtsleiter und Geschäftsführer der Opernfestspiele Heidenheim, erlauben einen Blick hinter die Kulissen, der optimistischer kaum sein könnte (7'33).

 

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Wenn der Bajazzo auspackt

Die Heidenheimer Opernfestspiele feiern ihr Bestehen seit einem halben Jahrhundert. Das hat nicht immer reibungslos funktioniert. Aber seit Marcus Bosch, Sohn der Stadt, die Fäden in die Hand genommen hat, läuft’s. Steigende Zuschauerzahlen, steigende Etats und Begeisterung für Oper in der Stadt. Das muss man woanders erst mal suchen.

Irgendwas um 50.000 EinwohnerInnen hat Heidenheim, eine Kleinstadt auf der schwäbischen Alb. Mindestens drei weltweit namhafte Wirtschaftsunternehmen sind hier ansässig, umgeben von grüner Idylle. Vor allem aber herrscht hier ein ganz besonderes Klima. Während andere Städte ihren BürgerInnen mühselig erklären, warum Kürzungen im Kulturbereich unabdingbar seien, geht Heidenheim den umgekehrten Weg. Frei nach dem Motto „Wir können alles – außer hochdeutsch“. Zum Beispiel Kultur vom Feinsten.

Einer der wichtigsten Bestandteile des umfangreichen, ganzjährigen Kulturprogramms der Stadt sind die Heidenheimer Opernfestspiele, die in diesem Jahr ihr 50-jähriges Jubiläum feiern. Und in der Stadt feiert man dieses Jubiläum mit besonderer Freude, hat der Stadtrat doch soeben eine Erhöhung des Etats für die Opernfestspiele beschlossen. Nun zählt Heidenheim sicher nicht zu den sozialen Notstandsgebieten der Republik. Aber hier begreift man die Hinwendung zur kulturellen Entwicklung nicht als Luxus einer bornierten Elite, sondern als absolute Notwendigkeit für das Gemeinwohl der Stadt.

Das Umfeld stimmt

Ein weltoffener Oberbürgermeister, ein umtriebiger Kulturamtsleiter und eine für den Beruf lebende Tourismuschefin stellen nicht die Frage, ob wir Kultur brauchen, sondern wie ein kulturelles Umfeld geschaffen werden kann, das der Bürgerschaft nutzt. Und so wurde in den vergangenen Jahren oberhalb des Stadtzentrums ein „Kulturkern“ geschaffen. Im Staufer-Schloss Hellenstein gibt es in den Resten des Rittersaals eine Open-Air-Spielstätte. Einen Steinwurf davon entfernt ein Festspielhaus und gleich gegenüber das Naturtheater, Baden-Württembergs zweitgrößte Freilichtbühne mit rund 50.000 BesucherInnen in der Saison. Dazwischen ein Hotel, das auch Festspielbesuchern angenehme Übernachtungsmöglichkeiten bietet.

Die Anlage ist ein Kompromiss für Wirtschaft und Kultur. So bietet der historische Kern ein angenehmes Umfeld, das Festspielhaus wird zwischenzeitlich zum Kongresszentrum und das Hotel bietet Seminarteilnehmern Unterkunft. Es muss eben nicht immer der eine Tempel sein, der die Kultur beherbergt.

Solche Rahmenbedingungen sind ein Idealfall. Und so fiel es dem gebürtigen Heidenheimer Marcus Bosch, Generalmusikdirektor der Stadt Nürnberg, nicht weiter schwer, die Nachfolge des Künstlerischen Leiters der Opernfestspiele anzutreten. Das war vor rund drei Jahren. Inzwischen ist Bosch neben seinen übrigen Aufgaben damit beschäftigt, den Opernfestspielen Heidenheim eine ganz eigene Prägung zu geben. Wenn ein Festival ein halbes Jahrhundert alt wird, ist das sicher eine besondere Herausforderung. Um es vorwegzunehmen: Bosch und sein Team haben sie mit Bravour gemeistert.

