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KOMMENTAR

Dezember 2013


 


 

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Bitterer Vorgeschmack

Die Politiker des Landtags von Sachsen-Anhalt haben den Willen ihrer Auftraggeber, der Wählerinnen und Wähler, missachtet und finanzielle Kürzungen in der Kultur und in sozialen Bereichen vorgenommen, die existenzgefährdend für Kulturinstitutionen in dem Bundesland werden. Die tatsächlichen Folgen der Entkulturisierung eines ganzen Landes sind noch gar nicht absehbar.

GroKo ist Wort des Jahres geworden und hat damit diesen etwas merkwürdigen Ritterschlag der Deutschen Gesellschaft für Sprache erhalten. Würde Sachsen-Anhalt darüber im Moment abstimmen, hätte die dortige „GroKo“ aus CDU und SPD mit Ministerpräsident Reiner Haselhoff, CDU, alle Chancen, Unwort des Jahres zu werden. Vor allem bei den Kulturschaffenden hat diese GroKo, seit 2011 in Aktion, alle Chancen, ihren letzten Kredit zu verspielen. Als besonders „erfolgreich“ und kreativ erweist sich dabei Kultusminister Stephan Dorgerloh, SPD, mit seinen Sparplänen. Seit 1990 zogen insgesamt sieben Kultusminister durchs Land und haben es nicht geschafft, Sachsen-Anhalt aus den kulturpolitischen Negativ-Schlagzeilen heraus zu bringen – im Gegenteil. Am 14. Juni sieht die Mitteldeutsche Zeitung „die politische Klasse in Sachsen-Anhalt von der Kulturgesellschaft entkoppelt“ und entdeckt als „kulturpolitischen Umgangston hierzulande das Schweigen“.

Die Bühnen Halle führen in ihrer Pressechronik seit dem 13. Juni dieses Jahres mehr als 100 Beiträge der lokalen bis bundesdeutschen Presse auf, die sich mit dem Kulturkonzept von Sachsen-Anhalt und den Sparplänen von Kultusminister Dorgerloh befassen. Hier ist wohl alles gesagt und vieles gedacht – und führt doch über die politischen Fakten nicht hinaus. Mit der Kabinettsvorlage eines Strategiekonzeptes im „Landeskulturgesetz 2025“, das Dorgerloh am 30. September 2013 vorlegt, hat die heiße Phase begonnen, die der Landtag am 11. Dezember mit einer Kürzung von 6 Millionen Euro im Kultur- und 15 Millionen Euro im Hochschulhaushalt abschließt. Die Folgen sind schwerwiegend, wenn auch im einzelnen noch nicht abzusehen. Allerdings hat Dorgerloh seine Pläne schon näher beschrieben.

Nach dem üblichen Honig vom „reichen Kulturerbe“, der „sehr lebendigen Gegenwartskultur und Kulturszene“ und so weiter sowie dem Bekenntnis der Landesregierung „zum Erhalt, zur Pflege und Weiterentwicklung“ dieser Kulturlandschaft kommt der Minister zur Sache und spricht von einer „zeitgemäßen Kulturförderung“ für eine Bevölkerung, die seit 1990 um 20 Prozent abgenommen hat und im Planungszeitraum bis 2025 um weitere etwa 15 Prozent schrumpfen wird. Er verlangt von der Kulturszene, diesen Wandel mehr als bisher zu berücksichtigen, eine „nicht unerhebliche Herausforderung“ für Land und Kommunen – das ist wohl wahr.

„Die Landesmittel sind deshalb so auf die einzelnen Kulturbereiche aufzuteilen, dass einerseits die Vielfalt der Kulturlandschaft gesichert ist und andererseits neue Handlungsmöglichkeiten entstehen können.“ – das ist mehr als die Quadratur des Kreises. Aber Dorgerloh hat schon einen Schuldigen entdeckt, die „so genannte Hochkultur“, die besonders viel öffentliches Geld binde. „Eine wesentliche kulturpolitische Herausforderung besteht deshalb darin, neben der Finanzierung der Kulturinstitutionen genügend finanziellen Spielraum für die Förderung der freien Kulturszene sowie von innovativen Projekten zu erhalten.“

Damit der Minister nicht alle Asche auf seinem Haupt sammelt, hat er für Mitstreiter gesorgt. Der Landtag setzt 2011 einen Kulturkonvent ein. „Dieses zivilgesellschaftliche Gremium, in dem alle Kultursparten, die Hochschulen, Arbeitgeberverbände, Gewerkschaften und Kirchen vertreten waren“, legt im Februar 2013 nach einer Bestandsaufnahme Handlungsleitlinien mit 163 Empfehlungen vor. Nach dem Kürzungsbeschluss des Landtages dürfte ein Großteil dieser Handlungsleitlinien umgesetzt werden, direkt, ohne lange Vorlaufzeit, strikt und mit den geballten GroKo-Stimmen: Es wird durchregiert – und zwar „flexibel und modifizierbar“. Hinter drei Spiegelstrichen sind die Gemeinheiten versteckt, die jetzt exekutiert werden: „Kooperationen und Vernetzungen zu erweitern, Strukturanpassungen einzuleiten, die Zielgenauigkeit der Förderungen zu optimieren“. Wer ein wenig die finanzpolitische Nomenklatur beherrscht, versteht sofort: Hier geht es um Zusammenführung von Spielorten jeglicher Art, um großflächige Zusammenarbeit und Schließungen sowie die Durchsetzung weiterer Effektivierungen.

