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KOMMENTAR

Dezember 2014


 


 

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TTIPP ist nicht top

Auch wenn die Eurokraten einen Zipfel der so geheimen TTIP-Verhandlungen gelüftet und wenigstens das Mandat veröffentlicht haben, bleibt vieles im Bereich von Kultur und Medien, zu vieles unklar, weil noch nicht verhandelt. Bei den Verhandlungen zur Transatlantic Trade and Investment Partnership sind Aufmerksamkeit und Misstrauen weiterhin angebracht, ja notwendig.

Wenn Bundeskanzlerin Merkel dem Nikolaus ein großes Interview für eine Wochenzeitung in den Sack steckt, muss es dafür politische Gründe geben, gewichtige Gründe. Sie bleibt vorsichtig im Konjunktiv, wenn sie von den verständlichen Sorgen der Bevölkerung redet: „Wenn europäische Standards für ein Freihandelsabkommen mit Amerika unterschritten würden, wären viele Bedenken gerechtfertigt.“ Und weiter: „Aber es bleibt bei unseren sehr hohen europäischen Standards für Verbraucher und Umwelt. Dafür stehe ich ein .“ Also bitte! Viele mögen sich auf diese Zusage nicht verlassen, sie fürchten rücksichtslose, ja rigorose Geschäftspraktiken, wenn amerikanische Firmen erst einmal uneingeschränkt Zugang zum europäischen Markt erhalten. Kein Wunder, wenn der Strom der Kritiker nicht abreißt, die Bedenkenliste länger wird, die Argumente gewichtiger werden. Die kritischen Stimmen aus der Kulturszene werden immer lauter, ihre Zahl ist kaum überschaubar. Da ist es ein großes Verdienst, wenn der Deutsche Kulturrat die Stimmen der Kritiker sammelt, zusammen führt und im Internet greifbar macht. So kann man wenigstens mal nachlesen, wer welche Kritik vorträgt. Die Kritiker stoßen sich vor allem an den geplanten Regelungen für die öffentlichen Medien und die Telekommunikation, aber auch die Daseinsvorsorge, durch die sie die öffentliche Förderung unserer Kulturinstitutionen und -projekte gefährdet sehen, und die Lockerung des deutschen Urheberrechts inklusive der Streichung der Buchpreisbindung. Bei vielen dieser Einzelpunkte sind mögliche Folgen noch kaum abschätzbar, doch bisherige Erfahrungen mit ähnlichen Abkommen zeigen, dass Obacht angezeigt ist.

Schon Anfang Oktober kann das in Brüssel gegründete Bündnis Stop TTIP, eine mit über 250 Organisationen starke, selbstorganisierte Europäische Bürgerinitiative gegen TTIP und CETA nach nur 24 Stunden mehr als 200.000 Mitzeichner melden, inzwischen ist die Millionen-Grenze überschritten. Der Deutsche Kulturrat, der Spitzenverband von 236 Bundeskulturverbänden und Organisationen, nimmt seit Bekanntwerden der TTIP-Pläne ständig und zunehmend kritisch zu den vermutbaren kulturellen Folgen von TTIP Stellung. Die kritischen Stellungnahmen reichen inzwischen von den Ministerpräsidenten mehrere Bundesländer über den Intendanten des Westdeutschen Rundfunks bis zur Gewerkschaft Verdi.

Allein schon die Umstände, unter denen TTIP diskutiert werden muss, sind unverständlich, in höchstem Maße Misstrauen erregend, einfach empörend: Da treffen sich seit Juli 2013 irgendwie ausgewählte Vertreter der Europäischen Union und Amerikas und kungeln Sachen aus, die den europäischen Alltag in Spanien, Frankreich, Polen und Deutschland betreffen, die den Alltag verändern werden – und keiner weiß genau, wer diese Figuren sind und wer sie ausgewählt und legitimiert hat. Nach heftiger öffentlicher Kritik und parlamentarischem Druck entschließt sich die Kommission in Brüssel endlich, den Wortlaut des Mandats, des Auftrages an die Vertragspartner, öffentlich zugänglich zu machen. Aber eine „Europäische Bürgerinititive (EBI) gegen die internationalen Handels- und Investitionsverträge TTIP und CETA“ lehnt die Kommission am 10. September 2014 nach wie vor ab. Auch die Vertraulichkeit der Gespräche hält Angela Merkel weiterhin für notwendig und verteidigt sie! Diese Geheimniskrämerei ist besonders ärgerlich, unverständlich und undemokratisch. „Das Verhandlungsmandat wurde ohne Beteiligung des Europaparlaments vom EU-Rat verabschiedet und ist offiziell immer noch nicht für die Öffentlichkeit zugängig“, auch wenn es die Grünen im Europäischen Parlament inzwischen veröffentlicht haben. Dabei umfasst die Verhandlungsmasse Gegenstände des kompletten Alltags europäischer Bürger. Die Gewerkschaft Verdi spricht sich nachdrücklich dafür aus, „wichtige Bereiche der Daseinsvorsorge wie etwa die Wasserversorgung, das öffentliche Gesundheits- und das öffentliche Bildungswesen“ nicht Gegenstand des Abkommen werden zu lassen. Und ihr Vorsitzender Frank Bsirske legt den Finger auf den entscheidenden Punkt: „Soziale und ökologische Ziele müssen gleichrangig mit den wirtschaftlichen Zielen verfolgt werden.“

