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Wagner-Skepsis


 
 

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Kassandra am Rhein

Seit Januar dieses Jahres ist Nike Wagner Intendantin des Beethovenfestes. Dass ein Intendant auch mal polarisiert, wird von ihm womöglich erwartet. Die Intendantin allerdings verärgert die Bonner Bürgerinnen und Bürger, die sich für ein neues Festspielhaus in ihrer Stadt einsetzen.

Eine Intendantin, die sich nicht für die Verbesserung der Rahmenbedingungen des Beethovenfestes einsetzt, ist leider eine Fehlbesetzung.“ Diese Ansicht der Bonnerin Janne Kern veröffentlicht der Bonner General-Anzeiger (GA) am 29. November auf seiner Leserbriefseite. Anscheinend, so die Bonnerin, fürchte Nike Wagner eine Konkurrenz zu Bayreuth, „auch wenn sie in den dortigen Festspielwochen nichts zu sagen hat“. Zwei Tage vorher geht auf der nämlichen Seite der Bonner Thomas Klingenheben Wagner direkt an: „Von der Intendantin darf dann allerdings doch erwartet werden, für die Realisierung (des Festspielhauses) nicht nur zu werben, sondern zu kämpfen. Stattdessen kümmert sie sich lieber um die Sorgen derer, denen der WCCB-Schock noch tief in den Knochen steckt.“ Gemeint ist das Projekt des noch unvollendeten World Conference Center im ehemaligen Regierungsviertel, das in der lokalen Öffentlichkeit unter dem Begriff „Millionengrab“ diskutiert wird. Und Roswitha Schmitt, ebenfalls Leserbriefschreiberin aus Bonn, greift zum letzten Mittel, dem Appell: „Es wäre wunderbar, wenn Nike Wagner in die Fußstapfen ihres Ahnherren treten und mit mehr Enthusiasmus und Engagement ebenfalls einen Festspielhausbau fördern würde – heute nicht in Bayreuth, sondern in Bonn.“

Wagner glaubt nicht an hohe Besucherzahlen

Nike Wagner, erst seit Januar Intendantin des Bonner Beethovenfestes, schon nach wenigen Monaten vor einem Scherbenhaufen, aufgeschichtet aus öffentlicher Enttäuschung, Misstrauen und Solidaritätsverlust? Wie Brünnhilde in der Götterdämmerung im Ring des Nibelungen? Ausgelöst wurde der jüngste Wagner-Eklat diesmal nicht am Grünen Hügel, sondern in einem Hotel unweit des Koblenzer Tors zu Bonn. Dort hielt die Urenkelin des Komponisten vor einem begrenzten Kreis in einem Medienclub eine Rede zu Lage und Perspektive des Beethovenfests und damit auch des Festspielhauses. Dieses soll bekanntlich zum Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 zum Juwel der Feierlichkeiten für den größten Sohn der Stadt und zum Beethoven-Leuchtturm für kommende Festspiele und Generationen avancieren, wenn sich die Kosten für den Betrieb der Halle nachhaltig über eine noch zu gründende Stiftung decken lassen, ohne den arg strapazierten Haushalt der Bundesstadt jährlich stärker zu belasten als im Umfang von einer halben Million Euro. Über Wagners Rede sollte wohl nicht berichtet werden. Gleichwohl war dann doch auf Seite Drei des Bonner GA zu lesen, was seitdem die Befürworter des Projekts aufbringt, die zahlreichen Gegner hingegen entzückt, deren radikalste Gruppierung nicht nur die gesamte Festspielhausidee, sondern auch die Oper und diverse Spielstätten des Theaters beerdigen möchte. Und das lieber heute als morgen.

Zwar würde sie sich freuen, wenn die Feierlichkeiten zum Beethoven-Jubiläumsjahr 2020 in einer neuen Halle stattfänden, wurde die Intendantin zitiert. Aber sie teile auch „die vielen Sorgen in der Stadt“ vor einem möglichen „Millionengrab“. Die wesentliche Frage sei nicht, ob die Baukosten von rund 70 Millionen Euro von einem Logistikunternehmen und anderen privaten Investoren aufgebracht werden könnten. Entscheidend sei viel mehr, wie später die Betriebskosten gedeckt würden. Im Entwurf des Geschäftsplans ist einer der Paramater für die Kalkulation ein Ansatz von rund 175. 000 Besuchern pro Jahr, mit denen im Festspielhaus gerechnet werden könne. Wagner erscheint dieser offenbar als zu hoch gegriffen. Sie wies dem Pressebericht zufolge auf ein „allgemein nachlassendes Interesse an klassischer Musik“ hin. Im Festspielhaus werde es folglich ein gemischtes Programm geben müssen. Und dabei konkurriere es mit der alten Beethovenhalle.

