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Glanzlose Eröffnung


 
 

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Wagner aus der Biotonne

Nichts Neues im Süden der Republik. Die diesjährigen 103. Bayreuther Festspiele kommen gänzlich ohne Neuinszenierung aus. Umso mehr ein Grund, ein wenig genauer hinter die Kulissen zu schauen. Dass es da nicht zum Besten steht, symbolisiert ein flauer Festspiel-Auftakt mit einer missglückten Tannhäuser-Reprise, technische Panne inklusive.

Gerade sollte der „Käfig der Lüste“ aus der Versenkung ans Tageslicht auffahren, da hakte und rumste es. Nach knapp 25 Minuten fiel der Vorhang, ein sichtlich irritierter Mitarbeiter trat vor den Vorhang und schickte das Publikum in die vorzeitige Pause. Die Hydraulik der aufwändigen Bühnenkonstruktion machte schlapp. Peinlich, letztlich aber keine Katastrophe. Mit einstündiger Verspätung ging es weiter. Der vergitterte Venusberg blieb im Wesentlichen da, wo er hingehört, in der Versenkung. Dahin gehört auch die gesamte Tannhäuser-Inszenierung von Sebastian Baumgarten, die nach nur vier Spielzeiten vorzeitig abgesetzt wird. Mit Pleiten, Pech und Pannen muss zwar jedes Theater leben. Auch das Publikum reagiert gelassen. Dennoch wirkt dieser GAU wie ein Fanal der augenblicklichen Situation der Bayreuther Festspiele.

Katharina Wagner, in auffälliger Stille bis 2020 zur alleinigen Prinzipalin der Festspiele gekürt, versucht zurzeit erfolglos, die Festspiele aus den Schlagzeilen zu halten. Sie selbst ist am Eröffnungstag nicht zu sehen. Die Eröffnungspremiere der 103. Festspiele ausgerechnet mit der miesesten Inszenierung der letzten Jahre zu eröffnen, grenzt an ein künstlerisches Harakiri. Der Promi- und Presseandrang schrumpft merklich, auch die Zahl der Schaulustigen bleibt diesmal, ohne Merkel und Gottschalk als Zugpferde, überschaubar. Wenn Roberto Blanco und Carolin Reiber nebst der Seehofer-Clique den Reigen der Promis anführen, spricht das für sich.

Kommunikation wird anderen überlassen

Ring -Regisseur Frank Castorf entfachte im Vorfeld einen Sturm im Wasserglas, indem er sich über eine ungeschickte Umbesetzung und miserable Arbeitsbedingungen mokierte. Zustände, die er sichtlich genoss. Es grenzt an absurdes Theater, wenn er vor der Eröffnungspremiere eine Stunde lang Journalisten seine Standpunkte erläutert, während zehn Meter daneben Pressechef Peter Emmerich live für den Bayerischen Rundfunk beschwichtigt, so gut er kann. Und das kann er sehr gut. Hört man mit beiden Ohren zu, spricht Emmerich links von einem 14-seitigen Vertrag mit Castorf, während der rechts auf das 340-seitige Konvolut beharrt. Absurdes Theater halt.

„Die Stimmung ist mies“, verlautet es aus dem Umfeld der am Puls der Festspiele gelegenen Kantine. Hauptgrund: An Kommunikation und Transparenz ist die Festspielleitung nicht interessiert. Nicht am Gespräch mit den Mitarbeitern, nicht am Dialog mit der seit einem halben Jahrhundert mäzenatisch aktiven „Gesellschaft der Freunde von Bayreuth“, die sie mit einem von ihr neu gegründeten „Team der Aktiven Freunde und Förderer“ brüskiert und auch nicht am Gespräch mit der Presse. Die alljährliche Pressekonferenz zur Festspieleröffnung wurde abgesagt, weil keine Neuinszenierung anstehe. Unbequeme Fragen nach Visionen und Konzeptionen der Festspielleiterin sind offenbar unerwünscht. Dabei liegen kostspielige Renovierungsarbeiten an, und die Besetzung der Regisseure und Dirigenten steht lediglich für die kommenden beiden Jahre fest. Da ist für das kommende Jahr Tristan und Isolde mit Katharina Wagner und Christian Thielemann geplant. Im darauffolgenden Jahr steht ein Parsifal von Jonathan Meese und Andris Nelsons an. Auf Umwegen ist zu erfahren, dass für die nächsten Meistersinger im Jahr 2017 Barrie Kosky, der Intendant der Komischen Oper Berlin, betraut werden soll, der mit einer sensiblen Tristan-Produktion in Essen und mit einer provozierenden Ring-Deutung in Hannover für Schlagzeilen sorgte.

