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Die Herstellung großer Gefühle


 
 

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Theaterwerkstatt der Klassik

Wie gutes Theater beschaffen sein müsse, darüber wussten schon Goethe und Schiller vortrefflich zu streiten. Und bis heute hat die mal mehr, mal weniger fruchtbare Diskussion nicht an Aktualität verloren. Opernnetz hat in Rüdiger Safranskis Buch Goethe & Schiller – Geschichte einer Freundschaft geschmökert und die schönsten Zitate zur dramatischen Beschaffenheit herausgesucht.

Beim Besuch einer Theatervorstellung oder einer Oper einen fachkundigen Begleiter, den Partner, eine Freundin an seiner Seite zu haben, kann ein großer Gewinn sein. Eine Information zum Komponisten, eine Bemerkung zur Sängerin, zur Inszenierung, Erfahrungen mit dem Regisseur oder Dirigenten erleichtern den Durchblick, erhöhen das Vergnügen, den Genuss. Kein Zweifel, Goethe und Schiller, die Dichter- und Theaterfürsten der deutschen Klassik, sind als solche Begleiter bestens geeignet. Goethe ist Intendant und Theaterschriftsteller für sein Weimarer Theater, das auch Schillers Stücke aufführt. Schiller etabliert sich dort als erfolgreicher und anerkannter Theaterautor und Schriftsteller, seine Auftritte als Schauspieler allerdings bleiben belächelte Versuche, obwohl er von sich sehr überzeugt ist. Goethe, seit 1776 wohl bestallter und gut bezahlter Geheimer Legationsrat und Mitglied des Geheimen Consiliums des Herzogs von Sachsen-Weimar-Eisenach, und Schiller, nach langem Warten 1784 vom Herzog endlich zum Weimarischen Rat mit bescheidenem Auskommen ernannt, gehören zum gehobenen Bürgertum. Sie sind Teil des höfisch-kulturellen Lebens in Weimar und Jena. Die Fürstenhäuser schmücken sich gern mit solch kreativen Geistern, sonnen sich in ihrer Bekanntheit, ihrem Ruhm. Sie gehen sogar halbwegs tolerant mit diesen Freigeistern um, die in den Mächtigen und ihrem Kunstverstand häufig genug willkommene Zielscheiben ihres literarischen Spottes finden.

Rüdiger Safranski hat einen genaueren Blick auf die Theaterarbeit der Dichter- und Theaterfürsten Goethe und Schiller geworfen und ihnen über die Schulter geschaut. Beide Theaterklassiker kümmern sich intensiv um das Theater vor allem während ihrer Weimarer Zeit um 1790, sie führen öffentlich und privat leidenschaftliche Diskussionen um die Aufgaben des Theaters, für das sie in unterschiedlicher Funktion tätig sind. Beide haben durchaus verschiedene Vorstellungen vom Theater, von seinen gesellschaftlichen Aufgaben und ihrer eigenen Rolle darin und kommen doch zu gemeinsamen Ansichten, die sie zu den Grundzügen ihrer Weimarer Dramaturgie entwickeln. Beiden geht es um die Entwicklung einer, der „richtigen“ Dramaturgie und damit der Aufgaben des Theaters.

Prometheus einer zweiten Schöpfung

Hier finden sie auch ihre eigene Rolle: Goethe als autoritätsbewusster und selbstbewusster Autor und Theaterdirektor, der sich von der Publikumsmeinung weitgehend unabhängig fühlt, Schiller als idealistischer Poet mit Sendungsauftrag, der als Schriftsteller und Schauspieler wirken will. Goethe sieht sich für die Wissenschaften und Künste geboren. Er verlässt sich auf seine rege Einbildungskraft, … auf seine Eindrücke sinnlicher, lebensvoller, lieblicher, bunter, hundertfältiger Art, die er nur künstlerisch zu runden und auszubilden braucht, um daraus einen spielbaren Text zu machen. Schiller träumt in Weimar von einem neuen Anfang als Schriftsteller und Theaterautor. Er möchte wirken, verändern, er operiert stets an der Front der möglichen Wirkungen. Seine Wirkungsbesessenheit kennt kein Maß. Für Goethe ist der geniale Dichter der „Prometheus“ einer zweiten Schöpfung: Hier sitz ich forme Menschen/ Nach meinem Bilde … Safranski sieht in Schillers Dramen dessen Willen zur Macht über das Publikum. Der Dichter ist legitimiert, des Zuschauers Seele am Zügel zu führen, dem er nach meinem Gefallen einem Ball gleich dem Himmel oder der Hölle zuwerfen kann.