Wagner ging auch auf die Idee des Geschäftsplans ein, neben dem Beethovenfest jährlich zwei weitere Klassikfestivals zu veranstalten. Ihr Argument: Mit diesem Konzept werde das Alleinstellungsmerkmal des Beethovenfestes verspielt. „Sie geht damit auf deutliche Distanz zu ihrer Vorgängerin Ilona Schmiel, die eine glühende Festspielhausbefürworterin ist“, kommentiert der GA.

Versuch der Rechtfertigung

Mutmaßlich aufgeschreckt durch die negative Bugwelle, die Wagner in den Tagen danach aus der pro Festspielhaus eingestellten Kulturöffentlichkeit erreicht haben dürfte, unternahm sie danach in einem förmlichen Interview mit dem GA unter der Überschrift „Utopien müssen sein“ den offensichtlichen Versuch einer Rechtfertigung ihres Kassandra-Auftritts: „Ist es nicht erlaubt“, so ihre rhetorische Frage, „über die Realisierbarkeit eines solchen gewaltigen Vorhabens mitzudenken und in einer demokratischen Gesellschaft sachgemäß mitzudiskutieren?“ Nicht nur kulturell engagierte Bürger machen sich inzwischen Gedanken, ob die Intendantin ihre Bonner Aufgabe überhaupt adäquat verstanden hat. Ob es nicht angebrachter wäre, strategische Auswege aus dem Klassik-Abriss in der jungen Generation aufzuzeigen, falls überhaupt tatsächlich vorhanden, anstatt über diese zu lamentieren?

Auch die offiziellen Instanzen haben sich zu Wort gemeldet, manche von ihnen nicht mit Harfenklängen, sondern ganzen Wagnertuben. Malte Boecker, Direktor des Beethoven-Hauses, an die Adresse Wagners: „Bis heute habe ich kein Betriebskonzept für das Festspielhaus gesehen. Deshalb halte ich es persönlich für verfrüht, die wirtschaftliche Belastbarkeit des Vorhabens öffentlich zu kommentieren.“ Ohne „angemessenen Konzertsaal“, wandte Stephan Eisel, Vorsitzender des Vereins Bürger für Beethoven, ein, könne Bonn kein Profil als Beethovenstadt gewinnen. „Ein ‚Millionengrab‘ ist nicht das Festspielhaus, sondern die Beethovenhalle, die für 30 Millionen Euro umgebaut und saniert werden soll.“ Schließlich äußert sich auch Monika Wulf-Mathies im Namen der Festspielhausfreunde: „Ich finde es enttäuschend, dass Frau Wagner die Chancen nicht sieht, die das Festspielhaus auch für das Beethovenfest bringt. Wir hoffen sehr, dass sie ihre Meinung noch ändert.“

Ein solches Trommelfeuer haben weder Schmiel noch deren Vorgänger Franz Willnauer in den vielen Jahren ihrer verdienstvollen Intendanz für Qualität und Zukunft des Beethovenfests auch nur in Ansätzen erlebt. Eher das Gegenteil. Zu welchem Ende übrigens der Verrat Siegfrieds durch die getäuschte, aber zumindest liebende Brünnhilde in der Götterdämmerung führt, ist ja jederzeit nachzulesen oder im Theater zu erleben. Ein Menetekel.

Ralf Siepmann, 29.11.2014

 


Seit Jahren wird in Bonn der Bau eines
Festspielhauses diskutiert. Inzwischen
ist der Architektenwettbewerb gelaufen.
Im Frühjahr kommenden Jahres wird
mit dem Ergebnis gerechnet.


Nike Wagner, neue Intendantin des
Beethovenfestes Bonn, hat jetzt dem
Bau des Festspielhauses einen
Bärendienst erwiesen, der viele Bonner
Bürger verärgert.


Ilona Schmiel, heute Intendantin der
Tonhalle Zürich, hat das Beethovenfest
über die lokale Bedeutung hinaus
gehoben. Vor allem hat sie jeden
Imageschaden vermieden.


Stephan Eisel, Vorsitzender des
Vereins Bürger für Beethoven, ist der
Auffassung, ohne angemessene
Konzerthalle könne sich Bonn nicht
als Beethovenstadt profilieren.


Die denkmalgeschützte, altehrwürdige
Beethovenhalle stellt für viele
Bürgerinnen und Bürger keine
Alternative zu einem neuen
Festspielhaus dar.