Auch am lebendigen Dialog mit dem Publikum ist Katharina Wagner nicht interessiert. Träumte ihr Urgroßvater noch von „Festspielen für alle“ zum Nulltarif, waren seine Nachfolger eifrig darauf bedacht, die Eintrittspreise moderat zu halten, trägt Katharina ihre Sympathie für gut betuchte Klientels deutlicher zur Schau als ihre künstlerischen Ambitionen. In Silver-, Golden- und Walhalla-Lounges schotten sich die Reichen so luftdicht ab wie die Leiterin vom gemeinen Volk der Wagner-Fans. Die Grenze zum Schicki-Micki-Glamour Salzburgs verwischt und damit auch das bodenständige Charisma Bayreuths. Wenn die Bayreuther Festspiele ihre Identität verlieren sollten, dürfte auch die Motivation weiterer Spitzenkräfte sinken, in Bayreuth zum Bruchteil Salzburger Gagen aufzutreten. Ob die Absicht, Anna Netrebko für die Meistersinger 2017 gewinnen zu können, unter diesen Umständen realisierbar bleibt, wird sich zeigen.

Eher ist eine Provinzialisierung zu befürchten. Abzusehen ist dieser Prozess bereits, indem offenbar die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg die Besetzungspolitik mitzubestimmen scheint. Einem Haus mit großer Wagner-Tradition, das sich in den letzten Jahren jedoch mit einem Tannhäuser-Skandal und einem mäßigen Lohengrin als Wagner-Bühne nicht gerade empfehlen konnte. Deren Generalmusikdirektor Axel Kober dirigiert nicht nur den szenisch misslungenen Tannhäuser auf dem Grünen Hügel, sondern wird im nächsten Jahr den Fliegenden Holländer von Christian Thielemann übernehmen. Und der in diesem Jahr geschasste Alberich von Martin Winkler wird flugs durch Rheinopern-Mitglied Oleg Bryjak ersetzt. Auch mit Warnhinweisen vor „gesundheitlichen Schäden“ durch Kalaschnikow-Salven im Siegfried tritt man in die Fußstapfen der Rheinoper. Mit einem Unterschied: Letztes Jahr hat tatsächlich ein Besucher den Siegfried nicht überlebt. Aber abgesetzt wie der Düsseldorfer Tannhäuser wird er nicht.

Gigantomanisches Bühnenbild statt durchdachter Regie

Axel Kober ist immerhin zuzurechnen, dass er im Tannhäuser der szenisch erdrückenden Übermacht durch das verfehlte gigantomanische Bühnenbild von Joep van Lieshout mit seinem gediegenen, klanglich kraftvollen, stellenweise pathetisch getragenen Dirigat ein stärkeres musikalisches Gegengewicht entgegenhalten kann als Thomas Hengelbrock mit seiner kammermusikalisch filigranen Lesart in der Premiere vor drei Jahren. Verständlich, dass Hengelbrock die Brocken nach der ersten Saison hinwarf.

Kober kommt gut mit den besonderen akustischen Bedingungen des Festspielhauses zurecht und gehört zu den wenigen überzeugenden Aktivposten der Aufführung. Dazu zählt sicher auch die sehr engagierte und alles andere als eingeschüchterte Darstellung der Elisabeth durch Camilla Nylund, die die Rolle mit großer Stimme und erfreulicher Bühnenpräsenz gestaltet. Dass sie stellenweise immer noch zu tief intoniert, verflüchtigt sich gegenüber Torsten Kerl in der Titelrolle, der keinen Spitzenton sauber trifft. Die mörderische Titelpartie steht der gebürtige Gelsenkirchener achtbar, wenn auch nicht glanzvoll durch. Markus Eiche hinterlässt als Wolfram eine attraktive Visitenkarte. Eine große, warme Baritonstimme, die der seines beliebten Vorgängers Michael Nagy kaum nachsteht. Die dauerschwangere Venus ist mit Michelle Breedt eher mütterlich als sinnlich besetzt, sowohl in der Ausstrahlung als auch in der Stimme. Großartig Kwangchul Youn als Landgraf. Ein Ereignis eigener Liga bieten die Chöre.

