Fundus   Kommentar    Backstage     Medien     Medientipps     Kontakt     Impressum    Wir über uns  
   Dossier    Kleinanzeigen     Links     Facebook     Partner von DuMont Reiseverlag  
     

KOMMENTAR

April 2013


 


 

zurück       Leserbrief

Lippenbekenntnisse

Dass sich Politiker auf allen Ebenen gern mit einer positiven Einstellung zur Kultur brüsten, ist Legende. In der Praxis stößt man da schnell an die Grenzen, in einigen Fällen sogar an die Grenzen des Demokratieverständnisses.

Bis heute hat eigentlich niemand richtig verstanden, warum wir alle plötzlich in der Krise leben. Die Steuereinnahmen, zumindest in Deutschland, sind so hoch wie nie. Trotzdem brechen die Systeme zusammen. Wo früher Straßen verliefen, herrschen heute Zustände, die wir ehedem als Feldwege bezeichnet haben. An allen Ecken und Enden, so heißt es, müsse gespart werden. Also mindestens da, wo es die „kleinen Leute“ betrifft. Soziale Leistungen werden permanent gekürzt, so lange die Gerichte nicht einschreiten. Aber genug der „Stammtischparolen“. Kulturelle Subventionen werden bis zum Existenzverlust von Theatern und Museen gestrichen. Bibliotheken, die einst dazu geschaffen wurden, die Volksbildung zu heben, erheben inzwischen Jahresbeiträge, die von den Betroffenen nicht mehr geleistet werden können.

Auf der anderen Seite zitieren wir immer wieder gern Politiker, die sich für die Kultur einsetzen. Jüngstes Beispiel dafür ist José Manuel Barroso, EU-Kommissionspräsident, der dafür eintritt, auch in Zeiten der Krise (sic!) in die Kultur zu investieren. Er sieht die Oper als „eine Illustration par excellence für den anhaltenden Dialog über Grenzen hinweg“. Recht hat er. Ob er es so meint, wie er es sagt, wird die Zukunft zeigen. Die nordrhein-westfälische Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hat schon mal gezeigt, wie es nicht geht.

In ihrer Regierungserklärung formuliert Kraft: „Kunst und Kultur sind kein Luxus – und dürfen es gerade in schwierigen Zeiten nicht sein.“ Kaum ist sie aus dem Scheinwerferlicht der Kameras herausgetreten, wird Klartext geredet. Da soll der Kulturhaushalt des Landes Nordrhein-Westfalen massiv zusammengestrichen werden. Opernnetz hat nachgefragt – und erfahren, dass nordrhein-westfälische Politiker nicht nur ein gestörtes Verhältnis zur Politik, sondern gleich auch zur Demokratie haben.

Nachdem wir der Ministerpräsidentin drei Fragen vorgelegt haben, herrscht Schweigen. Nach knapp drei Wochen kommt die Antwort, Kraft sei als „Generalistin“ nicht in der Lage, solch konkrete Fragen zur Kultur zu beantworten. Man habe aber die Fragen an die Kulturministerin weitergeleitet. Aha? Statt einer Antwort von Ute Schäfer, persönlicher Freundin von Hannelore Kraft und zuständig für die Kultur in Nordrhein-Westfalen, kommt ein Anruf von ihrem Pressesprecher. Man könne diese Fragen nicht beantworten, es bestehe aber die Möglichkeit, andere Fragen zu stellen.

Wenn Politiker auf dieser Ebene angekommen sind, ist es an der Zeit abzutreten. Es ist nicht Sache der Politiker, über die Qualität von Fragen zu entscheiden und selbstherrlich zu befinden, sie zu beantworten. Es ist ihre demokratische Aufgabe, auch kritische Fragen zu beantworten. Auch wenn sie es nicht gewohnt sind, weil sie allzu selbstherrlich die Fragen der Hofberichterstattung in den so genannten Massenmedien ins Mikrofon diktieren. Wenn es so weit gekommen ist, brauchen wir nicht mehr über die Frage der Kultur zu diskutieren. Dann ist es an der Zeit, Politiker selbst in Frage zu stellen. Wer das demokratische System nicht mittragen will, ist als Politikerin nicht am rechten Platz. Bleibt zu hoffen, dass Herr Barroso es anders meinte.

Michael S. Zerban, 6.4.2013

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


EU-Kommissionspräsident José
Manuel Barroso setzt sich für den
Erhalt der Kultur in ganz Europa ein.
Ob sein Wort in der Praxis hält, wird
sich zeigen.


Hannelore Kraft, Ministerpräsidentin
des Landes Nordrhein-Westfalen, ist
mehr der Macht als der Kultur
verpflcihtet.


Ute Schäfer, eigentlich für die Kultur
des Landes Nordrhein-Westfalen
zuständig, duckt sich weg, wenn es
ernst wird.