Das Kultusministerium hält die Theater- und Orchesterlandschaft in Sachsen-Anhalt „in ihrer Vielfalt und Dichte für bemerkenswert“ – immerhin, stellt aber zugleich fest, dass vom Land „kein Theater oder Orchester in Landesträgerschaft übernommen werden“ kann.

Die Unzufriedenheit mit dieser Politik geht quer durch alle Institutionen und Gruppierungen: Wulff Gallert, Grüne, sieht in Sachsen-Anhalt „eine Politik der Untertanen“; für Frank Hirschinger, Orchestervorstand der Staatskapelle Halle, ist der Kurs der Stadt-CDU „provinziell“, sie gebe sich „der Lächerlichkeit“ preis, konsequent tritt er aus und legt alle politischen Ämter nieder. Matthias Brenner, Intendant des Neuen Theaters Halle, entdeckt bei den Politikern ein „zutiefst irritierendes (Miss-)Verständnis von Politikern über Aufgabe und Sinn von Kultur“, er sieht „regierungsverantwortliche Politiker, die aktiv daran arbeiten, dieses Land seiner Kulturvielfalt zu berauben.“ Viele Sachsen-Anhalter, besonders natürlich die Kulturschaffenden, fragen sich ratlos: „Was soll aus einem Bundesland werden, dem der Anspruch auf Kultur entsagt wird?“

Die Antwort der Hallenser Bühnen ist einfach und gutgläubig: Trotzig richten sie auf ihrer Homepage die Spalte ein: „Unser Theater bleibt!“ Auch bei den Intendanten und manchen Lokalpolitikern ist noch Optimismus vorhanden, die Bevölkerung zeigt an allen Orten mit erstaunlicher Kreativität, wie kulturadäquater Protest aussehen kann.

Gerade meldet die SPD fast 76 Prozent Zustimmung ihrer Mitglieder zur GroKo im Bund. Der Kultur- und Wissenschaftssektor ist aufgefordert aufzupassen, dass sich der bittere Beigeschmack der GroKo aus Sachsen-Anhalt nicht auf die jetzt zu erwartende GroKo bundesweit ausbreitet. Um das zu verhindern, ist eine große KoKu, eine Koalition der Kulturschaffenden und -Rezipienten erforderlich, die immer und sofort lautstark und kreativ ihre Stimme und – bei den nächsten Wahlen – ihre Stimmen erhebt, wenn es um die Wahrung ihrer Interessen geht. Die Kulturpolitik in Sachsen-Anhalt wandelt ein Wort des Jahres 2013, „GroKo“ zum Unwort für Sachsen-Anhalt und einige weitere Bundesländer. Denn auch in Mecklenburg-Vorpommern, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen, in denen Sanierer, Effektivierer und Ökonomisierer am Werke sind, wird vielen Kultureinrichtungen im Kürzungskampf zwischen Kommunen und dem Land die Luft abgeschnürt. Das ist kurzsichtig, ja gefährlich! Kein Bundesland, keine Kultur kann auf Sinnstifter und Ideenproduzenten verzichten, die Auskunft darüber geben, warum und wofür Geld ausgegeben werden soll. Im Moment ehrt Deutschland, ehrt die Welt das Engagement und die Lebensleistung zweier sehr unterschiedlicher Politiker, Willy Brandt und Nelson Mandela. Beide überzeugten und agierten nicht über ausgeglichene Haushalte, sondern mit Ideen und Visionen – über ihren Tod hinaus.

Horst Dichanz, 15.12.2013

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Reiner Haselhoff, CDU, ist als
Ministerpräsident eigentlich für das
Wohl der Sachsen-Anhalter
verantwortlich. Stattdessen sorgt er
dafür, dass das Bundesland kulturell
ausblutet.


Stephan Dorgerloh, SPD, ist bis zur
nächsten Wahl Kultusminister des
Landes Sachsen-Anhalt und hätte sich
als solcher eigentlich um den Erhalt
der Kultur im Lande zu kümmern.


Seit 2011 gibt es im Land Sachsen-
Anhalt einen Kulturkonvent, der
Empfehlungen für die Kürzungspolitik
erarbeitet hat.


Wulf Gallert, Grüne, sieht im Stil der
Landesregierung eine „Politik der
Untertanen“.


Frank Hirschinger, Orchestervorstand
der Staatskapelle Halle, hat sich
enttäuscht und lautstark von der
Parteipolitik abgewendet. Für ihn steht
fest, dass der demokratische
Widerstand weitergehen muss.