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KOMMENTAR

Mai 2012


 


 

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Satt in die Katastrophe

In diesen Tagen fällt es schwer, Stammtischparolen zu ignorieren und Ruhe zu bewahren. In Köln wird die kulturelle Katastrophe in nahezu letzter Sekunde abgewendet, in Duisburg wird ebenso wie in vielen Häusern im Osten noch gekämpft. Vor allem gegen Stimmen, die immer lauter fragen: Brauchen wir eigentlich diesen „kulturellen Überfluss“ in Deutschland noch?

Als es um die Baufirma Holzmann schlecht stand, reiste der damalige Bundeskanzler an. In Bochum erschien immerhin noch der Wirtschaftsminister, um zu schauen, wie Autobauer Opel gerettet werden könnte. Als Handybauer Nokia Deutschland die lange Nase zeigte, verkündeten einzelne Regierungsmitglieder einen flauen Boykott. Wenn es in der Kultur kriselt, schweigt Berlin. Da muss dann der Geschäftsführende Direktor des Deutschen Bühnenvereins, Rolf Bolwin, ran, weil Kulturstaatsminister Bernd Neumann gerade wieder keine Zeit hat, irgendetwas erklären oder eröffnen muss. Auf der Website von Neumann jedenfalls steht nicht, dass der Kulturstaatsminister ausschließlich repräsentative Aufgaben hat und sich nicht einmischen darf, wenn Kommunalpolitiker ihr Augenmaß verlieren.

Übrigens steht das auch nicht auf den Webseiten der Intendanten aus den Häusern in der Bundesrepublik, die derzeit gerade mal nicht in der Krisenstarre verharren. Zu hören sind sie allerdings nicht. Solidarität? Fehlanzeige. Der Intendant der Frankfurter Oper, Bernd Loebe, hat Stellung zu den Kölner Vorgängen bezogen. Ansonsten großes Schweigen unter den etablierten Kulturtreibenden. Peinlich. Offenbar sind Intendantengehälter in Deutschland ausreichend hoch, die Verträge finanziell sicher, dass man sich keine Sorgen zu machen braucht, wenn der Intendant in der Nachbarstadt in Schwierigkeiten gerät. Da kann man gelassen den eigenen Plan für die kommende Spielzeit vorstellen, während in anderen Städten Erfolgsmodelle baden gehen. Ja, möglicherweise wird man in der übernächsten Spielzeit schon das gefährdete Haus übernehmen können? Kommunalpolitiker finden solche Ideen offenbar großartig.

Kultur, die solidaritätsfrei und lokal agiert, ist keine Kultur, sondern eine Bande von Subventionsschnorrern. Und da fällt es schwer, gegen die immer lauter werdenden Stimmen zu argumentieren, die fragen, ob wirklich jedes Opernhaus in Deutschland notwendig ist, ob es im Ruhrgebiet nicht ohnehin eine viel zu hohe Dichte an Theatern gibt, ob man im Osten nicht mal fünfzig Kilometer fahren kann, um zu einem Konzert zu kommen.

Kultur ist kein Muss, soll uns da eingeredet werden, und kulturelle Vielfalt schon gar nicht. Der Duisburger Zoo ist Publikumsmagnet, da braucht es nicht auch noch teure Musiker. In einer Stadt, die ohnehin auf dem absteigenden Ast ist, wie in diesen Tagen allerorten nachzulesen ist, lohnt auch der Einsatz für die Kultur nicht mehr: Eine Stadt, die ihr Gesicht verliert, hat Kultur erst gar nicht verdient – wird das da unterstellt?

Die Deutschen müssten es besser wissen. Sie haben die Gleichschaltung von Kultur und Kommunikation erlebt. Sie haben erfahren, was es heißt, wenn ein Propagandaminister „für das Volk“ entscheidet, was Kunst und Kultur ist. Jeder einzelne Staatsbürger in Deutschland müsste sich gegen so genannte Einschnitte in der Kultur zur Wehr setzen. Ansonsten ist die Politik ihrem Bildungsauftrag ganz offensichtlich nicht nachgekommen. Ebenso wenig wie die Kulturschaffenden übrigens. Bis heute ist es ihnen offenbar nicht gelungen, dem Großteil der Bürgerinnen und Bürgern nahezubringen, wie wichtig ihr Theater, ihr Opernhaus, ihr Ballett ist.

Wenn die derzeitigen Krisenherde sich nicht zu einem Flächenbrand ausweiten sollen, ist mehr gefragt als die Solidaritätsaktionen der Beschäftigten eines betroffenen Theaters. Dann müssen die Häuser sich solidarisieren und die Bürger für ihr ureigenes Grundbedürfnis nach Kultur mobilisieren.

Gewiss, es ist fünf nach zwölf, aber nicht zu spät, das Ruder herumzureißen. In Venedig intoniert jeder Gondolfiere ohne Schwierigkeiten La Donna è mobile. Was singen wir auf unseren Straßen?

Michael S. Zerban, 27. Mai 2012

Kommentare geben die persönliche Meinung der Verfasserin oder des Verfassers, aber nicht in jedem Fall die Auffassung von Opernnetz wieder.


Prominente Bürger appellieren an
Politiker. Hier Jörg A. Henle,
Vorsitzender der Klöckner-Stiftung.


Das Schicksal der Deutschen Oper am
Rhein in Duisburg hängt immer noch
am seidenen Faden. Mitarbeiter
versuchen, öffentlichen Druck
aufzubauen.


Das Foyer der Oper Köln, die jetzt für
250 Millionen Euro saniert werden soll,
nach dem Willen der Bürger. Die
Politiker wollten nicht einmal die
kommende Spielzeit sicherstellen.


Rolf Bolwin ist Geschäftsführender
Direktor des Deutschen Bühnenvereins.
Er schaltet sich immer wieder ein, wenn
Politiker die kulturelle Dimension aus
den Augen verlieren.


Bernd Neumann ist Staatsminister für
Kultur und Medien. Für
Krisensituationen in Kommunen fühlt
er sich anscheinend nicht zuständig.
Schweigen aus Berlin.