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KOMMENTAR

November 2011


 


 

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China-Oper als interkulturelles Angebot

Die Oper Köln präsentierte 2010 Wagners Ring während der Weltausstellung in Shanghai. Viele Chinesen zeigten sich fasziniert von der europäischen Opernkultur. Kaum ein Jahr später der Gegenbesuch der Kun-Opera. Auch hier viel Faszination, allerdings mit kleinen Schwächen.

Die Shanghai Kun-Opera Company präsentiert die Tetralogie  Palast ewiger Jugend des Komponisten Hong Sheng aus dem 17. Jahrhundert – und verblüfft mit erstaunlichen Parallelitäten zum europäischen Musiktheater der Renaissance: Was in Europa durch die Affekten-Lehre Programm war, zeigt sich in der Kun-Oper als Zuordnung von Gesten, Bewegungen und Tönen zu emotionalen Befindlichkeiten. Dazu: Uralte chinesische Instrumente, die mit zitherähnlichen Konstrukten, einschmeichelnden Flöten, variantenreichen Gongs und vielfältigen Percussion-Elementen durchaus Nähe zu alten europäischen Instrumenten hören lassen.

Gesungen wird durchgehend im Falsett mit modulationsreicher Kopfstimme – na klar, in der europäischen Tradition ungewöhnlich, aber der Vorliebe für hohe Kastratenstimmen nicht so ganz fern. Zu schweigen vom dramatischen Aufbau der Oper: Handlungstragende „Rezitative“, emotionalisierende Arien, kommentierende Chöre. Das komplexe Geschehen vermittelt persönliche Gefühle, historische Deutungen und transzendierende Überhöhungen. Das ist nachvollziehbar in dem so ganz anderen Klangkosmos und den so ganz alternativen Bewgungsabläufen wie auch optischen Bildwelten.

Doch: Gemeinsam ist auch die Präsentationsform mit einer Guckkastenbühne als Fokus für das Publikum. Und: Es gibt eine „Notenschrift“ für wiederholende Aufführungen.

Die Kölner Oper leistet einen wichtigen Beitrag – mit Wirtschaftsverbänden und Universität – konträr zum ideologisch-instrumentierten „China-Bashing“, das so tut, als ob ein spektakulärer Performance-Akteur die Kultur von anderthalb Milliarden Chinesen repräsentieren würde!

Doch gibt es - kleine - Details der Kritik: Die Kölner Medien gehen mit dem Groß-Ereignis um, als handele es sich um das Gastspiel der Oper Graz.

Mit unvorbereiteten Kids das Haus zu füllen, ist das falsche Rezept: Da fehlt das intensive Verständnis für angemessenes Rezeptions-Verhalten.

Die Übertitelungs-Anlage ist nicht auf dem Stand der optisch-technischen Möglichkeiten!

Während der Aufführung befremden übermäßige elektro-akustische Manipulationen, die bei Bühnen-Musik und Gesang aus dem Background kritisch übersteuert wirken. Die verantwortliche Wu Promotion sollte da die Kenntnis des Publikums nicht unterschätzen – und vor allem die Ehrfurcht vor amplication-freier Originalität bewahren.

Im – zweisprachigen – Programmheft fehlen Hinweise auf die Bearbeitungen des Stücks von 1688, vor allem Verweise auf die Aufführungspraxis in der Vergangenheit und ihre Realisierung im heutigen China. Und es stimmt misslich, wenn die Agentur so tut, als sei die Kun-Oper die alleinige Repräsentantin der alten chinesischen Musiktheater-Kultur.

Schließlich: Verweise auf Bemühungen aktueller chinesischer Komponisten wie Tan Dun oder Guo Wenjing mit Bezügen zu chinesischen Musik-Traditionen dürfen einfach nicht verschwiegen werden, wenn die Kun-Oper nicht im Kuriositätenkabinett musealer Nischen verkommen will.

Franz R. Stuke, 6.11.2011