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Seiten einer Oper

Wenn in den Theatern und Opernhäusern über Budgets verhandelt wird, taucht reflektorisch die „Erschließung neuer Zielgruppen“ auf, zu denen sich die Häuser verpflichten, um die Kürzungen möglichst gering zu halten. Wie das gehen soll, steht in den abschließenden Verträgen meist nicht. Und so wird in vielen Häusern bis heute das Thema Internet eher als „nice to have“ anstatt als Basisinstrument der Kundengewinnung betrachtet. Die Deutsche Oper am Rhein geht jetzt einen anderen Weg. Ein Marketingbericht.

Glaubt man einer aktuellen Studie, rufen bereits mehr als 60 Prozent aller weiblichen und männlichen Nutzer ihre Informationen aus dem Internet über mobile Geräte ab. Tendenz steigend. Die Suchmaschine Google hat das zu einem eigentümlichen Schritt bewogen. Die Aufgabe einer Suchmaschine besteht ja eigentlich darin, die besten inhaltlichen Ergebnisse zu liefern. Nicht mehr so bei Google. Suchergebnisse, die sich nicht automatisch an die mobilen Geräte anpassen, rutschen auf der Ergebnisliste automatisch an den Schluss. Diese eigenartige Form der Selektion führt dazu, dass die Webseitenbetreiber, die über ausreichend Geld verfügen, ihre Seiten umzustellen, belohnt werden, während diejenigen, die sich um die besten Inhalte bemühen, das Nachsehen haben. Die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg hat jetzt einen Haufen Geld in die Hand genommen, um ihre bis dahin eher betuliche Seite in einen hochmodernen, attraktiven Internetauftritt umbauen zu lassen. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Liaison von Theater- und Opernhäusern und dem Netz eher eine unglückliche.

Das Neue verstehen

Verstanden haben sie die Bedeutung des Internets nicht. Ist ja auch nicht ihr Metier. In den PR- und Marketingabteilungen vieler Theater und Opernhäuser herrscht noch immer die Ansicht vor, dass ein Artikel in der Lokalpresse für die Kundengewinnung und -bindung wichtiger sei als die überregionale Berichterstattung im Netz. Das ist historisch gewachsen – warum also etwas daran ändern? Dafür gibt es viele Gründe, predigen Marketingexperten seit Jahren. Das Netz als ständig verfügbare Informationsquelle prägt das Image, das Bild, das sich in den Köpfen der Menschen von einer Institution einbrennt, ist schnelle und unkomplizierte Kontaktmöglichkeit, verführt mit multimedialen Möglichkeiten. In den Köpfen der Marketingarbeiter ist das bislang nur rudimentär angekommen, sind sie selber doch mit Broschüren, Plakaten und Programm- und Spielzeitheften aufgewachsen, die sich in den Foyers der Spielstätten stapeln.

Das heißt ja nicht, dass man sich dem Fortschritt verschließen will. Also wurden irgendwann Webseiten in Auftrag gegeben. Vielen von ihnen merkt man bis heute die Lieb- und Lustlosigkeit der Verantwortlichen an. In Dortmund übt man sich seit Jahren in der Entschleunigung des Netzes und baut auf die grenzenlose Geduld der Besucherinnen und Besucher beim Seitenaufbau. In Krefeld und Mönchengladbach ist man mit den Journalisten der örtlichen Presse offenbar so eng im persönlichen Dialog, dass man auf den Pressebereich der Webseite gleich ganz verzichtet. Die Beispiele verpasster Chancen sind ungezählt. Und weil die Verantwortlichen sich eben nicht verantwortlich fühlen und ihnen oft genug auch gleich die Netzkompetenz fehlt, geben sich alle mit den unabdingbaren Standards zufrieden. Oberste Priorität hat der Button zum Ticketverkauf. Vermutlich ist noch nie jemand auf die Idee gekommen, die Damen und Herren vom Kartenverkauf mal zu fragen, wie viele Menschen an der Kasse nach einer Karte oder Eintrittskarte verlangen anstatt ein Ticket haben zu wollen. Es gibt das Programm der Spielzeit, mal mehr oder weniger übersichtlich, dazu einige geschriebene Informationen zu den Stücken, eine Übersicht über die am Theater Beschäftigten und eine Kontaktseite, an deren oberster Stelle, wenn nicht an einziger Stelle die Telefonnummer des Kartenvorverkaufsbüros steht. Auf diese Weise ist an vielen Häusern ein personal- und kostenintensiver Bereich entstanden, der eigentlich niemanden, am allerwenigsten die Adressaten interessiert.

Tausend Fliegen können schon mal irren

Es ist wie mit dem guten Geschmack. Wer ihn nicht besitzt, muss sich auf den Geschmack der Masse verlassen. Und so stürzten sich die Marketer auf die so genannten Sozialen Medien, um so die eigenen Webseiten im Vergleich zu ihren Möglichkeiten vor sich hin dümpeln zu lassen. Ein Irrweg, der aber noch mehr Personal bindet, also nicht so schlecht sein kann – zeigt doch die Größe der eigenen Abteilung die Bedeutung innerhalb des Unternehmens. Es wird „gepostet“, was das Zeug hält. Mit anderen Worten: Es werden Mitteilungen verbreitet, die an Dümmlichkeit oft kaum noch zu übertreffen sind. „Heute hatten wir Generalprobe. Es war so spannend. Wir freuen uns darauf, Euch bei der Premiere zu sehen“ gehört da noch zu den harmloseren Verfehlungen. Ob diese Plattformen helfen, neue Zielgruppen zu erschließen, ist nicht gesichert. Für die eigene Webseite bringen sie kaum Gewinn.