Für den Kultur- und Medienbereich sind vor allem die Verhandlungen zu den Themen Investitionsschutzabkommern, E-Commerce, geistiges Eigentum und audiovisuelle Medien von großer Bedeutung. Auch das Interesse der Amerikaner an einer Liberalisierung des europäischen Weiterbildungsmarktes, insbesondere der Erwachsenenbildung, muss erwähnt werden. Entscheidend ist dabei weniger eine leichtere Zulassung privater ausländischer Konkurrenz auf diesen Märkten als die mögliche Konsequenz, wegen Marktverzerrungen eine – in Europa übliche – öffentliche Förderung solcher Bereiche zu verbieten. Eine solche Regelung könnte sogar den von der internationalen Kulturorganisation UNESCO vereinbarten Schutz der Vielfalt der Kultur in Frage stellen.

Selbst Kulturstaatsministerin Monika Grütters, CDU, sieht inzwischen die Notwendigkeit, die Bereiche Kultur und Medien im geplanten Freihandelsabkommen TTIP besonders zu schützen. Sie plädierte für eine Generalklausel in dem Abkommen, die sicherstellt, „dass der Abbau von Handelshemmnissen nicht dazu führt, den besonderen Schutz für kulturelle Güter in Deutschland, etwa die Buchpreisbindung, auszuhebeln“ – endlich mal ein gewichtiges und konkretes Wort.

Wenn zahlreiche Diskussionsbeiträge immer wieder die Notwendigkeit sehen, den Doppelcharakter von Kultur – als Wirtschafts- und Kulturgut – in einem völkerrechtlich verbindlichen Rahmen festzulegen, weiß man bei aller Ungenauigkeit, woher der Wind weht. Wieder einmal besteht die Gefahr, dass sich das ökonomisch-kapitalistische Denken einer Klasse von amerikanischen Politikern durchsetzt, das schon beim Versuch der Vermessung des deutschen Bildungswesens Schaden angerichtet hat. Mit seiner völlig einseitigen Festlegung schulischer Leistungen auf ein quantifizierbares und in wenigen Zahlen fixiertes Messsystem haben sich die internationalen PISA-Studien, die die Leistungsfähigkeit nationaler Schulsysteme ermitteln sollen, zum Werkzeug eines überholten Lernverständnisses entwickelt, dem jede pädagogische Qualität abhanden gekommen ist. Lehrer und Schüler stöhnen gleichermaßen unter dem Diktat der Durchökonomisierung des Schulalltags. Die oft sinnlosen Ergebnisse dieser rein quantifizierten Betrachtung von Sozial- und Kultursystemen wurde inzwischen mehrfach von der UNESCO kritisiert, ihre deutlich erkennbaren Grenzen werden benannt. Die europäische Kultur hat deshalb allen Grund, ihre bisherigen Leistungen vor dem Wahn und Diktat des free trade zu schützen.

Wer einmal die letzten staubigen Fetzen des längst verrotteten roten Vorhangs des ehemaligen Michigan Theater in Downtown Detroit in der Hand gehabt und die hässlichen Ölflecken gesehen hat, die die dort geparkten Autos auf dem vormals glänzenden Parkettboden hinterlassen, der begreift unmittelbar, dass wir diese Art von „Partnership“ nicht brauchen, nicht wollen!

Horst Dichanz, 11.12.2014

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Ignacio Garcia Bercero leitet die EU-
Delegation, die die TTIPP-Geheim-
Verhandlungen führt. Lange war nicht
einmal das Mandat bekannt.


Kulturstaatsministerin Monika Grütters,
CDU, sieht die Notwendigkeit, die
Bereiche Kultur und Medien vor TTIPP
zu schützen.


Soziale und ökologische Ziele seien
gleichrangig mit den wirtschaftlichen
Zielen zu verfolgen, fordert Verdi-
Vorsitzender Frank Bsirske .


Ein Kulturverständnis, in dem aus
einem Theater schnell mal ein
Parkhaus wird, weil private Spenden
ausbleiben, ist für Europa ungeeignet.