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KOMMENTAR

März 2012


 


 

zurück       Leserbrief

Es geht gegen alle

Nun erwischt es - mal wieder - Schwerin. Diesmal könnte es um die Existenz gehen. Die geplanten Einsparungen werden nach Ansicht der Belegschaft innerhalb der nächsten drei Jahre in die künstlerische Handlungsunfähigkeit führen. Bürger und Belegschaft wehren sich. Damit sind sie längst in einer Stellvertreterfunktion.

Es ist ein eher beschauliches Städtchen, dieses Schwerin. Zugereiste sagen: Man gewöhnt sich. Die kulturellen Perlen werden hier hochgehalten, wenn auch immer mühsamer. Jetzt versucht die Politik, den Bürgerinnen und Bürgern das Theater "wegzusparen". Innerhalb von zehn Jahren wurde die Belegschaft halbiert, innerhalb der kommenden drei Jahre soll noch einmal ein Viertel der Stellen gestrichen werden. Man braucht kein Rechenkünstler zu sein, um sich auszumalen, dass das Mecklenburgische Staatstheater Schwerin damit in die Handlungsunfähigkeit getrieben wird.

Barcelona, Köln, Schwerin - die Kultur klagt allerorten über Einsparungen. Kann man das noch ernst nehmen, ist das, gerade bei institutionalisierter Kultur, nicht eher Klagen auf hohem Niveau? In Schwerin scheint es jedenfalls nicht so zu sein. Hier ist es eher fünf nach zwölf.

Dem Deutschen im Allgemeinen wird ja nachgesagt, dass er stillhält, sich lieber hinter den Jägerzaun zurückzieht als auf der demokratischen Straße seine Meinung zu äußern. Seitdem das von Politik und Wirtschaft zum Kalkül erhoben wird, ist Schluss mit deutscher Gemütlichkeit. Noch ist relative Ruhe, weil die meisten damit beschäftigt sind, bei gleich bleibender Arbeit mit immer weniger Geld auszukommen. Der Existenzkampf hat in viel mehr deutschen Haushalten schon begonnen, als wir auch nur anzunehmen wagen. Stuttgart war bereits so ein schwerwiegender Eingriff von Politik und Wirtschaft in das bürgerliche Leben, dass es selbst die Einzelkämpfer auf die Straße getrieben hat.

Und Schwerin? Ein vergleichsweise kleines Theater in der Provinz? Noch schließen sich die Stammtischredner den Politikern an, die laut darüber nachdenken, dass man ja gar nicht so viele Theater brauche, dass Fusionen ein probates Mittel seien, um Kultur "bezahlbar zu halten". Aber auch hier wehren sich die Bürgerinnen und Bürger, solidarisieren sich mit der Belegschaft des Theaters. Es gibt inzwischen zu viele, die sich die Benzinkosten nicht mehr leisten können, um zum Großtheater in der Metropole zu reisen. Fragen Sie mal die Sauerländer, wie viele von ihnen nach Dortmund reisen, um dort die Oper zu besuchen. Sie werden staunen - die Zahl geht gegen null. Wenn es allerdings einmal im Jahr ein Theaterstück im Dorf gibt, bordet die Schützenhalle über, ist die Begeisterung grenzenlos.

In Schwerin gehen die Bürger auf die Straße, vor das Schloss, auf die Schlossbrücke, vor die Staatskanzlei. Und sie kämpfen auf eine sehr  sympathische Weise für ihre Sache, für den Erhalt des Theaters: Sie singen. Sie denken sich witzige Aktionen aus, sie sammeln Solidaritätsadressen, sie dokumentieren auf einer Website. Sie demonstrieren gewaltfrei, friedlich, und wenn das die deutsche Art ist zu demonstrieren, dann können wir stolz auf die deutsche Art zu demonstrieren sein. Wenn, ja, wenn es denn auch etwas bewirkt. Wenn Politiker begreifen, dass sie hier sehr genau zuhören müssen. Dass allmählich Schluss ist mit dem Brechtschen Vieh, das sich selbst zur Schlachtbank führt.

Und genau deshalb ist Schwerin kein bedauerlicher Einzelfall, der sich überlebt, sondern ein Signal, dem ganz viele Deutsche folgen sollten. Von Schwerin sollte das Zeichen ausgehen, dass Kultur mehr als nur Bildungsbestandteil, sondern Grundbedürfnis ist. Den Landespolitikern könnten die Deutschen, nicht nur die Schweriner, zeigen, dass das Geld falsch verteilt ist, wenn es aus der Kultur abfließt, um in der Wirtschaftsförderung zu landen.

Heiner Geißler, dem nun wirklich niemand Sozialpoesie vorwerfen kann, hat auf der Leipziger Buchmesse sinngemäß gesagt: Schluss mit dem Kapitalismus in unserem Land, lasst uns zur sozialen Marktwirtschaft zurückkehren! Dann wird es auch wieder Geld geben, um unsere kulturellen Grundbedürfnisse zu erfüllen. Bis dahin gilt es, die Schweriner zu unterstützen.

Michael S. Zerban, 21.3.2012

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Wie lange es das Schweriner Theater
noch gibt, wissen im Moment nur die
Politiker.


Belegschaft des Theaters und Bürger
solidarisieren sich bei gemeinsamen
Aktionen.


Friedlich soll es zugehen, obwohl doch
die Wut längst bundesweit hochgekocht
sein sollte.


Die Ohnmacht der Politiker, sich zur
Kultur zu bekennen, schweißt auch die
Ensemblemitglieder zusammen.