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KOMMENTAR

November 2014


 


 

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Peinlicher Abgang

Opernintendant Toshiyuki Kamioka hat seinen Chefsessel noch nicht angewärmt, da verkündet die Lokalausgabe Wuppertal der Westdeutschen Zeitung heute, dass der Generalmusikdirektor in Personalunion sich 2016 in die Heimat verabschiedet. Kamioka lässt ein Dementi umgehend in einer Pressemitteilung folgen. Die Kultur in Wuppertal schliddert der nächsten Peinlichkeit entgegen.

Gleich zu Beginn seiner Opernintendanz hat der Musiker Toshiyuki Kamioka erst mal viel Porzellan zerschlagen. Unvergessen, wie er den Begriff Ensemble neu definieren ließ, um der Wuppertaler Bürgerschaft mitzuteilen, dass sie mit seinem Amtsantritt ihr Opern-Ensemble los ist. Nun, gerade mal zwei Produktionen später, die nicht die Hälfte von dem hielten, was Kamioka großmundig versprochen hatte, folgt der nächste Paukenschlag.

Am Donnerstag, 13. November, verkündet Lokalreporter Lothar Leuschen in der Wuppertaler Lokalausgabe der WZ, dass Kamioka im Juli 2016 Oper und Sinfonieorchester der Stadt den Rücken kehren werde. In großer Aufmachung wird dort auch Oberbürgermeister Peter Jung zitiert: „Es ist traurig, dass er uns verlässt. Aber für uns geht es nun darum, bis Mitte 2016 einen Dirigenten zu finden.“ Bis dahin ist das unerfreulich, aber aller Ehren wert, wenn ein Mensch erkennt, dass er den gestellten Aufgaben nicht gewachsen ist und seinen Posten deshalb vorzeitig zur Verfügung stellt.

Dann aber die große Überraschung. Der Opernintendant und Generalmusikdirektor lässt eine Pressemitteilung verschicken, in der er, na ja, so eine Art Dementi abgibt. Ob da die Kommunikation mit seinem Dienstherrn nicht so ganz funktioniert hat, lässt sich von hier aus nicht feststellen, aber Kamioka eröffnet mit einer reichlich erstaunlichen Feststellung. „Ich bin sehr betroffen über diese Meldung, deren Urheberschaft ich nicht nachvollziehen kann. Es spricht aber für sich, dass diese gerade an einem Tag, an dem das gesamte Orchester und ich sich auf einer Gastspielreise im Ausland befinden, publiziert wird.“ Nanu? Er will gar nicht gehen, wittert gar Verschwörung. Nach Kamiokas Angaben habe es vor einigen Tagen ein „vertrauliches Hintergrundgespräch“ mit Oberbürgermeister Jung, dem Stadtdirektor Johannes Slawig und dem Kaufmännischen Direktor der Wuppertaler Bühnen, Enno Schaarwächter, gegeben. Es sei, schreibt Kamioka weiter, bei solch langen Verträgen, wie er sie abschließe, in Wuppertal bis 2019, völlig normal, dass man in interner Runde über Anpassungen und Änderungen spreche. Dass er da vielleicht etwas falsch verstanden hat, wird deutlich, wenn er sich zitieren lässt: „Ich kann mir absolut nicht vorstellen, dass aus dieser vertraulichen Runde Informationen oder Gerüchte an die Medien gegangen sind, die zu der jetzt publizierten Meldung geführt haben.“ Ob er sich das vorstellen kann oder nicht: Oberbürgermeister Peter Jung gehört unserer Erfahrung nach nicht zu denjenigen, die sich besonders gern interviewen lassen, so lange sie nicht selbst etwas zu verkünden haben. Und der bedauert nun in der Lokalzeitung den vorgezogenen Abschied. Besser kann man den Leiter der Oper und des Sinfonieorchesters nicht abservieren.

Leuschen sieht in seinem Artikel den Grund für Kamiokas verfrühten Abschied in einem Streit mit dem Orchester. Der sei ausgebrochen, weil etliche Musiker eine Gastspielreise ins strahlenverseuchte Japan nicht antreten wollten. In einer internen Abstimmung seien die Skeptiker knapp unterlegen und hätten daraufhin einen Strahlenexperten bemüht, um die „Gefährlichkeit der Reise zu untermauern“. Fest steht: Die Reise wurde abgesagt, Kamioka flog allein nach Japan. „Es gibt keinen Streit! – Atmosphärische Störungen kommen immer mal wieder bei der Zusammenarbeit in unserem Bereich vor. Dies wäre sicher kein Grund für mich, meinen Vertrag als Chefdirigent überstürzt auflösen zu wollen“, wiegelt hingegen der Musiker ab. Um sich gleich darauf vollends in die Nesseln zu setzen. „Zusätzlich zu meiner Doppelbelastung in Wuppertal kommen immer mehr Anfragen als Dirigent, insbesondere aus Japan. Insofern muss ich darüber nachdenken dürfen, ob ich meinen Verpflichtungen als Opernintendant langfristig genügen kann. Auf jeden Fall werde ich diese über volle zwei Spielzeiten erfüllen. Dann muss man sehen“, erklärt Toshiyuki Kamioka in aller Öffentlichkeit.   Wer will denn allen Ernstes einen Intendanten, der sich mehr für Dirigier-Anfragen interessiert als für das Wohlergehen einer Oper, der er zuvor ein fragwürdiges Konzept übergestülpt hat?

Damit dürfte er die ohnehin schon angeschlagene Oper weiter ins Schlingern gebracht haben. Dass der Dirigent, der im Vorfeld nur allzu gern bei den Mauscheleien der Stadtpolitik mitgemischt hat, denen nun selbst zum Opfer fällt, ruft vermutlich kein allzu großes Mitleid hervor. Schlimmer ist die Befürchtung, dass er damit verbrannte Erde zurücklässt, die von den kürzungswütigen Kulturgegnern nur allzu gern genutzt werden wird, um Oper und Orchester weiter zuzusetzen. Ob sich Kamioka selbst überhaupt noch bis zum übernächsten Jahr wird halten lassen, muss man sehen. Die Autorität von Obrigkeiten, deren Abschied ausgemacht ist, lässt bisweilen bekanntlich sehr zu wünschen übrig.

Michael S. Zerban, 13.11.2014

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Differenzen mit dem Sinfonieorchester
Wuppertal sollen dazu geführt haben,
dass Toshiyuki Kamioka vorzeitig
gehen soll.


Ein Opernintendant in Erklärungsnöten:
Toshiyuki Kamioka reagiert mit
Unverständnis auf einen Artikel in der
Lokalausgabe Wuppertal der WZ.


Peter Jung ist Oberbürgermeister von
Wuppertal. In der Zeitung bedauert
er den vorzeitigen Weggang von
Kamioka und schafft damit Fakten.


Enno Schaarwächter, Kaufmännischer
Direktor der Wuppertaler Bühnen, war
bei der „vertraulichen Sitzung“ dabei,
in der über „Anpassungen und
Änderungen“ gesprochen wurde.