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Britten-Feier komplex


 
 

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Düstere Feierlichkeiten

Anlässlich des 100. Geburtstages von Benjamin Britten veranstaltete die Deutsche Oper am Rhein ein Festival, zu dem die Besucher die Möglichkeit hatten, drei Opern Brittens in einem konzentrierten Zeitraum zu sehen.

Brittens 100. Geburtstag, der ein wenig im Schatten des 200. Geburtstages der beiden „Meister“ Verdi und Wagner steht, wurde mit einer Häufung von Wiederaufnahmen aus den letzten Spielzeiten an der Deutschen Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg einer besonderen Würdigung zuteil. Auf dem Programm standen Billy Budd, die auf hoher See angesiedelte Oper, die ganz ohne die obligatorischen Frauenstimmen funktioniert; Peter Grimes, die wohl bekannteste Britten-Oper ebenfalls aus dem maritimen Milieu, in dem die Bewohner eines kleinen Dorfes im Fischer Grimes einen Sündenbock für eigene moralische Unzulänglichkeiten suchen und schließlich die mystische Kammeroper The Turn of the Screw, in der eine Gouvernante in einem alten Herrenhaus zwei Kinder hüten und gleichzeitig mit den Geistern ihrer verstorbenen Vorgänger kämpfen muss.

Geburtstags-Wochenende

Neben den regulären Terminen im Spielplan konnte man die drei Opern auch geballt erleben: am Geburtstagswochenende um den 22. November herum lockte die Rheinoper mit einem „Britten-Package“ und zeigte die drei Produktionen innerhalb von vier Tagen. Zwar waren die Vorstellungen insgesamt gut besucht, doch auf das spezielle Angebot sind nur wenige eingegangen. Das mag nicht daran liegen, dass Britten zu unbekannt oder nicht angekommen ist, sondern eher an der Unvereinbarkeit von Idee und Umsetzung. Scheitern musste das reizvolle Angebot möglicherweise an der Integration in den Alltag des Opernfreundes. Vielleicht hätte man das Angebot nicht nur auf das eine Wochenende konzentrieren, sondern die Termine frei wählbar anbieten sollen, so hätte der Besucher flexibel Beruf, Familie und Freizeit miteinander vereinbaren können, und mehr Menschen hätten vielleicht am Britten-Festival teilgenommen. Zu den terminlichen Aspekten kommt, dass die doch eher anspruchsvolle Musik des Briten und die durchweg düster-verzweifelten Sujets in geballter Form auch ans Gemüt gehen. Wer möchte sich das gleich drei Mal an einem Wochenende antun?

Der Mehrwert

Da kommt die Frage nach dem Mehrwert eines solchen Angebots auf, schließlich standen bereits alle zu diesem Zweck reaktivierten Opern schon mal einzeln auf dem Spielplan. Dabei hat die Konzentration durchaus ihren Sinn: Gemeinsam ist den drei Werken nicht nur die musikalische Intertextualität, sondern es gibt auch szenische Parallelen, denn alle drei Opern stammen aus der kreativen Arbeit von Regisseur Immo Karaman und dem Choreographen Fabian Posca. Dadurch bekommt dieser kleine Zyklus eine innere Geschlossenheit und eine konsequente Legitimation.

Karamans Inszenierungen haben es in sich. Der an sich bereits schwere Stoff wird mitnichten abgemildert, im Gegenteil: Im Mantel der Inszenierungen Karamans wird schnell klar, wie kritisch, sarkastisch und düster Brittens Opern dieser Reihe sind. Da wird man mit Themen wie Tod, Verschwörung, Kindesmissbrauch und Hoffnungslosigkeit konfrontiert. Das verwundert aufgrund der eigenen Biographie Brittens nicht, der nicht nur die Schrecken des Krieges miterleben, sondern sich auch aufgrund seiner sexuellen Orientierung als Außenseiter fühlen musste. Karamans intelligente Herangehensweisen an das Werk zeigt Brittens intensive Auseinandersetzung mit Gesellschaft, menschlichen Abgründen, literarischen Vorlagen und sich selbst auf.

