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KOMMENTAR

September 2014


 


 

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Und es geht schon wieder los

Die 120. Spielzeit am Volkstheater Rostock ist noch nicht eröffnet, da sind die Querelen um das liebe Geld schon wieder in vollem Gange. Die immer gleichen Verhaltensmuster und Verteidigungsreflexe zeigen vor allem eines: Politiker stehen nicht dafür, das Wohl ihrer Wähler zu vertreten, sondern ihre eigenen Interessen durchzusetzen.

Lassen wir das Gemeinwohl einfach mal außen vor. Vergessen wir schlicht, dass eine kulturelle Infrastruktur für eine Stadt die gleiche Bedeutung hat wie ihre sozialen und wirtschaftlichen Säulen. Dann bleiben in den Kommunen immer noch die Machtinteressen übrig. Und für die sind dann die Oberbürgermeister zuständig. Erst allmählich begreifen auch die Bürgerinnen und Bürger, dass mit der Prosperität einer Stadt nicht das Wohlergehen der oberen Zehntausend gemeint ist. Der frühere Oberbürgermeister von Düsseldorf beispielsweise hat nicht rechtzeitig bemerkt, dass zehntausend Wohlbetuchte für den erfolgreichen Ausgang einer Wahl zu wenig sind. Für seine einseitige Interessenlage hat er dann die Quittung von denen bekommen, für die Geld nicht alles bedeutet. Machtversessene Politiker haben alle eines gemeinsam: Sie sind nicht lernfähig. Das zeigt die Geschichte. Und die jüngere Entwicklung zeigt noch anderes. Die Bürgerinnen und Bürger sind nicht mehr bereit, unter dem vorgeschobenen Argument von Sparzwängen alles hinzunehmen. Wo die Politik die Geldhähne absperrt, darf sie nicht mehr damit rechnen, dass das gemeine Volk willenlos zuschaut. Immer häufiger suchen die Menschen nach kreativen Lösungen, mit denen sie den Entzug finanzieller Mittel seitens der Regierenden unterlaufen können.

Das Volkstheater Rostock gehört zu den arg gebeutelten Kulturträgern in Mecklenburg-Vorpommern, die immer weiter in die finanzielle Enge getrieben werden. Um drohenden Kürzungen ohne weitere Einschnitte zu begegnen, hat der Aufsichtsrat des Theaters beschlossen, einen Haustarifvertrag zu verabschieden. Hinter dem Begriff verbergen sich nicht etwa besonders komfortable Bedingungen für Schauspieler, sondern in der Regel bedeutet ein Haustarifvertrag verminderte Löhne. Das wird im Allgemeinen, und im Besonderen von den Gewerkschaften, nicht gern gesehen, weil eine solche Lösung als „unsozial“ und „ungerecht“ empfunden wird. Bei oberflächlicher Betrachtung ist das auch sicher so. Wenn aber ein erträglicher Lohnverzicht über einen beschränkten Zeitraum dazu führt, beispielsweise die Gesamtheit aller Arbeitsplätze eines Betriebes – in diesem Fall bis 2020 – zu retten, klingt das eher nach Solidargemeinschaft als nach Arbeitgeber-Repressalien. Also alles in bester Ordnung. Schließlich ist es nicht nur im Interesse des Theaters, die vier vorhandenen Sparten zu erhalten, sondern eine ganze Stadt ist davon betroffen. Und einem Oberbürgermeister sollte qua Amt daran gelegen sein, die kulturelle Vielfalt seiner Stadt unter allen Umständen aufrechtzuerhalten. Das allerdings sieht der parteilose Oberbürgermeister Roland Methling ganz anders und findet in Landesbildungsminister Mathias Brodkorb von der SPD anscheinend einen guten Wasserträger. Die favorisieren die Lösung, zwei der vier Sparten zu schließen. Dazu sind eigens Gutachten von der Stadt in Auftrag gegeben worden. Nachdem die Deutsche Orchestervereinigung die Pläne des Theaters unterstützt hat, greift der Oberbürgermeister zu härteren Bandagen und untersagt kurzerhand der Theaterleitung Verhandlungen über Haustarife.

Die Empörung schlägt hohe Wellen. „Es ist unglaublich, mit welcher kulturfeindlichen Energie und Ignoranz der Rostocker Oberbürgermeister gegen seine Künstlerinnen und Künstler vorgeht“, sagt Gerald Mertens, Geschäftsführer der Deutschen Orchester-Vereinigung. Eva-Maria Kröger von den Linken und Vorsitzende des Aufsichtsrats wirft Methling und Brodkorb gar vor, die Öffentlichkeit mit Halbwahrheiten täuschen zu wollen, da „beide sowohl die städtischen als auch die Landeszuschüsse für das Volkstheater erheblich kürzen wollen“.

All das kennen wir bereits aus anderen Städten. Mal ist der Kulturminister der Buhmann, mal hält ein Bürgermeister seinen Kopf hin. Geschehen wird erfahrungsgemäß beiden nichts. Aber immer weniger Bürgerinnen und Bürger sind willens, die politische Willkür hinzunehmen – und was in Dessau mit knapper Not noch gelungen ist, wird in Rostock schwieriger werden. Weil wir zwar viele Werte verloren haben, aber uns die Kultur, für die wir in der Welt geachtet werden, nicht weiter schmälern lassen wollen. Nicht die Kulturschaffenden sind in erster Linie bedroht, sondern unsere Gesellschaft wird im Kern getroffen. Längst haben wir gesehen, welche Folgen der zunehmende Flächenbrand hat: Verkarstete Landschaften, in denen die Kultur sich in Jahrzehnten nicht erholen wird. Es betrifft also nicht die Stadt und das Volkstheater Rostock unter der Ägide eines machtgeilen Oberbürgermeisters. Es betrifft uns alle.

Michael S. Zerban, 18.9.2014

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Der parteilose Oberbürgermeister
Roland Methling hat seinen Auftrag
offenbar nicht verstanden.


Mathias Brodkorb, Bildungsminister
und Mitglied der SPD, sekundiert lieber
dem Oberbürgermeister als seinem
Bildungsauftrag nachzukommen.


Eva-Maria Kröger vertritt die Linken im
Hauptausschuss der Stadt Rostock und
sitzt dem Aufsichtsrat des
Volkstheaters vor. Für die Haltung
Mehtlings findet sie deutliche Worte.