Wunderbares Ambiente

Dabei gehört das Glück dem Tüchtigen. Dank intelligenter Organisation ist es in Heidenheim innerhalb von drei Stunden möglich, die als Open-Air-Events angelegten Aufführungen vom Rittersaal bei schlechtem Wetter in die Festspielhalle zu verlegen. Und das war auch bei den ersten vier Vorstellungen notwendig. Jetzt ist das anders. Die Besucher, die sich im Hotel einquartiert haben, schlendern bei 30 Grad im Schatten die wenigen Meter hinüber zum Schloss, vorbei an Bussen, aus denen auswärtige Besucher steigen. Gemeinsam geht es über die Schlossbrücke über holperige Pflastersteine zum Rittersaal. Davon stehen die Grundmauern, so dass man mit Fug und Recht von open air sprechen darf. Auch an diesem Abend ist die Tribüne, die bis zum Graben reicht, fast vollständig besetzt. Der Altersdurchschnitt der Gäste ist auffallend niedriger, als man ihn aus den Opernhäusern gewöhnt ist. Die Lebendigkeit entsprechend höher. Trotzdem sind es die Alten, die glauben, unter freiem Himmel könnte man auch mal in die Aufführung quatschen. Bei Festspielen darf es ja auch mal legerer zugehen. Geschuldet einer verheerenden Verkehrssituation an diesem Freitag, sind die Stuttgarter Philharmoniker verspätet eingetroffen. Eine Viertelstunde später kann es losgehen. Beim Publikum mehr Volksfeststimmung als hehres Opernpathos. Das ist so gewollt. Sagt der künstlerische Leiter der Opernfestspiele, Marcus Bosch. Oper ist keine elitäre Veranstaltung, sondern eine Erfahrung, die jeden in einer Stadt und ihrem Umfeld betrifft. Fügt Bosch hinzu.

Mauersegler huschen aufgeregt über die hintere Bühnenwand, also die Außenwand des ehemaligen Rittersaals. Schwalben schwirren aufgeregt am Firmament. Ein einzelner Wolkenhaufen verliert sich im Abendrot. Links im Hintergrund das Panorama von Heidenheim. Erst, wenn Bosch den Stab erhebt, mit dem er geradezu artistisch umgeht, ist das alles vergessen. Das Vorspiel zum Bajazzo beginnt. Auch auf der Bühne geht es gleich lebendig zu. Tonio, Superstar, arrangiert die Gäste vor einer eindrucksvollen Kulisse. Die Fensterluken des Rittersaals sind mit einer Art Packfolie verkleidet. Davor ein Abbild des Bajazzo, überdimensioniert als alles beherrschende Stellwand. Davor Absperrbänder, hinter denen sich der Chor versammelt, häufig in skurrilen Positionen verhaftet. Die Spannung steigt, das Spiel kann beginnen. Regisseurin Petra Luisa Meyer bringt eine mit Leben erfüllte Aufführung auf die Bühne, bezieht dabei auch den Zuschauerraum mit ein. Die Akteure kleidet Tassilo Tesche, der auch die Bühne konzipiert hat, in aktuelle, charakterisierende Kostüme ein. Die Besonderheit: Immer wieder gelingt es Meyer und Tesche, eine Italianità auf die Bühne zu bringen, die nicht nur den Werken entspricht, sondern auch das Publikum verzaubert. Hartmut Litzinger unterstützt mit seinem Licht die Piazza-Stimmung, ohne mit besonderen Effekten abzulenken. Das ist wenig, und genau so ist es richtig. Anders die Regisseurin, die es als ihre Pflicht sieht, mit detailverliebter Ideenfreude, einem faszinierenden Konzept und auch ein bisschen Skandal aufzuwarten. Was eigentlich gar nicht notwendig ist. Meyer beherrscht die Personenführung von der flatterhaften Nedda über den großartigen und spielfreudigen Einsatz des Chors bis zur Isolation der Santuzza perfekt. Da braucht es weder Schweinsmasken noch einen Jesus. Und wenn es das trotzdem gibt, schaut man am besten einfach darüber hinweg. Lob gebührt der Regisseurin vielmehr dafür, dass es ihr gelingt, den Bajazzo mit der Cavalleria rusticana in einem Guss zu präsentieren, wie man das wohl bisher nicht gesehen hat. Manch ein Zuschauer wundert sich anschließend, dass es sich hier um zwei Stücke gehandelt haben soll, von zwei verschiedenen Komponisten noch obendrein.

Müssen beim Bajazzo noch die hereingetragenen Solisten von ihrer Packfolie befreit werden, verliert bei der Cavalleria rusticana die gesamte Bühne ihre Verpackung. Heraus kommt eine Bühne, wie man sie eigentlich nur in Italien erfinden kann. Wunderbar.