Während Goethe gelassen auf die öffentliche Wirkung seiner Werke warten kann und sie dem Kammerton des überschaubaren Freundeskreises ohne Eifer überlässt, ist das Drama für Schiller eine streng kalkulierte Affekterregungskunst, eine Maschine zur Herstellung großer Gefühle. Bei seinen eigenen Bühnenauftritten gibt Goethe sich zurückhaltend, Schiller dagegen zeigt die vollkommenste Ungebärdigkeit. Goethe bewegt sich stets vom Einzelnen, vom Besonderen, das er mit wissenschaftlichen Methoden erkundet, zum Allgemeinen. Schiller sucht umgekehrt nach Wirklichkeiten, die seine Prinzipien bestätigen, er bewegt sich vom Allgemeinen, zum Alltäglichen zum Besonderen. Beide sehen sich als zwei Hälften, die sich perfekt zu einem Kreis ergänzen. Schiller untersucht und diskutiert bei der erneuten Bearbeitung des schon lange ausgewählten Wallenstein-Stoffes dramaturgische Grundfragen mit Goethe. Den Stoff empfindet er als widerspenstig und in höchsten Grade ungeschmeidig. Nur eine ausgesprochene hohe künstlerische Bearbeitung könne daraus einen Bühnenstoff machen. Für ihn ist das Theater der Ort artistischer Machtausübung, wo die Herzen so vieler Hunderte, wie auf den allmächtigen Schlag einer magischen Rute nach der Phantasie des Dichters beben.

Enge Zusammenarbeit und heißer Disput

Goethe und Schiller arbeiten sowohl beim Wallenstein als auch bei Goethes Egmont eng zusammen, um die Qualität der Dramen zu steigern. Und tatsächlich gelingt Schiller mit seiner Wallenstein-Trilogie ein „Muster der deutschen Dramenkunst“! Er setzt zahlreiche Kunstgriffe bewusst ein, arbeitet mit Verlangsamungen und Beschleunigungen, um die verdichteten Augenblicke der noch aufgehaltenen Katastrophe zu zeigen.

Goethe und Schiller würden sich unter einer Überschrift „Theaterwerkstatt“ durchaus wiederfinden, sie sprechen selbst vom dramatischen Handwerk. Schiller meint, nachdem er lange Zeit seinen Wallenstein hatte links liegen lassen, er müsse das dramatische Handwerk neu lernen, damit er epische und dramatische Techniken wieder richtig einsetzt. Er bearbeitet sogar Goethes Texte, die er strafft und deren Handlungsablauf er beschleunigt, was Goethe zwar als grausam empfindet, aber letztlich doch akzeptiert. In ihren Balladen, darin sind sie sich einig, möchten sie den epischen Erzählton mit dramatischen Effekten verbinden und dialogische Kontraste und eine dramatische Schlusswendung einsetzen. Schiller sucht immer den überraschenden Effekt, Goethe ist zufrieden, wenn sich einige ärgerten über seine Balladen. Die Zeilen aus Goethes Schatzgräber beschreiben die intensive und fruchtbare Arbeit der beiden Dichter in ihrer Weimarer Zeit: Tages Arbeit, abends Gäste! Saure Wochen, frohe Feste! Sei dein künftig Zauberwort.

