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KOMMENTAR

August 2015


 


 

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Volkstheater in Not, Kulturpolitik am Ende

In Mecklenburg-Vorpommern gärt es mächtig. Gelder für Kultureinrichtungen werden schneller gekürzt, als die Betroffenen sich auf die neue Situation einstellen können. Langsam wird es richtig eng. Rezepte, um aus dem Teufelskreis zu entkommen, gibt es offenbar nicht.

Die Zeiten, in denen das Volkstheater Rostock positive Schlagzeilen machte und an der Ostseeküste als kultureller Leuchtturm wahrgenommen wurde, sind schon länger vorbei. Inzwischen gilt Rostock als die Stadt, die in kürzester Zeit die meisten Intendanten entlassen und zum Teil wieder eingestellt hat. Mindestens seit 2003 haben immer neue Meldungen über Haushaltskürzungen, Intendanten-Entlassungen, Sparten-  und Spielstätten-Schließungen den Ruf der Stadt nachhaltig beschädigt und der Theaterarbeit in diesem auch baulich maroden Theater den Boden entzogen. Von einer solide fundierten und planungssicher finanzierten Theaterarbeit kann schon lange keine Rede mehr sein. „Ein Sterben auf Raten. Wer will denn da noch mit klarem Kopf in das heruntergekommene Haus gehen?“ fragt ein Theaterkenner in einem Blog. Da muss sich jeder Beobachter an den Kopf fassen und fragen: Was ist los in Rostock – nix? Gäbe es nicht die Hochschule für Musik und Theater und die Uni, sähe es kulturell dort wirklich finster aus.

Die Liste der neuen Strukturvorschläge, Sparauflagen, Haushaltskürzungen, Entlassungen und Kündigungen zeichnet ein Bild, das dunkler und perspektivloser nicht sein kann. Klare künstlerische Vorstellungen, Entwicklungsperspektiven, bauliche und finanzielle Planungssicherheit, gar ein mehrfach beschlossener Neubau – solche Wünsche, Petitionen, gar Forderungen muten in Rostock wie Fieberphantasien an. „Das wahre Theater wird eben in Rostock, der mit 200.000 Einwohnern einzigen Großstadt Mecklenburg-Vorpommerns, seit Jahrzehnten von den Politikern veranstaltet“, spottet der Deutschlandfunk. Es wirkt tatsächlich so, als gäbe es keine durchsetzungsstarken Kulturpolitiker in der Stadt und dem Land, als wollten die Politiker dieses Theater in der einzigen Großstadt Mecklenburg-Vorpommerns vom Halse haben. Die politischen Fraktionen, die Kulturausschüsse, die Fachressorts überlassen die entscheidende Arbeit externen Agenturen, die gerne noch ein Gutachten erstellen – fern von Erfahrungen und Erkenntnissen aus der Kulturszene. „Diese Stadtregierung ist eine Schande für eine Stadt dieser Größenordnung und für die Kultur ganz Mecklenburg-Vorpommerns“, schimpft ein Rostocker Bürger in Nachtkritik.

Das alles ist schon zigmal gesagt, geschrieben und mit Zahlen belegt worden. Die Protestkräfte der Rostocker, immer wieder aktiviert, erlahmen; Leserzuschriften, Petitionen, Media-Einträge und Blogs werden immer widersprüchlicher. Der von Oberbürgermeister Roland Mehtling vorübergehend entlassene und dann wieder eingestellte Intendant Sewan Latchinian, der nicht gerade als Leisetreter agiert, sitzt in der Zwickmühle. „Will er weiter Intendant in Rostock bleiben, müsste er die Beschlüsse zur Umstrukturierung des Hauses mittragen. Er würde dann wortbrüchig – sich selbst gegenüber und gegenüber denen, die in den letzten Wochen für ihn demonstriert haben“, wird das im Internet kommentiert. Aus der Ferne betrachtet nähert sich Mecklenburg-Vorpommern dem Eindruck einer Wüste mit der Oase Schwerin, das sich im Glanz der goldenen Schloss-Parlaments-Kuppel sonnen kann – noch.

Die Situation scheint gründlich verfahren, der Kulturkarren steckt tief im Dreck, das Theaterschiff ist ausgerechnet in einer Hansestadt hart auf Grund gelaufen. Kulturpolitiker mögen trefflich darüber streiten, ob der Spielplan, die künstlerischen Leistungen oder die vielfach ungünstigen Ausgangsbedingungen Grund für eine Auslastung des Volkstheaters von etwa 67 Prozent in der letzten Spielzeit bis zum 31. Mai 2015 sind und ob das „ausreicht“. Nun beschloss die Rostocker Bürgerschaft, das Tanz- und Musiktheater aus dem Programm des Rostocker Volkstheaters zu nehmen und zu schließen. In der irreführenden Sprache der Politik heißt das, in ein „2+2-Modell“ zu überführen. Außerdem soll die Kooperation mit anderen Theatern verstärkt werden. Dass damit ein Zusammenschluss unter dem Dach von Schwerin gemeint ist, wissen alle Beteiligten, in Neudeutsch heißt das „Abwicklung von Oper und Tanz“.