Weniger eindrucksvoll sind die Sängerleistungen. Während die Sänger durchgängig begeistern, klappt es bei den Damen nicht so, wie man sich das unter solchen Bedingungen vorstellen könnte. Sowohl George Oniani, Nikola Mijailovic als auch Christoph Wittmann und Stefan Zenkl begeistern in Gesang und Schauspiel. Vor allem in der stimmlichen Leistung machen sie die schwierige Open-Air-Akustik nahezu vergessen. Frauke Willimzcik begeistert mit Bühnenpräsenz und schöner Stimme. Ashley Thouret bemüht sich, schauspielerisch zu wirken, was ihr hin und wieder auch durchaus gelingt – auch wenn sie in den „erotischen Szenen“ eher prüde daher kommt – der sängerische Teil der Nedda lässt an Deutlichkeit, Ausdruck und Volumen vermissen. Und wer hier in Zweifel gerät, wird in der Arie der Lola bestätigt. Ähnlich enttäuschend agiert Helena Zubanovich. Möchte man ihr noch zu Gute halten, dass die Regisseurin ihr die Rolle als ausgestoßene Santuzza mit Dialogfreiheit und fehlendem Augenkontakt aufgetragen hat, gelingt es ihr mit herber und forcierter Stimme nicht, eine solche Idee Meyers auf die Bühne zu bringen.

So entsteht hier eine der seltenen Situationen, in denen die Stuttgarter Philharmoniker im Graben statt der Sängerinnen das Publikum überzeugen. Fühlt man sich als Gast nicht so recht ernst genommen, wenn die Musiker in der letzten Reihe ihre Pausen für ein kleines Schwätzchen nutzen, entschädigt das ansonsten abgelieferte Resultat voll und ganz. Großartige Transparenz, filigranes Spiel bis zu kammerorchesterfarbigen Klängen und Rücksicht auf das Geschehen auf der Bühne machen aus dem Open-Air-Ereignis einen unvergesslichen Abend. Marcus Bosch fühlt sich hier sichtlich wohl, arbeitet hochkonzentriert, nimmt Solisten, Chor und Orchester mit manch lässig erscheinender Geste an die Hand und dirigiert italienische Musik, wie man sie hören möchte, während er sich in Nürnberg gerade erfolgreich an Wagner abarbeitet.

Tarmo Vaask hat die Stuttgarter Choristen einstudiert, die Eleven des Neuen Kammerchors vom Schiller-Gymnasium haben sich Thomas Kammel anvertraut. Gewachsen ist daraus bei erstaunlicher Spielfreude eine chorische Leistung, bei der Leoncavallo und Mascagni sich entspannt zurückgelehnt hätten.

Nach 50 Jahren ist der Anfang gemacht

Man kann bei einem Jubiläum viel falsch machen. Das falsche Thema ist schnell gefunden, die Umsetzung unter dem gehobenen Druck noch schneller vertan, und letztlich wird das Ganze im Rückblick durch zahlreiche Reden gehübscht. In Heidenheim ist nichts dergleichen passiert. Stattdessen bekommen die Gäste eine Aufführung präsentiert, die schlüssig, musikalisch überzeugend und mit dem Hauch des Besonderen behaftet ist. Schaut man, wie das üblich ist, auf die kommenden 50 Jahre der Heidenheimer Opernfestspiele, wird, und so urteilt das Publikums dieses Abends, eines deutlich: Die Plätze werden knapp werden. Bereits nach der Premiere von Der Bajazzo/Cavalleria rusticana wurden über 200 Karten für das kommende Jahr verkauft. Und irgendwann werden die Gäste auch erfahren, was dann gegeben wird.

Michael S. Zerban, 19.7.2014

 


Vor drei Jahren hat Marcus Bosch die
künstlerische Leitung der Festspiele
übernommen. Seitdem sind sie auf
Erfolgskurs.


Schloss Hellenstein über den Dächern
der Stadt Heidenheim bietet mit dem
alten Rittersaal eine ansprechende
Akustik und ein romantisches Umfeld,
um große Oper zu inszenieren.


Das Congress Centrum wird während
der Opernfestspiele zur Festspielhalle.
Die Architektur spiegelt die Prosperität
der Stadt, die Akustik begeistert auch
Opernfans
.


Regisseurin Petra Luisa Meyer zeigt in
diesem Jahr ein opulentes Werk von
zwei Opern auf der Bühne des
Rittersaals. Die Arbeitsbedingungen
sind abenteuerlich, das Ergebnis ist
mehr als professionell.


Stimmige Personenführung, eine
durchdachte Bühne, großartige Musik
und überbordende Ideen beweisen die
Qualität eines Festivals, das jeden
anspricht.