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KOMMENTAR

April 2015


 


 

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Unverantwortliche Ränkespiele

Längst haben viele Politiker das Handeln zum Nutzen des Volkes gegen die Beschäftigung mit dem Hilfsmittel Geld und die Erweiterung der eigenen Machtfülle eingetauscht. Das ist leichterdings möglich, müssen sie sich für ihr Handeln schließlich nicht verantworten. Wenn es ganz schlecht läuft, werden sie nicht wiedergewählt. Egal, der Lobby-Job wartet schon. Dass allerdings Politiker ganze Regionen kulturell ausbluten, sollte nicht ungeahndet sein dürfen.

Die ukrainische Millionenstadt Donezk bietet ein Bild der Verwüstung. Die Menschen sind kriegsmüde. Es gibt wenig Lichtblicke derzeit. Aber zwei Mal in der Woche, jeweils um 13 Uhr, gibt es ein wenig Lebensfreude. Dann startet in der Oper Kálmáns Zirkusprinzessin. In den fantasievollen Kulissen einer anderen Inszenierung spielen und singen die Darsteller in selbstgenähten Kostümen vor vollem Haus.

Offenbar geht es den Deutschen viel zu gut, als dass sie ihren Wohlstand genießen könnten. Anders ist kaum mehr zu erklären, was sich derzeit in Schleswig und Rostock abspielt. Während im Norden offenbar eine persönliche Fehde zweier Politiker gleich ein ganzes Landestheater in seiner Existenz bedroht, das für die Versorgung zahlreicher Ortschaften notwendig ist, wird in Mecklenburg-Vorpommern in bester DDR-Mentalität ein Intendant fristlos gekündigt, vordergründig, weil er mit seiner Meinung nicht hinter dem Berg hält.

Doch der Reihe nach. Das Theatergebäude in Schleswig muss abgerissen werden. Und wird abgerissen. 2013 wird der damalige – durchfinanzierte – Theaterneubau im Stadtrat gekippt. Dieser Tage lässt Kulturministerin Anke Spoorendonk via Pressemitteilung verkünden, dass das Land für eine Finanzierung eines Neubaus nicht zur Verfügung steht. Und erteilt damit dem Oberbürgermeister von Schleswig eine Klatsche. Eine persönliche Fehde, die zur Folge haben könnte, dass die übrigen Beteiligten aus dem Landestheater Schleswig-Holstein aussteigen. Denn mit dem Theatergebäude in Schleswig entfällt eine wichtige Produktionsstätte. Das wäre dann 2017 das Ende des Landestheaters. Kiel, Lübeck und Hamburg könnten sich auf neue Besucherströme freuen. Nur wird das auf Dauer nicht funktionieren.

In Rostock wird es noch bunter. Da wehrt sich Sewan Latchinian, Intendant am Volkstheater Rostock, gegen die Pläne des Oberbürgermeisters Roland Methling, aus dem Theater ein Zwei-Sparten-Haus zu machen. Prompt wird der Intendant fristlos gekündigt. Das weckt Erinnerungen an die DDR, wo unliebsame Personen mit scheinheiligen Begründungen aus ihren Positionen entfernt wurden. Offenbar bedient man sich dieser Praktiken auch im heutigen Mecklenburg-Vorpommern noch gern. Der schrecklichste Gedanke: Dass all diese Politiker bis heute nichts gelernt haben. Der OB erklärt jemanden zur persona non grata, und der Stadtrat bestätigt das schnell. Die Gewerkschaft Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger, GDBA, und die Vereinigung Opernchöre und Bühnentänzer, VJO, vermuten dahinter den größeren Plan. „Eine Kehrwende innerhalb von neun Monaten von einer Personalentscheidung für ein Vier-Sparten-Theater bis zum exakten Gegenteil inklusive arbeitsrechtlicher Konsequenzen für den Befürworter dieser Linie erscheint begründungsbedürftig“, erklären die Verbände in einem offenen Brief. Sie fordern, ebenso wie Holger Schultz, Intendant des Theaters Heidelberg, ebenfalls in einem offenen Brief, eine sofortige Rücknahme der fristlosen Kündigung. „Stillos und unkorrekt ist es auch, einen Intendanten unter Vortäuschung falscher Tatsachen (Vierspartenhaus) ans Theater Rostock zu engagieren und diesem anschließend die Arbeitsgrundlage zu entziehen.“

Latchinian hat sich so viele Verdienste erworben, dass man sich um seine Zukunft wohl kaum wird Sorgen machen müssen. Ebenso verhält es sich mit Peter Grisebach, Intendant des Landestheaters Schleswig-Holstein. Was aber beide Fälle gemeinsam haben: In der Fläche wird aufgeräumt. Die Kultur wird beseitigt. Dazu haben die beteiligten Politiker weder Recht noch Wählervotum. Und sie sind dabei, aus Deutschland einen seelenlosen Staat im Dienste des Kapitalismus, Neoliberalismus oder was auch immer zu machen. Das ist etwas, was wir nicht wollen. Weder in Schleswig-Holstein, in der dereinst so stolzen Hansestadt Rostock noch sonstwo in Deutschland.

In Donezk wird auch für diejenigen, die den Wert von Kultur ob des eigenen Wohlstands nicht mehr zu schätzen wissen, deutlich, was eine einzige Aufführung für Menschen bedeutet, die alles andere verloren haben. Möglicherweise sind die Verhältnisse in Donezk noch mal ein Weckruf für die Politiker, die sich für ihre Handlungen nicht verantworten müssen.

Michael S. Zerban, 3.4.2015

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Die Idylle trügt: In Donezk bleibt den
Menschen nicht mehr viel anderes als
die Kultur. Ein Grundbedürfnis.


Kulturministerin Anke Spoorendonk
hat plötzlich keine Gelder mehr, um
einen Theaterneubau in Schleswig zu
finanzieren.


Sewan Latchinian zeigt sich der Politik
nicht willfährig und wird deshalb als
Intendant des Volkstheaters Rostock
fristlos gekündigt.


Mit dem Gestus des DDR-Bonzen
entledigt sich Oberbürgermeister
Roland Methling eines Intendanten,
der darauf hinweist, dass die Kultur in
Mecklenburg-Vorpommern in Gefahr
ist.