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KOMMENTAR

Juni 2013


 


 

zurück       Leserbrief

Strukturen in der Politik auf den Prüfstand

Im Osten gehen in den Theaterhäusern allmählich die Lichter aus. An den mittlerweile kleinsten Budgets beißen sich die Politiker fest, um noch ein paar Euro zu sparen. Wie oft das eine Milchmädchenrechnung ist, scheint in der politischen Landschaft überhaupt nicht aufzufallen. Auch die Konsequenzen einer vehementen Kürzungspolitik werden gar nicht erst berücksichtigt. Eine gefährliche Entwicklung.

Es brennt in Sachsen-Anhalt, es brennt in Mecklenburg-Vorpommern, in Nordrhein-Westfalen…, immer noch und immer wieder: Nach dem Willen der Landesregierung in Magdeburg ist die Schließung von Sparten und ganzen Häusern unausweichlich. Kultusminister Dorgerloh (SPD) stellt in der Mitteldeutschen Zeitung fest: „Wir werden uns diese Theaterlandschaft nicht mehr leisten können…. Es (wird) in einem Land mit künftig zwei Millionen Einwohnern keine drei Vollspartenhäuser geben.“ Nach Meinung der Landespolitiker ist es so weit: „Alle Strukturen müssen auf den Prüfstand“. Ein weiterer Länder-Wackelkandidat ist Mecklenburg-Vorpommern, wo die Kürzungsabsichten der Landesregierung inzwischen aus Rostock und Schwerin Konkurrenten gemacht haben. Fatal! Aus vielen Städten von Dessau bis Duisburg, von Gera bis Köln lässt sich Ähnliches berichten, die Liste wird immer länger, sie verdichtet sich zu einem bundesweiten gefährlichen Trend.

Auch die Lösungsvorschläge ähneln sich: Kürzungen der Ausgaben auf allen Ebenen, Schließung von Sparten, Auflösung von Orchestern, Umstrukturierungen und Kooperationen unterschiedlichster Art. Die Reaktionen sind übersichtlich und kalkulierbar: Wütende Interviews der Intendanten, offene Briefe an Politiker aller Ebenen, Teilstreiks der Mitarbeiter vor und in den Häusern, Demonstrationen, Solidaritätsveranstaltungen von Freunden, Proteste der großen Künstlergewerkschaften, des Deutschen Bühnenvereins und von Oppositionsparteien. Die Auswahl bleibt übersichtlich, das Pulver wird immer feuchter, weil jedes Haus - völlig zu Recht - widerspricht und protestiert. Am ehesten scheinen noch öffentliche Großdemos und Proteste Eindruck zu machen und gewisse Wirkungen in der Politik zu haben. Das zeigen die vehementen öffentlichen Proteste in Dessau, Duisburg, Halle, Schwerin und anderswo. Doch die Wirkung all dieser taktischen Maßnahmen, die als einzelne sinnvoll, verständlich und notwendig sind, bleibt angesichts politischer Willkür ohne Durchschlagskraft. Und das passiert in einem der reichsten Länder der Erde. Da stimmt etwas nicht! Natürlich ist genügend Geld da, unsere Haushaltsbudgets steigen von Jahr zu Jahr. Also geht es nur, kann es nur um die Verteilung der Finanzen gehen. Das ist der Knackpunkt.

