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KOMMENTAR

Mai 2014


 


 

zurück       Leserbrief

Die große Lüge von den Subventionen

Mit unschöner Regelmäßigkeit sehen sich Kulturvertreter bei Haushaltsverhandlungen in der Defensive und müssen um jeden Cent heftig kämpfen, viel zu oft vergeblich. Warum eigentlich?

O nein – das ist kein neuer dieser unsäglichen Beiträge, die zwecks Effektivierung, Ökonomisierung oder Rationalisierung des Kulturbetriebes endlich die Abschaffung der Mehrfachbesetzungen in Orchestern, das Ersetzen von Reihen von Gesangssoli durch Duette, die Streichung von Statisten und den Ersatz der Souffleuse durch ein computergesteuerte Mikroport fordern.

Nein, es ist das genaue, bissige und wieder einmal dringend notwendige Plädoyer gegen die merkwürdige und falsche Sicht auf den Finanzbedarf von Kulturangeboten als „Subventionen“. Hier geht es um die Anerkennung dieser gesellschaftlichen Aufgabe als grundrechtlich gesicherte, ureigene humanistische Aufgabe unserer Daseinsfürsorge. Sie steht elementar und selbstverständlich neben den Aufgaben der Daseinsvorsorge wie die Sorge um Essen und Trinken, die Gesundheitspflege, die Bildungsangebote, das Recht auf einen menschenwürdigen Arbeitsplatz, von anderen ebenfalls von der Gemeinschaft finanzierten Aufgaben einmal ganz abgesehen.

Die Argumente vom „Standortfaktor“ bis zum diffamierenden „Sahnehäubchen“, von den angeblich freiwilligen Leistungen der Länder und Kommunen, der Standortbedeutung, der Arbeitsplatzsicherung und schließlich der Strukturbedeutung von Kultur sind alle richtig, aber verbraucht. Die Hinweise auf die Notwendigkeit neuer Strukturen, die in der Theaterlandschaft täglich kolportiert werden, meinen immer die Minderung der Kosten und der Substanz. Sie greifen viel zu kurz. Auch der Aufruf der Proteste 5vor12 in Sachsen-Anhalt “Kultur ist eine der wichtigsten und wertvollsten Ressourcen, die das Land Sachsen -Anhalt besitzt“ vergisst, die politischen Konsequenzen zu ziehen. Genau das kritisiert der Intendant der Hallenser Oper Axel Köhler als ein „Missverständnis von Kultur“. Eine Reihe von Häusern sucht ihr Heil in einem Kompromiss mit den Haushältern über angedrohte oder zugemutete Kürzungen, und hofft, „Schlimmeres“ zu verhüten. Mehrere große Theater versuchen bereits, durch verstärkte Kooperationen Gelder zu sparen. Andere verringern die Zahl der Premieren zum Teil deutlich und bieten mehr Repertoire an als manch kleinere Bühne. Ein gangbarer Weg? Hier ist größte Skepsis angebracht, kann leicht die „Geschichte vom kleinen Finger“ gespielt werden – weg ist weg, und hin ist hin!

Die bundesweit sich ausbreitende Entwicklung zu umfangreichen Sparmaßnahmen im Kulturbereich ist inzwischen über die Kompetenzen der Kommunen und Länder hinausgewachsen und zu einem kulturpolitischen Strukturproblem geworden. Das tatsächliche Problem: Kultur und Kulturpolitik sind im Verteilungskampf um Gelder (zu) schwach vertretene politische Leichtgewichte, lassen sich die Wurst vom Brot klauen und haben zu wenig politisch gewichtige Interessenvertreter.

Dabei kann die Kulturpolitik durchaus auf einem soliden Gesetzesfundament argumentieren. Laut Grundgesetz kümmert sich die Bundsregierung um die kulturellen Rahmenbedingungen und „übernimmt die Förderung der Kultur, wenn sie für das ganze Land von Bedeutung ist“. In der Verfassung von Nordrhein-Westfallen beispielsweise spricht Artikel 8 von „den kulturellen und sozialen Bedürfnissen des Landes“. Das Land ist nach Artikel 18 verpflichtet, „Kultur, Kunst und Wissenschaft […] zu pflegen und zu fördern“. Auch indirekt spielt die Kultur eine Rolle. Artikel 24 stellt fest: „Im Mittelpunkt des Wirtschaftslebens steht das Wohl des Menschen“.