Die Düsseldorfer haben jetzt ihren Internetauftritt sowohl in technologischer Hinsicht als auch inhaltlich radikal überarbeitet. Im Grunde haben die Opernprofis nicht viel anderes gemacht, als uralte Erkenntnisse zu übernehmen. Ihr Verdienst liegt darin, dass sie es in Angriff genommen haben. Und dafür dürften sie vermutlich viel Lob ernten. Konsequent finden sich jetzt auf dem mobilen Gerät die Kontaktmöglichkeiten an oberster Stelle. Das beweist Dialogfreude, sicher die wichtigste Voraussetzung für einen Internetauftritt. Großformatige Produktionsfotos und Videos zeigen Selbstbewusstsein und ein verändertes mediales Verständnis. Für diejenigen Menschen, die nur schnell auf die Seite gehen, um ihre Eintrittskarte zu sichern, ist es einfacher nicht zu gestalten. „Karten kaufen“ heißt es da zur gezeigten Inszenierung. So einfach kann Internet sein. Auch wer sich vor dem Kaufentscheid näher informieren will, kommt mit einem Klick zu den üblichen Informationen. Das ist vorbildlich gelöst.

Noch kurz vor Spielzeitende ist die Oper mit ihrem neuen Auftritt online gegangen. Und so darf man den Auftritt wohl jetzt noch als eine Art Vorschau betrachten. Wenn es in der nächsten Spielzeit in den „Praxiseinsatz“ geht, wird sich unter „Aktuelles“ sicher mehr als Werbung finden und vermutlich werden einige Ausrufungszeichen wegfallen, die in der Euphorie der ersten Stunde noch reichlich zu finden sind. Denn das Grundprinzip scheint verstanden zu sein: Wer mehr Inhalte bietet, hat die Besucherinnen und Besucher auf seiner Seite. Dementsprechend gibt es nun auch ein „Magazin“, in dem sich zusätzliche Beiträge finden, die über den üblichen Informationsstandard hinausweisen. Da gebührt selbstverständlich Chefdramaturgin Hella Bartnig der erste Beitrag in Form eines langen, sehr langen Artikels zu Turandot. Auch hier wird man in der späteren Ausgestaltung noch Mittel und Wege finden, geschriebene Beiträge optisch ansprechend zu gestalten.

Der entscheidende strategische Schritt aber ist getan. Und damit setzt der Auftritt der Rheinoper Maßstäbe. Denn natürlich sind die Düsseldorfer nicht die ersten, die ihre Seiten technologisch „hochgerüstet“ haben. Sie haben ihre Seiten als erste so angelegt, dass zusätzlicher Inhalt möglich wird, der das Haus von anderen Institutionen abhebt. Und sie haben verstanden, dass es die eigene Seite ist, mit der sie neue Zielgruppen erschließen können. Mit den neuen Seiten werden nämlich auch die niederländischen Nachbarn in der Muttersprache mit Inhalten versorgt. Darüber hinaus bricht das Haus aus dem Denken aus, die Öffentlichkeit sei ausschließlich über Aufführungen und die daran Beteiligten zu informieren. Der Abschnitt „Zahlen und Fakten“ ist vielversprechend.

Lokalpresse verliert zunehmend an Bedeutung

Bleibt die Frage, wie man diesen Auftritt nun auch möglichst vielen Menschen schmackhaft macht. Und hier ist das Rad nicht neu erfunden worden. Waren es früher Tageszeitungen und Fachzeitschriften, die Appetit darauf machten, ein Spielzeitheft zu bestellen oder gar eine Aufführung zu besuchen, sind es heute die überregionalen Internetmedien, die Menschen über die Geschehnisse an einem Opernhaus informieren. Die eigentliche Leistung der Marketingabteilung – auch in Düsseldorf – wird darin bestehen, diese Multiplikatoren zu erreichen. Die Zeiten, in denen der Lokalredakteur der wichtigste Mann an der Oper war, sind vorbei. Heute schon kommen mindestens 25 Prozent der Besucherinnen und Besucher von auswärts. Die kommen aber nur dann, wenn sie spannende Geschichten über eine Aufführung gehört, gelesen oder gesehen haben – erst in den Internetmedien, dann auf den Seiten der Oper.

Michael S. Zerban, 29.6.2015

 


Der neue Internetauftritt der
Deutschen Oper am Rhein besticht
mit Dialog-Bereitschaft und großen
Bildern.


Am Anfang steht die Bleiwüste: „1917
exemplifizierte Ferrucio Busoni mit
Turandot seine Vorstellung von einem
antirealistischen Theater mit Musik“.

Das Publikum ist nicht nur an den
Geschehnissen auf der Bühne
interessiert. Die Rheinoper geht erste
Schritte.


Erst auf dem „mobilen Endgerät“
entfaltet der neue Auftritt seine ganze
Stärke. Wenn es stimmt, dass immer
mehr Menschen von solchen Geräten
auf das Internet zugreifen, ist das die
richtige Entscheidung.