Die Argumente vom „Sahnehäubchen“, von den freiwilligen Leistungen der Länder und Kommunen, der Standortbedeutung, der Arbeitsplatzsicherung und schließlich der Strukturbedeutung von Kultur sind alle richtig, aber verbraucht. Die Hinweise auf die Notwendigkeit neuer Strukturen, die in der Theaterlandschaft fast täglich kolportiert werden, meinen immer die Minderung der Substanz und Kosten. Sie greifen viel zu kurz. Auch der Aufruf der Proteste 5vor12 in Sachsen-Anhalt “Kultur ist eine der wichtigsten und wertvollsten Ressourcen, die das Land Sachsen-Anhalt besitzt“, vergisst, die politischen Konsequenzen zu ziehen. Genau das kritisiert der Intendant Axel Köhler der Hallenser Oper bei Halles Oberbürgermeister Bernd Wiegand und hält diesem ein „Missverständnis von Kultur“ vor. Die bundesweit sich ausbreitende Entwicklung zu umfangreichen Sparmaßnahmen im Kulturbereich ist inzwischen über die Kompetenzen der Kommunen und Länder hinausgewachsen und zu einem kulturpolitischen Strukturproblem geworden. Das tatsächliche Problem: Kultur und Kulturpolitik sind „Leichtgewichte“, sind im Verteilungskampf um Gelder (zu) schwach vertreten, lassen sich die Wurst vom Brot klauen und haben zu wenig politisch gewichtige Interessenvertreter.

Längst nicht mehr alle Kommunen können noch ihre freie Spitze, die zwischen fünf und zehn Prozent des Gesamthaushaltes liegt, nach eigenen Wünschen gestalten; vielen ist auch dieser kleine Rest durch die auferlegte Haushaltsaufsicht genommen. Anteile der kommunalen Kulturhaushalte um zwei Prozent des Gesamtetats gelten als normal, über fünf Prozent als reiner Luxus. Da bleibt für alle wohlgemeinten taktischen Protestmaßnahmen scheinbar wenig oder gar kein Spielraum, wie die Argumente aus dem Landtag von Sachsen-Anhalt belegen wollen. Wenn dann Sachsen-Anhalt und die Stadt Halle alternativlos ihre mit weltweitem Renommee arbeitenden Händel-Festspiele streichen, stehen Spareffekt und touristischer Schaden in keinem vernünftigen Verhältnis mehr. Es werden Peanuts gestrichen – um welchen Preis! Solche völlig unangemessenen und wirtschaftlich sinnlosen Entscheidungen müssen Kunstvertreter auch in Zukunft mit allen Mitteln vor Ort verhindern. Sie kennen am besten den Schaden, den solche kurzatmigen Entscheidungen anrichten, und wissen, wie lange es dauert, solche Strukturen langfristig und mit viel Mühe und Geld wieder aufzubauen .

Das Hauptproblem der sich aufschaukelnden Streichwelle liegt nach wie vor in der Randständigkeit der Kultur im politisch-finanziellen Machtkampf. Nach den Pflichtleistungen wie beispielsweise dem riesigen Sozialbereich, der Verkehrspolitik mit dem Investitionsrückstau im Straßenbau, dem Gesundheitswesen und so weiter kommen dann noch die freiwilligen Leistungen und darin, … ach ja, die Kultur! Der Bildung, von den Kindergärten über die Schulen bis hin zu den Hochschulen, geht es kaum besser. Das haben inzwischen einige Kulturvertreter erkannt und arbeiten heftig an einer Koalition zwischen diesen beiden Bereichen. So konnte man in Dessau bereits gemeinsame Protestaktionen von Kulturvertretern mit benachbarten Hochschulen beobachten. Andere Häuser arbeiten an einer engen Kooperation mit den Schulen und beeindrucken mit umfangreicher und in der Öffentlichkeit wahrgenommener, theaterpädagogischer Arbeit. Andere Intendanten finden Kooperationspartner für einzelne Projekte in der regionalen Wirtschaft, im Tourismus oder im Kreativbereich. Hier zeichnet sich ein strategisches Ziel ab, an dem alle Kulturschaffenden mitwirken müssen, wenn sie aus der Tagespolitik und den von- der- Hand-in-den-Mund-Haushalten wegkommen wollen. Es geht um die Veränderung der immer wieder wie eine Entschuldigung vorgehaltenen so genannten „Sachzwänge“, um eine neue Gewichtung kultureller Belange, die ihre eigenen Sachzwänge durchsetzen müssen. Sachzwänge sind politisch gemacht! Sie können dauerhaft nur verändert werden bei einer Verbreiterung der gesellschaftlichen Basis der konzeptionellen und kulturellen Arbeit. Hierzu gehört eine gezielte Interessenpflege und Lobbyarbeit zur Politik. Wie sollen die Interessen von Theaterhäusern und Künstlern in Vertragsentwürfen oder Ähnlichem auftauchen, wenn sie der Politik nicht vorformuliert werden – von Kulturlobbyisten! Natürlich ist das kein Kurzzeitprogramm, aber konkurrierende Politikbereiche bestätigen bis in jüngste Zeit, dass Politik heute so funktioniert. Leichter gesagt als getan, sicher! Aber Brecht, Britten oder Shakespeare enthalten auch politische Botschaften, die über die Duldung hinausgehen.