Es ist deshalb richtig, wenn der Rat für kulturelle Bildung eine regelmäßige Berichterstattung zur Lage der kulturellen Bildung in Deutschland fordert, damit die politische und öffentliche Diskussion um nötige Entwicklungen mit harten Zahlen geführt werden kann. Zwar ist diese Forderung politisch durchaus zwiespältig, da sie auch „rückwärts“ genutzt werden kann. Aber wer politische Prozesse langfristig beeinflussen will, muss sich, ob er will oder nicht, der politischen Werkzeuge bedienen. Wenn, wie Landespolitiker aus Sachsen-Anhalt drohen, dass „alle Strukturen […] auf den Prüfstand“ müssen, sind damit keineswegs nur Kultureinrichtungen gemeint.

Vor diesem Hintergrund ist die UNESCO-Initiative zur Anerkennung „immaterieller Kulturgüter“ hilfreich und ausdrücklich zu loben. Wenn sich schon die international tätige und gegenüber dem Vorwurf von Parteilichkeit unverdächtige UNESCO über nationale Grenzen hinweg zu dem Aufruf genötigt sieht, gegen die Ökonomisierung aller Lebensbereiche zu wettern, ist etwas im Busch. Aus Anlass der europäisch-amerikanischen Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen weist die deutsche UNESCO-Kommission in ihrer B onner Resolution vom Mai 2013 die Betrachtung kultureller Güter als Wirtschaftsgüter zurück und betont ihre Bedeutung als Träger kultureller und gesellschaftlicher Werte. Sie möchte sicher stellen, „dass auch bei fortschreitender Deregulierung des Handels […] Kultur- und Medienpolitik sowie öffentliche Kunst- und Kulturförderung, einschließlich der Förderung von Kultur- und Kreativwirtschaft, […] weiterhin als politische Instrumente erhalten bleiben. […] muss der besondere Doppelcharakter von kulturellen und audiovisuellen Dienstleistungen als Kultur- und Wirtschaftsgut gewahrt bleiben“. Sie weist nachdrücklich darauf hin, dass solche Abkommen „einer informierten und breiten gesellschaftlichen Debatte bedürfen und nicht allein einer wirtschaftspolitischen Betrachtung unterworfen werden dürfen.“ Die deutsche UNESCO-Kommission erhebt damit eine der ganz wenigen Stimmen für eine Anerkennung der gesellschaftlichen Aufgabe der Kulturförderung und verdient jede Unterstützung. Die UNESCO-Kommission befindet sich in bester Gesellschaft.

Aus der Wissenschaft regen sich immer mehr Stimmen, die einem einseitigen neoliberalen Weltbild massiv entgegen treten. Der amerikanische Soziologe Richard Sennett warnt vor einer „effizienzgesteuerten Durchökonomisierung der Gesellschaft“ und plädiert für die Sicherung der „Teilhabemöglichkeiten (aller) an den sozialen und kulturellen Angeboten der Gesellschaft“. Der französische Kapitalismuskritiker Thomas Piketty macht Furore mit seinem Buch Das Kapital des 21. Jahrhunderts. Er sieht die kapitalistisch begründete Vermögensverteilung als Gefahr für unsere Demokratie und unsere Werte. Seine Kernfrage lautet: Täuschen die properen Wirtschaftsdaten Deutschlands darüber hinweg, dass die Gesellschaft sich spaltet? Denn: Noch immer leistet sich Deutschland Jahrgänge von Jugendlichen, bei denen fast ein Fünftel keinen Schulabschluss hat. Das werden die Abgehängten von morgen sein. Werden sie jemals ein Museum betreten, ein Theater besuchen, einen Kurs für ihre Weiterentwicklung buchen? Wer kann da noch eine persönliche Werteentwicklung erwarten?

Diese Argumente möchte man allen Stadtkämmerern, Parlamentariern in Gemeinderäten und Landtagen ins Stammbuch schreiben. Bereits heute lässt sich die soziale Verödung mancher Stadtteile von Duisburg über Halle an der Saale bis in manche Kleinstädte verfolgen, sterbende Stadtteile mit nicht mehr zu füllendem Leerstand befinden sich in einer Abwärtsspirale. Wer in solchen Situationen auch noch Schulen und Kultureinrichtungen wegspart, darf sich über eine Beschleunigung des Niedergangs nicht wundern, er trägt dazu bei!

Horst Dichanz, 17.5.2014

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Eckart Liebau ist Vorsitzender des
Rates für kulturelle Bildung, der eine
regelmäßige Berichterstattung zur Lage
der kulturellen Bildung in Deutschland
fordert.


Kultur statt Kohle: Walter Hirche ist
Präsident der deutschen UNESCO-
Kommission, die sich massiv gegen die
Ökonomisierung aller Lebensbereiche
wendet.


Eine effizienzgesteuerte
Durchökonomisierung der Gesellschaft
funktioniert nicht. Davor warnt der
amerikanische Soziologie Richard
Sennett.


Thomas Piketty glaubt, dass eine
kapitalistisch begründete
Vermögensverteilung eine Gefahr für
unsere Demokratie und unsere Werte
darstellt.