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KOMMENTAR

September 2013


 


 

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Oper in die Stadt

Politiker mit neoliberalem Gedankengut sind in den Elfenbeinturm traditioneller Kulturinstitutionen eingebrochen, ohne auf die Spur einer Gegenwehr zu treffen. Opern- und Theaterhäuser haben es über viele Jahre versäumt, ihre unabdingbare Notwendigkeit in den Köpfen der Menschen zu verankern. Nun sind sie mit Überlebensstrategien beschäftigt. Die Deutsche Oper am Rhein Düsseldorf Duisburg hat soeben eine schwere Krise überwunden, nicht, ohne Narben davon zu tragen. Jetzt gibt die Rheinoper ein schönes Beispiel dafür, wie es gehen könnte, sich in den Köpfen einer breiteren Öffentlichkeit zu verankern.

Familie Peters aus Amsterdam ist nach Düsseldorf gekommen, um die 725-Jahr-Feier der Stadt zu erleben. Der Programmzettel ist reich gefüllt. Es gilt, den historischen Markt zwischen Rathaus und Schlossturm zu besuchen, sich am Rheinufer über die Zukunftsvisionen der Stadt zu informieren, zudem hat sich Heino auf der großen Bühne am Schlossturm angekündigt. Am Carlsplatz biegt Familienvater Peters links in die Einfahrt eines Parkhauses ein. Auf der Tankstelle, die sich im Erdgeschoss des Parkhauses befindet, spielt sich Ungewöhnliches ab. Musik aus George Bizets Carmen erklingt. Peters hält an, öffnet die Fenster und lauscht ergriffen. Dass die nachfolgenden Autos warten müssen, interessiert ihn gar nicht mehr. Die städtische Geburtstagsfeier ist vergessen, fortan folgt die Familie der Opernrallye – und wird einen unvergesslichen Tag in der Landeshauptstadt Nordrhein-Westfalens erleben.

Wie präsentiert sich die Oper anlässlich einer solchen Feier? Die übliche Antwort: Tag der offenen Tür, Führung durch das Haus, Schminken für die Kleinsten, deren Mütter anschließend den halben Abend damit verbringen, die empfindliche Haut ihrer Lieblinge wieder zu reinigen. Heide Koch will was anderes. Raus aus dem Musentempel, die Oper zu den Menschen bringen. Koch ist die Marketingleiterin und Kommunikationschefin der Rheinoper. Sie weiß, dass die althergebrachten Konzepte nicht mehr funktionieren, im Grunde nie funktioniert haben. Weil sie die Menschen nicht mitgenommen, sondern darauf gewartet haben, dass die Menschen in die Tempel der Hochkultur strömen. Aber sie strömen nicht. Ein Fünfhunderttausendstel der Bevölkerung Düsseldorfs besucht an einem Abend eine Aufführung. Darunter einige Journalisten, die am kommenden Tag versuchen, etwas von der Faszination des Abends zu vermitteln.

Faszination ist, wenn du unvorbereitet auf etwas triffst und es dir eine Gänsehaut über den Rücken treibt. Und wer an die Macht der Oper glaubt, darf auf die Kraft der Faszination vertrauen. Die Marketingexpertin setzt sich gegen die üblichen Bedenkenträger durch. Es gibt eine Opernrallye. Solistinnen und Solisten aus sieben verschiedenen Opern treten an sieben verschiedenen Orten mitten in Düsseldorf auf. Der moderne Begriff dafür lautet wohl: Mini-Flashmob. So wird es gemacht. Finanzielle Mittel gibt es so wenig wie möglich. Das kennt man ja. Heide Koch lässt sich davon nicht beeindrucken. Die Tontechnik des Hauses macht mit, die Solistinnen und Solisten des Ensembles und des Opernstudios sowieso, Assistenten müssen, und der Fahrdienst wird gesponsert. Aufführungsorte sind schnell gefunden: Die Oper bei uns; das wird ein Fest!