Personifizierter Trotz

Ein Beispiel ist die erste Regiearbeit dieser Reihe, Peter Grimes. Internationales Publikum, darunter natürlich viele Briten, ist nach Düsseldorf gekommen, um die letzte Vorstellung der Wiederaufnahme zu sehen. Die Anreise hat sich gelohnt und das in doppelter Hinsicht. Nicht nur musikalisch wird hier geklotzt, auch die szenische Umsetzung beeindruckt. Das monströse, multifunktionale Bühnenbild von Kaspar Zwimpfert, das 2010 auch für den Theaterpreis „Faust“ nominiert wurde, erzeugt mit seinem schäbig-plankenhaften Äußeren die richtige Stimmung, die von der Dorfgemeinschaft auf der Bühne weiter getragen wird. Die Konstellation, die aus alten Türen und Fenstern zu bestehen scheint und um sich selbst gedreht wird, liefert genau das Gegenteil ihrer Bestandteile: nämlich keinen Ausweg. Es wirkt fast so, als würde durch die Atmosphäre aus Licht und Nebel die schmierige, Öl- und Salzwasser geschwängerte Luft greifbar werden. Dazu arbeitet Karaman in der psychologisch feinen Personenregie die perfiden und deprimierenden Verstrickungen der Gesellschaft heraus. Er scheint ein Händchen dafür zu haben, die in Handlung und Musik zwar vorhandenen, aber nur angedeuteten Geschehnisse in Bilder umzusetzen, die sich mal entsetzlich, mal in einer Art Realitätsschock äußern. Das Ensemble leistet Großartiges: Corby Welch, der dieses Jahr in der Titelpartie debütierte, wächst über sich hinaus. Er liefert nicht nur großartige gesangliche Leistung mit ergreifenden Piani und emotionalen Ausbrüchen, in der sich Schmerz, Trotz und Sehnsucht nach einem normalen, bürgerlichen Leben spiegeln, sondern er verkörpert die in sich zerrissene Figur des kantigen Fischers, zu dessen Äußeren die feine Stimmführung kaum passt, auf beeindruckend intensive Weise. Seine Stimme erinnert im Duktus und Format in ihrer Schlankheit an die von Peter Pears, Brittens Lebensgefährte. Auch das restliche vielfältige Ensemble überzeugt in Gesang und Spiel, das auch in der Derniere nichts an Schärfe verloren hat. Besonders Kammersängerin Marta Marquéz schlägt, wie der Tenor, eine Brücke zu The turn of the Screw. Sie prägt beide Inszenierungen darstellerisch nachhaltig durch die Entwicklung eines scharfen Rollenprofils, ihre reife Stimme passt zur Interpretation von Mrs Sedley und Mrs Grose.

Gänsehaut an allen Fronten

Während man bei Peter Grimes eher vom internationalen Publikum beeindruckt wurde, fällt bei einer der letzten Vorstellungen von The Turn oft the Screw eher das Husten der Anwesenden auf, die die ruhigen Partien der Kammeroper stören. Dabei wäre Totenstille im Publikum eher angebracht. Die Interpretation Karamans ist genial, sie macht die Charakterisierung der schwierigen und schwer zu fassenden psychologischen Untertöne der Oper deutlich und gibt dem Ganzen mit der Gestaltung der Bühne von Zwimpfer die Gestalt des gespenstischen, halbverwahrlosten Herrenhauses, in dem Ängste und Nostalgie im Inneren wach werden. Man kann sich nur schwer der sich entwickelnden Atmosphäre entziehen. Die Geschichte um die beiden entgrenzenden Kinder und ihre von den nicht einzuschätzenden übernatürlichen Geschehnissen überforderte Gouvernante, drückt sich in der sphärisch-sprechenden Musik aus. Auch hier ist die sängerisch-darstellerische Leistung vorzüglich. Hervorzuheben sind neben Sylvia Hamvasi als Gouvernante die beiden Kinder, William Gardner und Emma Warner, die hoch professionell und mit vollem körperlichen wie stimmlichen Einsatz die anspruchsvollen Partien gestalten. Obwohl die Rheinoper gut geheizt hat, lässt einen die gehaltvolle Interpretation Karamans schaudern.