Genies im Theater

Goethes Götz wird ein nationaler, sein Werther ein europäischer Erfolg. Weimar wird zum Zentrum des Genielebens, und der Geniebegriff, den Goethe so überzeugend verkörperte, verlor bei jungen Leuten wie Schiller und seinen Freunden an der Karlsschule nichts von seiner Strahlkraft. Den Geniebegriff nehmen sie auch mit ins Theater. Beide lehnen das Unnatürliche ebenso ab wie das Allzu Natürliche und sehen in der Kunst, der künstlerisch-ästhetischen Bearbeitung die notwendige Überhöhung der Wirklichkeit. Goethe und Schiller reden über Kunst und Kunsttheorie, für Schiller ist der Dichter … der wahre Mensch.

Während Goethe sich wieder an den Faust-Stoff wagt, kämpft Schiller weiter mit der Dramatisierung des Wallenstein. Desto ungeheuerer erscheint mir die Masse, die zu beherrschen ist … Dieser Stoff erweist sich für die Dramatisierung als im höchsten Grade ungeschmeidig. Schließlich schafft er es mit einem Kunstgriff, nicht dramatisch konventionell die Handlung auf einen Gipfel zulaufen und dann abstürzen zu lassen, sondern sie auf einer schrägen Ebene laufen zu lassen, wo sie langsam und unaufhörlich zu ihrem dramatischen Ende eilt. Im Vergleich zur schicksalsbestimmten griechischen Tragödie spielen im modernen Theater das Individualistische und der Zusammenprall von Individuen die entscheidende Rolle. Schiller sieht im Gegenüber von ungeheurem Weltganzen und dem Menschen, dem Täter das modern gefasste tragische Motiv. So gelingt Schiller mit der Wallenstein-Trilogie „ein Muster der deutschen Dramenkunst“.

Zum Publikum und zur Kritik haben beide ein gespaltenes Verhältnis. Goethe schimpft auf die Flegel von Kritikern, berühmt und oft zitiert: Schlagt ihn tot, den Hund! Es ist ein Rezensent. Schiller, nicht weniger drastisch, zielt auf das Publikum: Es gibt nichts Roheres als den Geschmack des jetzigen deutschen Publikums, dessen Mittelmäßigkeit er scharf kritisiert. Da gibt sich Goethe moderater, hat aber auch klare Vorstellungen vom Publikum, das er sich viel offener und emotionaler wünscht: Ei! So habt doch endlich einmal Courage, euch den Eindrücken hinzugeben, euch ergötzen zu lassen, euch rühren zu lassen, euch erheben zu lassen …

Kunst als Überlebensformel

Beide wählen für ihre großen Werke die Reimform, um die unmittelbare Wirkung des ungeheueren Stoffes zu dämpfen. Für Schiller lässt sich das Entsetzen über die Welt nur im ästhetischen Spiel aushalten. Das sei der Grund, weshalb die Kunst um so kunstvoller sein muß, je intensiver das Absurde und Gräßliche des Lebens empfunden wird. Goethe stimmt dem zu: Stil macht das eigentlich Unerträgliche lebbar. Und beide sind sich mit Nietzsche einig: Wir haben die Kunst, damit wir nicht am Leben zugrunde gehen …

Das Theater wie die Oper gehören wohl dazu.

Horst Dichanz, 16.9.2014

 


Johann Wolfgang von Goethe fühlt
sich als autoritärer und selbstbewusster
Autor und Theaterdirektor vom
Publikumserfolg weitgehend
unabhängig.


Johann Christoph Friedrich von Schiller
ist der idealistische Poet mit
Sendungsauftrag, für den das Theater
Ort artistischer Machtausübung ist.


Das Deutsche Nationaltheater Weimar
war Wirkungsort der Dichterfürsten, wo
die beiden des Zuschauers Seele am
Zügel
führen .


Der Saal des Goethe-Theaters Bad
Lauchstädt ist nach Goethes
Farbenlehre komponiert, der Bau 1802
nach seinen Entwürfen entstanden.


Friedrich Wilhelm Nietzsche sieht in der
Kunst das adäquate Mittel, nicht am
Leben zu Grunde zu gehen.