Erfahrene Wahlkämpfer folgen der harten Erfahrung „Mit Kultur und Bildung kann man keinen Wahlkampf gewinnen!“ Das lässt sich auch in Deutschland an zahlreichen Wahlen nachvollziehen. Es muss aber nicht so bleiben. So genannte „Wutbürger“ haben schon einige Großprojekte bewegt, nicht immer mit Erfolg, aber mit neuem Bewusstsein. Sie sind in relativ kurzer Zeit zu einer neuen politischen Größe neben den Parteien geworden. Sie werden wahrgenommen . Wie wäre es mit „Wutkultur“? Matthias Brenner, Intendant der Kulturinsel in Halle, warnt die Politik: „Wir bleiben gefährlich“. So lange Kulturhäuser sich gegenseitig das Wasser abzugraben versuchen, wie derzeit in Münster, wo Ulrich Peters, Intendant des (vormals Städtischen) Theaters, sich über die Qualität der Freien Theater mokiert, haben sie im politischen Verteilungskampf um Haushaltsanteile keine Chance. Ein Zusammengehen mit Bildungsinstitutionen jeglicher Art könnte ihr politisches Gewicht erheblich steigen und ihre Basis verbreitern. Alle tagespolitisch notwendigen Proteste, Streiks und Demonstrationen müssen in eine Langzeit-Politik eingebunden werden, um auf Dauer dem Sektor Bildungskultur ein größeres strukturelles Gewicht in der Politik zu geben.

Die Zusammenkunft von nahezu 250 Intendanten und Direktoren deutscher Theater im Mai in Kiel hat sich dagegen gewehrt, Theater mit sozialen Aufgaben zu überfrachten. Richtig! – Es sind so viel kulturpolitische Aufgaben anzupacken. Kultur zu vernichten, ist weder eine Lösung, noch ist der daraus entstehende Schaden absehbar. Er wird immens.

Horst Dichanz, 15.6.2013 

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Stephan Dorgerloh (SPD) ist
Kultusminister von Sachsen-Anhalt und
treibt den Abbau der Kultur im Lande
massiv voran.


Immer mehr Bürger leisten
Widerstand gegen die Kürzungen
in der Kultur. Und das ist gut so. Ist
das Bewusstsein von der Notwendigkeit
der Kultur erst einmal versiegt, wird es
möglicherweise Generationen dauern,
bis ein funktionierendes Kultursystem
wieder hergestellt ist.


Mit Spontanaktionen der Häuser wird
kurzfristig Öffentlichkeit hergestellt.
Langfristig hilft wohl im derzeitigen
System nur eine vernünftige Lobby-
Arbeit.


Dorgerloh hat vollkommen Recht,
wenn er intoniert: "Alle Strukturen
müssen auf den Prüfstand." Nur in
der Reihenfolge irrt er: Zuallererst sind
die politischen Strukturen in Frage zu
stellen, die sich so kulturfeindlich
verhalten.


Bei der kommenden Bundestagswahl
können Bürgerinnen und Bürger den
Parteien zeigen, was sie von deren
Kulturpolitik halten. Das ist effizienter,
als in letzter Sekunde auf die Straße
zu gehen.