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Junge Oper in Europa


 
 

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Europäisches Gesamtkunstwerk

Netzwerken ist so aktuell und modern wie nie. Am liebsten auf Englisch und international. Zu keinem Zeitpunkt der Theatergeschichte sind die Institutionen so eng zusammengerückt wie heute. Da verwundert es nicht, dass auch der Nachwuchs sich zusammenschließt. Seit fünf Jahren gibt es das Europäische Netzwerk der Opern-Akademien, das sich jetzt der breiteren Öffentlichkeit vorstellt.

Hans-Jürgen Drescher hat ein klassisches geisteswissenschaftliches Studium absolviert. Anschließend sammelte er Berufserfahrung als Dramaturg im Musik-, Sprechtheater und Ballett. Nach verschiedenen Positionen als Chefdramaturg wechselte er in das Verlagswesen und wurde für zwei Jahrzehnte Leiter des Suhrkamp-Theater- und Medienverlags. Anschließend baute er für die Hochschule in Baden-Württemberg die Theaterakademie in Ludwigsburg auf. Seit September vergangenen Jahres ist er Präsident der bayerischen Theaterakademie August Everding im Prinzregententheater München. „Das Akademie-Modell ist etwas Besonderes“, erzählt Drescher. Das gibt es zwar nicht nur in Bayern, „aber ich behaupte mal, hier ist es von August Everding erfunden worden.“ Ausgangspunkt war, eine Ausbildung zu schaffen, die unter theaternahen Bedingungen arbeitet.

So bietet die Theaterakademie Studiengänge für Studenten an, die an anderen Hochschulen immatrikuliert sind. Die früheren Diplom-Studiengänge sind inzwischen im Rahmen des Bologna-Prozesses von Bachelor und Master abgelöst. Geblieben ist die Praxisnähe in den Inhalten. In Intensivstudiengängen erlernt der Nachwuchs Schauspiel, Regie, Musical oder Maskenbild. Auch Dramaturgie und Kulturkritik sind im Studienangebot. Hier kooperiert die Theaterakademie mit anderen Hochschulen. Dank des Studiengangs Musiktheater- und Opernregie für Studenten, die bereits einen Bachelor im Gesang haben, ist das Institut längst internationalisiert.

Ländergrenzen überwinden

Ähnliches hatte auch 2009 Bernard Foccroulle, Künstlerischer Leiter des Festival d’Aix-en-Provence, im Sinn, nur auf europäischer Ebene. Weil das aber mit ganzen Studiengängen schwer zu realisieren ist, wählte er das Mittel der Workshops für sein European Network of Opera Academies (ENOA). So können bereits vorhandene Ressourcen genutzt werden, Gemeinsamkeiten und Unterschiede in den verschiedenen Ländern und Ausbildungsstätten erkannt, aber auch eigene Arbeitsergebnisse an anderen Orten präsentiert werden. Inzwischen haben sich dieser Idee elf Ausbildungsinstitutionen von Spanien über Polen bis Lettland angeschlossen. Besonders attraktiv für die Mitglieder des Netzwerks ist die Förderung seitens der Europäischen Union, die etwa die Hälfte der notwendigen Budgets ausmacht. Und so konnten bislang annähernd 100 Workshops realisiert werden. „Mehr als 600 junge Künstlerinnen und Künstler aus allen Bereichen der Musiktheaterproduktion haben bislang teilgenommen. Sie alle haben eine neue Dimension von Europa entdeckt und bringen diese in ihrer ganz persönlichen, weiteren künstlerischen Entwicklung zum Tragen“, resümiert Foccroulle die bisherigen Erfolge.

Beim vergangenen Festival in Aix-en-Provence wurde das erste eigene Opernprojekt uraufgeführt, das im Oktober in München zur Deutschland-Premiere kommt. Be With Me Now will die fassettenreiche Musikgeschichte Europas darstellen und veranschaulicht das an unterschiedlichen Musikstilen. Grundlage ist die Zauberflöte. Taminos Suche nach Pamina führt ihn quer über den europäischen Kontinent und wird von Videoprojektionen aus verschiedenen europäischen Städten untermalt. Dazu gibt es Arien von Händel, Mozart, Bellini und Wagner über Strawinsky und Britten hin zu neuen Werken von Vasco Mendonça und Daan Jannssens. Um ein solches Projekt über mehrere Ländergrenzen hinweg zu inszenieren, sieht Regisseur Julien Fišera die Notwendigkeit, von der üblichen Arbeitsweise bei Opern abzuweichen. „Auch die Sänger haben schon in den ersten Workshops ein Mitspracherecht bei der Inszenierung. Die Workshops sollen im Gegensatz zu typischen Proben Raum für Experimente und Kreativität geben“, erzählt er und ist überzeugt, „trotz der Unterschiede in Europas Mitgliedsstaaten und Städten wird diese Oper uns zusammenbringen“.

Das Netzwerk hat gerade erst begonnen

Auch Präsident Drescher freut sich auf die Premiere von Be With Me Now in der Münchner Reaktorhalle, nicht zuletzt weil Isabelle Kranabetter, eine Absolventin seiner Akademie, für die Dramaturgie zuständig ist. Vor allem aber sieht er darin die Chance, das europäische Netzwerk in Deutschland bekannter zu machen. Und möglicherweise auch neue Mitglieder zu gewinnen. ENOA soll nach seiner Auffassung nicht nur größer werden, sondern sich auch inhaltlich weiter entwickeln. „Ich bin ja immer zuversichtlich, bei allem, was ich tue. Und ich denke, es hat in der letzten Zeit einige Treffen gegeben, bei denen ENOA versucht hat, sich neu zu positionieren und neue Aktivitäten zu entwickeln. Und ich kann mir vorstellen, dass wir neue Schwerpunkte setzen. Also gerade, was die Talentförderung angeht“, zeigt Drescher sich zuversichtlich.

Michael S. Zerban, 26.9.2015

 


Das Europäische Netzwerk der Opern-
Akademien wird in Deutschland von
der Theaterakademie August Everding
in München vertreten.


Be With Me Now wurde im Juli in Aix
-en-Provence uraufgeführt. Ende
Oktober kommt das Werk nach
München in die Reaktorhalle.


Regisseur Julien Fišera sieht in der
europäischen Zusammenarbeit völlig
neue Arbeitsformen.

Hans-Jürgen Drescher ist als Präsident
der Theaterakademie August Everding
ein großer Anhänger des Netzwerkens.


Bernard Foccroulle leitet das Festival
Aix-en-Provence und hat ENOA ins
Leben gerufen.