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Krise in Schleswig


 
 

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Silberstreif am Horizont

Wenn Politiker laut über Kürzungen im Kulturbereich nachdenken, ist schnell von Fusionen die Rede. Das Schleswig-Holsteinische Landestheater ist bereits 1974 aus den Theatern Flensburg, Schleswig und Rendsburg entstanden – und hat sich nie erholt. Jetzt steckt es in der nächsten Krise. Ob sie tödlich endet, entscheidet sich in den kommenden Wochen. Eine Farce aus Norddeutschland.

Er gilt als erfahrener Krisenmanager. Deshalb haben sie ihn geholt. Peter Grisebach hat sich die Leiter hochgedient. Regieassistenz an der Hamburger Staatsoper, damals noch unter Rolf Liebermann und August Everding. Am Mannheimer Nationaltheater mit Lucia di Lammermoor die erste eigene Regie-Arbeit, später Oberspielleiter in Bremerhaven und Kiel. 1994 dann die erste Intendanz in Bremerhaven. Damals ein Job, den keiner ernsthaft machen wollte: Nach dem Krieg war das Haus rasch wieder aufgebaut worden, danach wurde nicht mehr investiert. Als Grisebach das Haus übernimmt, ist es wegen seines baulichen Verfalls in Abwicklung begriffen. Der Investitionsstau wird auf 50 Millionen Euro geschätzt. 2008 wird die Sanierung abgeschlossen. Investitionskosten 33,5 Millionen Euro.

So einen brauchen die Schleswiger. 2010 holen sie Peter Grisebach als Intendanten ans Landestheater. Eigentlich ein cooler Job. Das Schleswig-Holsteinische Landestheater wurde 1974 als Fusion dreier Theater in Finanznöten gegründet. Es verfügt über drei Produktionsstätten – Flensburg, Rendsburg und Schleswig – neun Hauptspielorte und besucht, rechnet man Schulen, Gemeindesäle und andere Räumlichkeiten mit ein, in der Spielzeit über 100 Aufführungsorte. Aber: Das Theater ist nahezu insolvent, Fördergelder sind eingefroren. In der Bevölkerung gilt „Sperrt die Kinder weg und holt die Wäsche rein, Komödianten sind in der Stadt.“ Grisebach ist Kummer gewöhnt. „Das Landestheater darf nicht Endstation, sondern muss ein Sprungbrett sein“, ruft er die Devise aus und baut ein sehr junges Musiktheater-Ensemble auf. Dazu kommt eine Tanzsparte unter Ballettdirektorin Katharina Torwesten. Der Intendant schafft wieder einmal das Unmögliche. Im frischen Wind steigen die Abonnentenzahlen.

Brüchiges Sprungbrett

Und jetzt? In der Ratsversammlung der Stadt Schleswig vom 16. Dezember stimmen 14 von 27 Ratsmitgliedern wegen einer „Kreditlücke“ von anderthalb Millionen Euro gegen den Theaterneubau. Das Entsetzen in Stadt und Land ist fast so groß wie am 16. Juni vor zwei Jahren, als das Theater Schleswig wegen Einsturzgefahr gesperrt wurde. Damals wurde in die Hände gespuckt. Eine Ersatzspielstätte wurde gefunden, die Planungen für einen Theaterneubau am Rande der Stadt begannen. Die Ersatzspielstätte ist eine der typischen Mehrzweckhallen aus den 1970-er Jahren. Dort können immerhin noch kleinere und mittlere Stücke vor 300 Besuchern gezeigt werden. Rechnet sich eigentlich nicht, aber Grisebach muss die Abwanderung des Publikums abfangen. Schlimmer ist, dass eine Produktionsstätte entfällt. Das geht nicht lange gut. Muss es auch nicht, weil die Pläne für den Neubau rasch voranschreiten. Die Ratsmehrheit steht – bis Samstagnachmittag. Dann stellt sich heraus, dass die gemeinnützigen Finanziers keinen Baukostenzuschuss „spenden“ dürfen, wollen sie nicht ihre Gemeinnützigkeit verlieren. Eine Umwidmung wäre erforderlich, die Lösung ist schnell gefunden. Die Ratsversammlung am Montag beginnt mit der Gewissheit, den Theaterneubau durchzuwinken, um schnellstmöglich die notwendigen Bauaufträge vergeben zu können. Dann das. Peter Grisebach ist leichenblass, seine Stimme bebt. „Wenn nicht noch ein Wunder passiert, ist dies das Aus für das Landestheater. Hier ist gerade ein Todesurteil gefällt worden“, fasst er die Bedeutung des Beschlusses zusammen.