Musikalisch also eine befriedigende, wenn auch alles andere sensationelle Vorstellung. Wenn nicht Baumgarten und vor allem das Bühnenbild jede musikalische Mühe verkleistern würden. Der Ansatz des Regisseurs, der Animalität der Venusberg-Gesellschaft eine technokratisch geordnete Wartburg-Gesellschaft entgegenzusetzen, ist nicht dumm. Allerdings überspitzt Baumgarten die Gegensätze bis zur verzerrten, kaum noch erkennbaren Karikatur.

Über allem, und besonders hoch über dem Werk, thront Joep van Lieshout mit einem gigantischen Bühnenbild, das als Installation beeindruckt, sich aber derart in den Vorder- und Mittelpunkt drängt, dass die Figuren auf Spielzeugformat reduziert werden.

Der niederländische Künstler setzt damit eine Idee seines vor dreizehn Jahren in Rotterdam gescheiterten Versuchs fort, sein „Atelier van Lieshout“ zum „Freistaat AVL“ zu erklären. In Bayreuth ist eine Wohn- und Fabrikanlage zu sehen, in der aus Rüben und Exkrementen durch Biogasprozesse Nahrung und vor allem Alkohol zur Verpflegung der Bewohner hergestellt wird Schön, aber was hat das mit dem Tannhäuser zu tun? Leider nichts.

Kein Glanz auf dem grünen Hügel

Sebastian Baumgarten bemüht in Interviews und Vorworten viele kluge Worte zur apollinischen und dyonysischen Dialektik des Werks, in der sich Tannhäuser zwischen dem sinnlichen Rausch des Venusbergs und der asketischen Ordnung der Wartburggesellschaft aufreibt: Sensationell ist die Erkenntnis nicht, zu sehen ist davon noch weniger. Nicht nur, weil die Figuren im Labyrinth des „AVL“-Universums van Lieshouts kaum zu identifizieren sind, sondern weil der Regisseur die Figuren erstaunlich klischeehaft führt. Es wird viel gesessen, gebetet, gekniet, gehampelt, gehüpft und hektisch herumgelaufen. Dazu flimmern aufklärende Videoeinblendungen zur Recyclingtechnik der genialen Biogas-Anlage und endoskopische Einblicke in den Verdauungstrakt über diverse Leinwände. Verwirrend, auch wenn Baumgarten manches Vexierbild im Laufe der drei Jahre leicht ausgedünnt hat. Für Tannhäusers Erlösung durch die sich aufopfernde Elisabeth muss der Regisseur inmitten des visuellen Chaos' zur Brechstange greifen. Wolfram stößt Elisabeth in die Biogas-Anlage, aus der sie recycelt aufersteht, während Venus ein Kind Tannhäusers zur Welt bringt. Eine verkrampfte Verschmelzung, wenn nicht Harmonisierung der Gegenwelten, mit der man noch leben könnte. Das eigentlich Schlimme daran: An der Musik zeigen sich weder Regisseur noch Bühnenbildner im Geringsten interessiert. Das unterscheidet das Team entscheidend von Christoph Schlingensief, der den Parsifal optisch ähnlich intensiv, aber erheblich sensibler überfrachtete.

Es bleibt ein Tannhäuser, der nach dieser Saison schnell in Vergessenheit geraten wird. Das Publikum reagiert recht müde. Ein extrem kurzer Beifall, viele Bravos für die Sänger und Kober, ein mäßiges Buh-Gewitter für Baumgarten, der sich als einziger des szenischen Teams vor dem Vorhang zeigte.

Pedro Obiera, 25.7.2014

 


Ein paar Sternchen und die bayerische
Politprominenz - für mehr braucht es
den roten Teppich in diesem Jahr nicht.


Wenn der eine sich nicht äußert, hat
der andere eine größere Plattform.
Frank Castorf informiert die Presse
über seine Sicht der Dinge.


Axel Kober dirigiert den Tannhäuser
wie schon im Vorjahr - und rettet damit
eine unglückliche Inszenierung
.


Den Käfig der Lüste gibt es in diesem
Jahr nicht. Stattdessen eine technische
Panne, die dafür sorgt, dass das
Publikum vorübergehend die
Aufführung verlassen muss.


Eine gigantomanische Bühne, auf der
das Spiel ungeordnet vonstatten geht,
ohne sich großartig um die Musik zu
kümmern.