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KOMMENTAR

März 2013


 


 

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Die Ignoranz des Intendanten

In Salzburg und im Facebook rumort es. Da kocht, so scheint es, längst Überfälliges hoch. Und es ist eine ganz trübe Suppe, die den wenigsten Entscheidern im Musiktheater schmecken dürfte. Auf der Bühne der Salzburger Festspiele meldet sich jetzt eine prominente Stimme zu Wort: Elisabeth Kulman, eine Mezzosopranistin, die „es geschafft hat“, prangert haarsträubende Missstände bei der Behandlung der Sängergemeinde in Salzburg an und meint damit stellvertretend den gesamten Musiktheaterbetrieb. Alexander Pereira, noch Intendant der Salzburger Festspiele, versteht gar nicht, was an seinem neoliberalistischen Gedankengut falsch sein könnte.

Die Sängerinnen und Sänger sind das Salz in der Suppe einer jeden Musiktheater-Aufführung. Eine schräge oder gar verfehlte Inszenierung? Geschenkt. Ich muss ja nicht hinschauen, wenn ich nur die Stimmen höre. Das italienische Publikum ist noch konsequenter. Die Besucher schließen einfach die Augen. Erst wenn zu viel Bewegung auf der Bühne hörbar wird, rufen sie lautstark „Vergogna!“ und erheben sich auch schon mal im Saal gegen diese Schande, die ihnen da präsentiert wird. Aber wer sind eigentlich diese Leute, die uns da auf der Bühne die Möglichkeiten und Feinheiten der menschlichen Stimme präsentieren? Sie alle haben – häufig genug von Kindesbeinen an – ihre Stimme unter Beweis stellen müssen, viele, gerade in der Jugend oft selbst bezahlte Übungsstunden hinter sich, ein oder mehrere Studien absolviert, also mindestens einen Hochschulabschluss, und müssen sich im Vorsingen immer wieder aufs Neue beweisen. Wenn sie denn zu einem Vorsingen überhaupt eingeladen werden. Dabei wird gerade in Deutschland weit über Bedarf produziert. Da entsteht ein Haifischbecken, in dem das Überleben schwierig geworden ist. Wer bei Sängerinnen und Sängern nur an Villazón und Netrebko denkt, greift zu kurz. Viele von ihnen stellen wir in Opernnetz regelmäßig vor: Die am Anfang ihrer Karriere stehen genau so wie die, die ganz oben angekommen sind.

Eine, die ganz oben angekommen ist, ist die Mezzosopranistin Elisabeth Kulman. Publikumsliebling in Wien, auf der internationalen Bühne zu Hause und auch in Salzburg ein – bislang – gern gesehener Gast. Kulman hat die Schnauze voll und macht den Mund auf. Sie nutzt jetzt ihre Popularität, um auf Zustände hinzuweisen, die beim Vorzeige-Festival der Salzburger Festspiele exemplarisch vorgelebt werden. In Backstage erzählt sie, welche Zustände dort herrschen. Proben werden nicht bezahlt, für An- und Abreise gibt’s eine Pauschale; ob Sängerinnen und Sänger unter der Brücke oder im exklusiven Hotel residieren, ist vollkommen egal. Das müssen sie ohnehin selbst zahlen. Intendant Alexander Pereira lebt bei Nachfragen der Salzburger Nachrichten seine neoliberalistischen Gedanken aus. „Wer krank wird, kriegt nix“, kommentiert er den Vorwurf, seine Honorarpraxis sei unwürdig. Und setzt noch den Gnadenschuss oben drauf: „In einzelnen Härtefällen kann man über eine kleine Pauschale reden.“ Der Intendant also entscheidet nach Gutsherrenart, ob es noch ein bisschen Geld gibt oder nicht.

Selbstverständlich kann Pereira aus dem Vollen schöpfen. Welcher Sänger, welche Sängerin würde sich dagegen wehren – auch unter unwürdigsten Umständen – in Salzburg aufzutreten? Noch ist der Glamour der Festspiele Magnet. Aber schon hört man erste Stimmen, die sich dagegen wenden, dass Salzburg in einem Meer von Werbung ertrinkt, die Qualität doch nicht mehr so sei, wie man sie aus den Vorjahren kenne, und die Kosten in keiner Relation mehr zur Leistung stünden. Das ist das Problem an der neuen Philosophie der besser Verdienenden: Die Ignoranz sozialer Verantwortung führt nur kurzfristig zu persönlicher Bereicherung. Langfristig werden auch Sängerinnen und Sänger solch ein Engagement ablehnen müssen – weil sie es sich schlicht und einfach nicht leisten können.

So ergeht es auch vielen SängerInnen im täglichen Musiktheaterbetrieb. Ich habe viele solcher Berufsangehöriger kennen gelernt: Als Pförtner, Taxifahrer, Verkäufer in CD-Abteilungen und so weiter. Wir sollten darauf achten, dass es nicht zu viele werden. Sonst bleiben die Bühnen in Altona, Hildesheim und Hagen leer. Weil Damrau, Dessay und Kaufmann anderweitige Verpflichtungen haben.

Asoziale Intendanten mit Größenwahn haben wir genug. Die brauchen wir aber eigentlich gar nicht – weil sie nicht singen können.

Michael S. Zerban, 14.3.2013

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Die Salzburger Festspiele gehören zu
den Höhepunkten der Festivalsaison.
Ob die Festspielleitung das Niveau auf
Dauer halten kann, wird sich zeigen.


Wer in der Felsenreitschule auf der
Bühne steht, hat es "geschafft".
Finanziell sehen Sänger das ganz
anders.


Elisabeth Kulman spricht jetzt offen
über die Arbeitsbedingungen in
Salzburg und anderen
Theaterbetrieben. Das könnte eine
Lawine lostreten.


Intendant Alexander Pereira hat die
Honorare der Sängerinnen und Sänger
in Salzburg drastisch gekürzt und fühlt
sich damit richtig wohl.