Schleswig-Holstein gegen den Kleinmut

Aber es kann nicht sein, dass 14 Menschen dafür sorgen, Schleswig-Holstein mit ihrem Kleinmut praktisch kulturfrei zu machen. Eine Welle der Solidarität rollt an. Jörn Klimant, parteiloser Landrat von Dithmarschen, kündigt öffentlich an, sich „vehement für einen Fortbestand des Schleswig-Holsteinischen Landestheaters“ einzusetzen. „Ein Zusammenbruch des Landestheaters hätte eine Verarmung der Kulturlandschaft Schleswig-Holsteins insgesamt zur Folge“, befürchtet er. Das Innenministerium macht Zugeständnisse. Der zusätzliche Kredit könne bewilligt werden, die Stadt werde nicht unter die gefürchtete Kommunalaufsicht gestellt, Kredite für andere Projekte würden deshalb nicht gestoppt. Weiter kann sich ein Landesministerium nicht aus dem Fenster lehnen. Die Kultusministerin des Landes, Anke Spoorendonk, eilt nach Schleswig. Sie sieht den Auftrag gefährdet, die Fläche mit Kultur zu versorgen. Das will und kann sie nicht hinnehmen.

Die Zeit wird knapp. Generalintendant Grisebach erklärt, warum der Neubau für das Landestheater existenziell ist. „Mit der Schließung des alten Theaters entfiel auch eine Produktionsstätte. Der Bustransfer des Publikums sorgte für eine Reduzierung der Abonnements um etwa 30 Prozent, weil die Menschen diesen Mehraufwand für einen Theaterbesuch nicht in Kauf nehmen können.“ Damit entgehen dem Landestheater pro Spielzeit etwa 200.000 Euro. „Bis 2017 können wir das durchhalten; dann ist das Eigenkapital aufgebraucht“, verdeutlicht Grisebach die prekäre Situation. Will man das Theater am Leben erhalten, müsse im März 2015 der Rohbau beginnen und im Oktober desselben Jahres das Dach abgeschlossen sein. Schon jetzt ein enger Zeitplan. Immerhin, nun werden „Prüfaufträge“ vergeben: Experten sollen nach Lösungen suchen. Im Januar werden sie sich alle am Runden Tisch in Kiel treffen.

Die Fläche ist in Gefahr

Wird zu Beginn des neuen Jahres keine einvernehmliche Lösung gefunden, sieht es düster aus in Neumünster, Itzehoe, Husum und Niebüll. Dann könnte es ab 2017 sein, dass es dort keine Bühnenaufführungen mehr gibt. Die nordfriesische Küste würde de facto kulturfrei. Die nächsten Theaterhäuser sind dann Kiel, Lübeck und Hamburg. Aber es gibt niemanden, der ernsthaft daran glaubt, dass eine nennenswerte Anzahl von Besucherinnen oder Besuchern diese Wege auf Dauer auf sich nehmen werden. Aber auch in der Übergangszeit würde es trist in Schleswig-Holstein. Wer will schon auf einem sinkenden Schiff arbeiten – vor allem: Wer bewirbt sich denn auf einem untergehenden Tanker? Es könnte also durchaus sein, dass hier eine Eskalation eintritt, die das Ende sehr viel schneller heraufbeschwört. Da passt die Premiere im Theater Rendsburg am 21. Dezember ganz gut, um Zeichen zu setzen. Der Untergang der Titanic von Hans Magnus Enzensberger steht auf dem Programm. Eine Komödie.

Peter Grisebach ist derzeit nicht so sehr nach Lachen zu Mute. Aber entmutigen lässt er sich nicht. Er wird das Schiff nicht vorzeitig verlassen. Ein Leichtes wäre es für den Regisseur, sich schon mal nach was anderem umzusehen. Aber: Nichts da. „Ich habe keinen Plan B“, erklärt er, als sei es das Selbstverständlichste auf der Welt. „Hier wird jetzt jegliche Kraft darauf verwendet, für die Bürgerinnen und Bürger in Schleswig-Holstein die Kultur zu erhalten, auf die sie ein Anrecht haben.“ Die Menschen in Schleswig-Holstein sehen nicht die Unwetter an der Küste, sondern den Silberstreif am Horizont. Und Peter Grisebach sieht ihn auch, weil er sich für 380 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verantwortlich fühlt.

Michael S. Zerban, 19.12.2013

 


Generalintendant Peter Grisebach
kämpft um die Zukunft des Schleswig-
Holsteinischen Landestheaters.


Das Theater in Schleswig ist seit
zweieinhalb Jahren gesperrt, weil es
einsturzgefährdet ist.


Die Ersatzspielstätte bietet etwa 300
Besuchern Platz. Neue Produktionen
können hier nicht entstehen.


Die Tanzsparte unter Katharina
Torwesten wurde von Peter Grisebach
eingerichtet und erfreut sich größter
Beliebtheit.


Als die Produktion von Der Untergang
der Titanic geplant wurde, ahnte noch
niemand, welch aktuellen Bezug die
Premiere am 21. Dezember haben
würde.

Fotos:
Landestheater Schleswig-Holstein