Wen-Pin Chien als musikalischer Leiter der superben Duisburger Philharmoniker überzeugt sowohl in der differenzierten Umsetzung der fragilen Musik der Kammeroper, als auch in der niederschmetternden Dramatik und maritimen Gewalt des Orchesters in Peter Grimes.

Die Deutsche Oper am Rhein kann für das Festival auf ein exzellentes Team zurückgreifen, das die Inszenierungen Karamans umsetzt. Nicht nur Sänger und Orchester, auch Licht, Technik, Chor und Konzept bilden ein lebendiges Ganzes, das den Geist Brittens nicht nur atmet, sondern verkörpert. Karamans Interpretationen gehen noch ein Stück über Brittens Material hinaus. Wer sich das alles an einem Wochenende antut, braucht definitiv starke Nerven, denn Musik und Sujets können gewaltig am Nervenkostüm kratzen.

Die Britten-Lücke

Man kann sich fragen, warum nicht alle Häuser gleichziehen und Britten-Produktionen geplant haben. Das benachbarte Köln zeigte letzte Spielzeit ebenfalls The Turn of the Screw, zum Geburtstag jedoch war nichts geplant. Ob das was mit der Kölner Planungsschwierigkeit und dem maroden Haushalt vieler Opernhäuser zu tun hat, sei dahingestellt. Denn Britten ist noch keine 70 Jahre tot – bis 2047 muss man noch Tantiemen bezahlen, und eine Häufung von Aufführungen bedeutet gesteigerte Kosten, die sich ein kleineres Haus vielleicht nicht immer leisten kann. Düsseldorf kann da noch aus dem Vollen schöpfen. In absehbarer Ferne darf man hoffen, dass die großartigen Werke Brittens nach Verfall des Urheberrechts vermehrt auch an kleinen Häusern zur Aufführung kommen. Allerdings muss bei einer solchen Annahme die Frage erlaubt sein, ob eine Gesetzgebung, die Kunst verhindert, im Sinne ihrer Urheber ist.

Viele Formen des Feierns

Die Website britten100 der Britten-Pears-Foundation informiert über die internationalen Feierlichkeiten zu Brittens Geburtstag, auch im Web 2.0 markiert der „Hashtag“ #britten100 Veranstaltungen zu diesem Jubiläum. Nicht so viel wie in Großbritannien, dem Geburtsland Brittens, doch immerhin ein bisschen Aufmerksamkeit und Berücksichtigung in den Spielplänen in Deutschland. Da muss es nicht unbedingt ein Britten-Festival wie in Düsseldorf, Hamburg oder an der Komischen Oper Berlin sein. Hagen ist es ganz geschickt angegangen und feiert gleich alle drei wichtigen Geburtstage in einer „Meisterfeier“, ein gutes Beispiel, wie auch ein kleineres Haus seinen Beitrag kosteneffektiv leisten kann.

Auch die Rheinoper ist noch nicht fertig mit Britten. Im Frühjahr kommenden Jahres steht zur Vervollständigung des Zyklus eine neue Karaman-Inszenierung von Death in Venice an. Und wer weiß, vielleicht wird Brittens 200. Geburtstag, den wir nicht mehr erleben werden, dann überall in Deutschland ausgiebiger gefeiert. Sollte die Rheinoper dann wieder Feierlichkeiten anbieten, freuen sich unsere Nachkommen hoffentlich über ein ebenso breites, aber vielleicht flexibler wahrzunehmendes Angebot. Denn drei Britten-Opern in konzentrierter Form zu erleben, ist zwar spannend, aber nichts für Anfänger.

Miriam Rosenbohm, 23.12.2013

 


Dieses Jahr wäre Britten 100 Jahre alt
geworden. Er hinterlässt uns ein
breites Oeuvre an Kompositionen,
darunter allein zwölf Opern.


Regisseur Immo Karaman ist für die
szenische Umsetzung aller
Produktionen des Britten-Zyklus
verantwortlich.


Billy Budd als dritte Oper des Zyklus,
überzeugt allein mit Männerstimmen.


In der Wiederaufnahme von Peter
Grimes
überzeugt Corby Welch in der
Titelpartie mit expressivem Spiel und
eindringlichem Gesang.


Die Kammeroper The turn of the screw
bekommt in der Inszenierung
Karamans eine weitere geheimnisvolle
Deutungsebene.