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Intelligente Kulturvermittlung


 
 

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Straßenkultur

Geschichte ist langweilig. Internet ist viel spannender. Sagen viele Jugendliche und lernen einen entscheidenden Teil ihrer Identität nicht kennen: Ihre Herkunft. In Berlin zeigt das Projekt Hörpol, wie man jüdische Geschichte zeitgemäß und abseits von Museen und Schulen auf der Straße mit modernen Medien vermitteln kann.

Hans Ferenz ist Meister des ungewöhnlichen Tons. Neben Hörspielen für den Rundfunk initiiert er auch immer wieder ungewöhnliche Klangexperimente, bevorzugt zu den Themen Krieg, Wende oder soziales Miteinander der Generationen. Eines dieser intelligenten Ton-Projekte ist Hörpol – Erinnerungen für die Zukunft, das sich vornehmlich an Schülerinnen und Schüler ab der neunten Klasse bis zum Abitur richtet. Beschränkt auf diese Zielgruppe ist das Projekt nicht.

Wer will, kann so Berlin-Mitte auf die etwas andere Art erkunden. An 27 Stationen, die auf einem eigenen Stadtplan gekennzeichnet sind, kann man sich die passenden mp3-Dateien auf dem eigenen Handy – und neuerdings auch auf Smartphone und Tablet – anhören. Da bekommt man dann Geschichten über die jüdische Geschichte von gestern und morgen zu hören. Miniaturhörspiele verraten Geheimnisse, zeigen Wahnsinn und Lügen, Hass, Verzweiflung, von Mut und Respekt, von Freiheit und von der Liebe. So verspricht es die Website, von der auch die mp3-Dateien heruntergeladen werden können.

Zeitzeugin Ursula Zobel, Schauspieler Axel Prahl und Nachrichtensprecherin Mariette Slomka sind nur drei von über dreihundert Menschen, die an dem Projekt mitgearbeitet haben. Darunter auch Sänger wie Herbert Grönemeyer, die für die musikalischen Impressionen sorgen. Eine der eindrucksvollsten Geschichten ist sicher die des Kriminalbeamten, der im Judenreferat arbeitete und nach dem Krieg behauptete, nichts davon zu wissen, was aus den Juden wurde, deren Deportation er veranlasste. Er sei zu sehr mit seiner Ausbildung zum Opernsänger beschäftigt gewesen, als dass er sich mit dem Verbleib der Menschen hätte näher auseinandersetzen können. Das macht fassungslos. Da kann auch der Ausgang der Geschichte nicht so recht versöhnlich stimmen.

Ein Projekt, das auch Jugendliche „anmacht“

Inzwischen ist das Projekt preisgekrönt, und nach eigenen Angaben besuchen jeden Monat mehr als 3.000 Menschen die Website. Erleichtert wird der Besuch sicher durch den Umstand, dass er komplett kostenlos, die Website witzig aufgemacht und die Bedienung tatsächlich kinderleicht ist. Allein eine Angabe, wie viel Zeit man eigentlich für diese Audioführung braucht, bis man sie vollständig mit S- und U-Bahn absolviert hat, fehlt. Das ist von Ferenz beabsichtigt. „Die 27 Audiostationen kann man unmöglich an einem Tag anhören. Das ist auch so gewollt. Zum einen, um den Jugendlichen in diesem nach Freiheit strebenden Alter keine Vorgaben zu machen, zum anderen möchte ich sie zum Bummeln durch Alltag und Geschichte bewegen, auch um – wie nebenbei – zu zeigen, dass   Geschichte nicht irgendwie endet, sondern viel umfassender ist und immer weiter andauert“, sagt der Autor.

Hörpol macht vor, dass das Erlebnis Audio längst noch nicht ausgereizt ist. Verwunderlich, dass das Projekt noch keine Nachahmer gefunden hat. Denn auf solche Weise wird Geschichte zur Gegenwart, und dann gibt es auch für Jugendliche eben doch noch mehr als die so genannten Sozialen Medien.

Michael S. Zerban, 22.6.2014


Schauspieler Axel Prahl war einer von
zahlreichen Prominenten, die sich an
dem Projekt Hörpol beteiligten.


Das Projekt zeichnet sich durch
Produktionsvielfalt aus, wie hier
beispielsweise eine Kunstkopf-
Aufnahme.


Auch Schülerinnen und Schüler der
Martin-Buber-Oberschule nahmen an
Hörpol teil
.


Tonmeister Uwe Janßenharms und
Autor Hans Ferenz gaben den mp3-
Dateien den letzten Schliff .

Fotos: Hans Ferenz/Vera Schlenker