Doch es gibt noch weitere Großbaustellen in Mecklenburg-Vorpommern: Die Theaterstandorte Neubrandenburg und Neustrelitz sollen mit Stralsund und Greifswald fusionieren. Die Politik denkt über eine mögliche Herabstufung des einzigen verbliebenen A-Orchesters Mecklenburg-Vorpommerns, die Norddeutsche Philharmonie, zum B-Orchester nach, um Gelder einzusparen.

Die Neubrandenburger Stadtvertreter haben am 16. April dieses Jahres den Weg zum „Staatstheater Nordost“ freigemacht und mit großer Mehrheit dem Eckwertepapier des Schweriner Kultusministeriums zugestimmt. Bis 2020 sollen Theater und Orchester Neubrandenburg/Neustrelitz mit dem Theater Vorpommern in Stralsund/Greifswald bei einer Landesbeteiligung fusioniert werden. Das kostet 65 von den bisher 485 Stellen. Die Publikumsreaktionen lassen an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: „Demokratie heißt auch, dass Ihr die Politiker, die gewählt wurden, auch wieder abwählen könnt und müsst…“ und Jagt endlich diesen Herrn Brodkorb aus dem Amt, er hat schon zu viel in seinem Amt verbockt“ sind nur zwei Beispiele der Kommentare, mit denen die Bürger ihrem Ärger Luft machen. Die Region trommelt mit viel Erfolg für Alternativen, sie präsentiert über 3000 Unterschriften.

Selbst Kulturstaatsministerin Monika Grütters vom Bund vergisst ein wenig die diplomatische Contenance. Die Vielfalt der deutschen Theaterlandschaft, im letzten Jahr noch durch die UNESCO zum Kulturerbe erhoben, „gelte es unbedingt zu schützen. Notfalls auch aktiv seitens des Bundes, ungeachtet der Kulturhoheit der Länder“. Wer nämlich glaube, durch Kulturabbau marode Haushalte sanieren zu können, „der ist auf dem Holzweg“.

Doch die beliebte Politikerschelte reicht nicht mehr aus, aus den Reihen von Theatermachern selbst kommt ungewohnte Kritik. „Es steht dabei die Finanzierung der öffentlich-rechtlichen Theater in der Kritik. Sind die Zuschüsse noch zu rechtfertigen? Und wenn ja wodurch?“ fragt Regisseur Daniel Ris provokant auf der Intendantenkonferenz 2013. Die Ursachen scheinen vielfältig zu sein. „Bühnenverein und Gewerkschaft hätten das Theater, wollte es nicht Entlassungen vornehmen, in die Insolvenz getrieben“, sagt Martin Eich. Die Kritiker, sachkundig und nüchtern denkend, sehen im Deutschen Bühnenverein eine zur „Traditionskompanie“ mutierte Organisation. Da wundern sich nicht nur Kulturpolitiker über die Frage mancher Kulturschaffenden. „Welchen Auftrag erhält das Theater vom Bürger bzw. von der Politik?“ Einige aufgewachte Intendanten fragen nun ihre Kollegen und sich selbst: „Was für ein Theater wollen wir?“ formuliert Ris das Unbehagen. Wer weiteres Theatersterben verhindern will, muss neue Ansätze suchen, neue Formen erfinden. „Theatertode auf Raten werden derzeit von der Politik in vielen Regionen der Kulturnation Deutschland inszeniert“, ist im Tagesspiegel zu lesen. Ris´ Vorstellungen einer neuen Unternehmensethik im Kulturbetrieb mögen ein ungewohnter Ansatz sein, ihr Ziel ist aber die kulturpolitische Stärkung der Theater. Schon eine „gemeinsame Erklärung zum Führungsverständnis der Intendantengruppe des Deutschen Bühnenvereins“ wäre nach seiner Einschätzung ein wichtiges kulturpolitisches Zeichen. – Noch ist das Echo auf diese „Neuinszenierung“ verhalten, sie phantasiereich aufzunehmen wäre eine kreative Leistung der Kulturszene.

Horst Dichanz, 4.8.2015

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Sewan Latchinian hat ein schweres
Amt übernommen, vorübergehend
auch schon wieder abgeben müssen.
Er soll in Rostock das Volkstheater
leiten.


Der Landesminister für Kultur kommt
nicht aus der Kritik: Mathias Brodkorb
(SPD) setze sich zu wenig für die Kultur
ein, heißt es.


Ordnungsrufe helfen kaum: Monika
Grütters (CDU)
mahnt dennoch
öffentlich, nicht weiter an der Kultur
zu sparen.


Er will auch die Kulturschaffenden in
die Pflicht nehmen: Daniel Ris fragt,
was wir noch für ein Theater wollen.