Johanneskirche, 14 Uhr. Morenike Fadayomi tritt im Altarraum auf und singt die Arie aller Arien. Vissi d’Arte erfüllt den Raum und die Anwesenden. Wer bis dahin noch nicht dabei war, bleibt ab jetzt dabei. Eine Stunde später in einem Traditionscafé: Der Sonntagnachmittagbetrieb läuft bestens, die Tische sind gut besetzt. Zusätzliche Besucherinnen und Besucher drängen in den Gastraum, die Technik wird blitzschnell aufgebaut, ein kurzer Soundcheck, Fotografen und Reporter drängen sich immer wieder in den Vordergrund. Anke Krabbe – unsere Anke Krabbe, flüstert die Kollegin aufgeregt – und Iryna Vakula übertragen ihre Begeisterung für Brüderchen, komm tanz mit mir auf das Publikum. In Originalkostümen und mit unglaublicher Spielfreude geht es da zur Sache. Aber: Schon ist es wieder vorbei. Wir treffen uns vorm „Kabüffke“. Zum ersten Mal richtig rein ins Herz der Altstadt. Koch wächst über sich selbst hinaus, was die Anmoderation betrifft. Ein Pulk versammelt sich. So soll das sein. Was kann es an solch exponiertem Ort aus der Entführung aus dem Serail anderes geben als Vivat Bacchus! Bacchus lebe!? Paul Stefan Onaga und Felix Rathgeber spielen sich die Noten zu, wie man es auf mancher Bühne nicht oft erlebt.

Und während die Truppe der Rheinoper weiter zieht, bleibt die Erkenntnis, dass es genau so funktionieren kann. Rein in die Stadt, den Bürgern zeigen, über welch ein wunderbares Ensemble sie verfügen. Wir wollen nicht mehr die Unerreichbaren anhimmeln, sondern uns mit tollen Künstlern auf einem Foto Arm in Arm ablichten lassen. Wir wollen uns mit dem identifizieren, was sich auf der Bühne abspielt. Auf der Bühne, die es in unserer Stadt gibt.

Dass es in unserer medial geprägten Welt nicht mehr reicht, ein überzeugendes Event mitten in der Stadt auf die Beine zu stellen, ist auch Koch klar. Also wird es in Kürze auf YouTube ein Video geben, das – hoffentlich – die Faszination dieses Nachmittags wiedergibt. Auf dem Weg aus der Altstadt sind noch lange die Klänge von Heinos Freunde der Nacht zu hören. Der Platz vor der Bühne ist überfüllt, die Lautsprecher dröhnen weit darüber hinaus. Aber sie reichen nicht mehr, die Eindrücke einer Opernrallye zu übertünchen.

Die Mini-Flashmobs waren Nadelstiche im Wams einer Geburtstagsfeier. Und morgen werden die Zeitungen groß mit Heino aufmachen. Aber der Weg stimmt: Mit Fantasie Faszination hervorzurufen, die über den Tag hinausreicht und Politikern Paroli bietet, die das System Geld über alle anderen Werte unserer Gesellschaft stellen.

Michael S. Zerban, 8.9.2013

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Morenike Fadayomi begeistert auf
einer der Stationen der Opernrallye
in Düsseldorf die Menschen.


Heide Koch, Marketingleiterin und
Kommunikationschefin der Deutschen
Oper am Rhein, nimmt die
Anmoderation der Künstler mit bester
Laune selbst in die Hand
.


Anke Krabbe und Iryna Vakula sorgen
in einem Café dafür, dass die Gäste
staunen und bei Kaffee und Kuchen
dahinschmelzen.


Besucher von außerhalb lernen bei der
Opernrallye auch gleich noch Orte
kennen, die sie so vielleicht gar nicht
wahrgenommen hätten.


Felix Rathgeber und Paul Stefan
Onaga verbreiten im Herzen der
Altstadt gute Laune mit einem
Trinklied und überzeugender
Darstellung.

Fotos: Opernnetz