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Die neue Beliebigkeit
Im (Musik-)Theaterbetrieb einer Stadt gehört es zur Normalität, dass Schauspielerinnen oder Opernsänger keine Vertragsverlängerung bekommen. Dafür gibt es vielfältige Gründe. Und mitunter, beispielsweise bei Intendanzwechseln, wird gleich gar der überwiegende Teil des Ensembles entlassen. Wie zuletzt in Wuppertal, Wiesbaden oder Trier. Ist das dann noch normal?
Der Oberbürgermeister von Wuppertal belog fast ein halbes Jahr lang seine Bürgerinnen und Bürger. Das Ensemble des Opernhauses werde nicht entlassen. Die Verträge der Sängerinnen und Sänger wurden letztendlich nicht verlängert, stattdessen bekamen die Einwohner der Stadt Wuppertal eine sehr eigenartige „Neudefinition“ von Ensemble präsentiert. Der Oberbürgermeister wurde kurz darauf zum Präsidenten des Deutschen Städtebundes gewählt. Peinlich. In Wiesbaden vollzog der designierte Intendant Uwe Eric Laufenberg den „totalen Abschied“ eher still und unauffällig. Und in Trier sorgt derweil der designierte Intendant Karl Sibelius für Schlagzeilen in der örtlichen Presse, weil er radikal allen kündigte, die er entlassen konnte. Da wird häufig der „Neuanfang“ apostrophiert, der bislang niemandem nachweislich genutzt hat.
Stattdessen, so zeigt die Erfahrung, wird das künftige Ensemble, sofern es überhaupt noch zu Stande kommt, verbilligt und zu schlechteren Bedingungen eingekauft. Eine Qualitätssteigerung konnte bislang kein Intendant nachweisen. Laufenberg – und da wird es zynisch – argumentiert gar damit, dass ja auch Ensemble-Mitglieder kündigen, wann sie wollen, wenn es ihrer Karriere dient. Und übersieht dabei wie die anderen auch die Außenwirkung.
Spektakuläre Inszenierungen werden schon dafür sorgen, dass das Publikum das alte Ensemble schnell vergisst, ist anscheinend die gängige Meinung in den Manager-Etagen der Opern- und Theaterhäuser. Irrtum. Das Publikum vergisst nicht. Und stimmt mit den Füßen ab. Wenn Opernhäuser geführt werden wie Wirtschaftsunternehmen, verlieren Besucherinnen und Besucher die Identifikation. Ein aufstrebender Bariton, den die Stadt für sich als Entdeckung feiert, lässt sich nicht austauschen wie ein Sachbearbeiter im Einwohnermeldeamt. Oder, um im Bilde zu bleiben, ein Auszubildender im Logistik-Gewerbe. Da will die Fan-Gemeinde an der weiteren Entwicklung teilhaben – und sich daran freuen, dass der Bariton sich deshalb verabschiedet, weil er ein Engagement an einem größeren Haus bekommt. Wenn derselbe Bariton allerdings trotz anerkannter Leistungen ins Nirwana geschickt wird, stößt das auf mehr als Unverständnis. Es führt zur inneren Abkehr.
Gewiss, die Verlockung ist groß, und das zeigen ja auch Wirtschaftsunternehmen: Wir schicken die alte Mannschaft von Bord, das spart Kosten, zeigt Aktionsbereitschaft und Durchsetzungsfreude der neuen Führungskraft. Die neue Mannschaft kann dann auch gleich völlig neue Kundenkreise erschließen, indem sie mit unverbrauchter Kraft zu neuen Ufern aufbricht. An diesen Unfug glauben inzwischen wohl nur noch Absolventen eines Betriebswirtschaftsstudiums, die gerade ihren ersten eigenen Dienstwagen, ach ja, und eine Abteilung übernommen haben. Selbst beim Elektro-Discounter, Hort des Technikfortschritts, weiß man inzwischen, dass die Kundschaft zwar unkritisch gegenüber dem technischen Fortschritt, also neuer, unausgereifter Produkte, ist. Wenn aber der Verkäufer, den man seit zehn Jahren kennt, nicht mehr da ist, bleiben auch die Kunden aus. Weil sie ihre Heimat – und ihr Vertrauen – verloren haben.
Die „neuen“ Intendanten werden das Rad nicht neu erfinden. Sie haben ihre erste Chance bereits vertan. Wie viel Größe und Format hätten sie zeigen können, wenn sie mit dem alten Team zu neuen Ufern aufgebrochen wären. Wenn sie gezeigt hätten, wie viel Potenzial in den Menschen steckt, die mit den Menschen in der Stadt oder im Land verbunden sind. Stattdessen propagieren sie Beliebigkeit und tragen so die Verunsicherung weiter in das Land. Das ist in diesen Tagen nicht die Aufgabe von Kultur. Kultur muss bei aller Experimentierfreude in der Aufführung Sicherheit und Vertrauen in der Führung bieten, um „neue Kunden“ an sich zu binden.
Vorerst haben die „neuen Intendanten“ nur eines gezeigt: Dass sie den Unterschied zwischen einem marodierenden Wirtschaftssystem und aktuellen Kulturerfordernissen nicht verstanden haben. Und das ist ein Armutszeugnis.
Michael S. Zerban, 5.7.2014
Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder
des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.
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